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29

Sein Name war Joshua Adam Parker, und er brachte sieben Pfund und dreihundert Gramm auf die Waage, ein vollkommenes Baby. Jennifer wußte, daß es hieß, Neugeborene seien häßlich, rot und verschrumpft, sie ähnelten kleinen Affen.

Aber nicht Joshua Adam. Er war wunderschön. Die Schwestern im Hospital erzählten Jennifer ununterbrochen, was für ein hübscher Junge Joshua war, und sie konnte es nicht oft genug hören. Die Ähnlichkeit mit Adam war überwältigend. Joshua Adam hatte die graublauen Augen seines Vaters und den schön geformten Kopf. Wenn Jennifer ihn ansah, erblickte sie seinen Vater. Es war ein seltsames Gefühl, eine schmerzliche Mischung aus Freude und Traurigkeit. Wie glücklich Adam über seinen hübschen Sohn gewesen wäre!

Als Joshua zwei Tage alt war, lächelte er Jennifer an, und sie klingelte aufgeregt nach der Schwester. »Sehen Sie! Er lächelt!« »Das sind Blähungen, Mrs. Parker.«

»Bei anderen Babys mögen es Blähungen sein«, sagte Jennifer trotzig. »Mein Sohn lächelt.«

Sie hatte sich gefragt, welche Gefühle sie dem Baby gegenüber hegen, ob sie eine gute Mutter sein würde. Bestimmt waren Babys eine ziemlich langweilige Gesellschaft. Sie beschmutzten ihre Windeln, hatten dauernd Hunger, schrien und schliefen. Man konnte sich mit ihnen nicht unterhalten.

Echte Gefühle werde ich für ihn wahrscheinlich erst entwickeln, wenn er vier oder fünf fahre alt ist, hatte Jennifer gedacht. Wie falsch, wie völlig falsch. Von dem Augenblick der Geburt an liebte Jennifer ihren Sohn mit einer Heftigkeit, die sie bei sich nie vermutet hätte. Es war eine leidenschaftliche, beschützende Liebe; Joshua war so klein und die Welt so groß. Als Jennifer mit Joshua das Krankenhaus verlassen konnte, bekam sie eine lange Liste mit Instruktionen, aber die stürzte sie nur in Verwirrung. Die ersten zwei Wochen hatte sie die Hilfe einer Schwester, die bei ihnen im Haus lebte. Danach war Jennifer auf sich gestellt, und sie hatte Angst, sie könnte etwas Falsches tun, das das Baby umbrachte. Sie fürchtete, es könne jeden Augenblick zu atmen aufhören. Als Jennifer Joshua zum erstenmal sein Fläschchen bereitete, stellte sie fest, daß sie vergessen hatte, den Schnuller zu sterilisieren. Sie goß den Brei in den Abfluß und begann noch einmal von vorne. Als sie fertig war, fiel ihr ein, daß sie diesmal die Flasche zu sterilisieren vergessen hatte. Sie fing noch einmal an. Als Joshuas Brei endlich fertig war, schrie er bereits vor Zorn.

Es gab Zeiten, in denen Jennifer das Gefühl hatte, sie sei der Lage nicht mehr gewachsen. Ganz plötzlich wurde sie von unerklärlichen Depressionen überwältigt. Sie sagte sich, daß das ganz normal sei nach den Aufregungen der Schwangerschaft und der Geburt, aber deswegen fühlte sie sich nicht besser. Es kam ihr vor, als verbringe sie die ganze Nacht damit, Joshua zu füttern, und wenn es ihr schließlich gelang, einzuschlafen, wurde sie von Joshuas Geschrei wieder aufgeweckt.

Zu jeder Tages- und Nachtstunde rief sie den Arzt an. »Joshua atmet zu schnell... Er atmet zu langsam... Joshua hustet... Er hat seinen Brei nicht geschluckt... Joshua hat sich übergeben.«

In einem Akt von Selbstverteidigung fuhr der Arzt schließlich zu Jennifer hinaus und hielt ihr eine Predigt. »Mrs. Parker, ich habe noch nie ein gesünderes Baby gesehen als Ihren Sohn. Er mag zerbrechlich aussehen, aber er ist stark wie ein Ochse. Freuen Sie sich lieber, statt sich andauernd Sorgen zu bereiten. Denken Sie immer daran - er wird uns beide überleben.«

Also begann Jennifer sich zu entspannen. Sie hatte Joshuas Zimmer mit Kattunvorhängen und einer Tagesdecke dekoriert, die auf blauem Untergrund weiße Blumen und gelbe Schmetterlinge zeigten. Es gab eine Kinderkrippe, ein Spielställchen, eine kleine Spielzeugkiste, einen Tisch, einen Stuhl und ein Schaukelpferd. Die Kiste war bis obenhin voll Spielzeug. Jennifer liebte es, Joshua im Arm zu halten, ihn zu baden, seine Windeln zu wechseln und ihn in seinem glänzenden, neuen Kinderwagen spazierenzufahren. Sie redete ununterbrochen mit ihm, und als er vier Wochen alt war, belohnte er sie mit einem Lächeln. Keine Blähungen, dachte Jennifer glücklich. Ein Lächeln!

Als Ken Bailey das Baby zum erstenmal erblickte, starrte er es lange schweigend an. In einem Anfall plötzlicher Panik dachte Jennifer: Er wird es erkennen. Er wird erkennen, daß es Adams Baby ist.

Aber Ken sagte nur: »Er ist eine richtige Schönheit. Er kommt ganz nach seiner Mutter.«

Sie ließ Ken Joshua auf den Arm nehmen und lachte über seine Schüchternheit. Aber sie mußte die ganze Zeit denken: Joshua wird nie einen Vater haben, der ihn in die Arme nimmt.

Sechs Wochen waren verstrichen, und es war allmählich an der Zeit, wieder zu arbeiten. Jennifer haßte den Gedanken, von ihrem Sohn getrennt zu sein, selbst für ein paar Stunden am Tag, aber die Aussicht, wieder ins Büro zurückzukehren, erfüllte sie mit Vorfreude. So lange hatte sie sich von allen Vorgängen außerhalb des Hauses abgeschlossen. Es war Zeit, wieder in die andere Welt einzutreten. Sie blickte in den Spiegel und beschloß, daß sie sich als erstes wieder in Form bringen mußte. Schon kurz nach Joshuas Geburt hatte sie begonnen, Diät zu halten und zu turnen, aber jetzt verstärkte sie ihren Einsatz, und bald ähnelte sie wieder ihrem alten Ich.

Danach begann sie, eine Haushälterin zu suchen. Sie prüfte die Kandidatinnen, als wären sie Geschworene, stellte sie auf die Probe, suchte nach Schwächen, Lügen, Unfähigkeit. Mehr als zwanzig Anwärterinnen gingen durch ihr Verhör, bis sie eine gefunden hatte, die sie mochte und der sie vertraute - eine Schottin mittleren Alters namens Mrs. Mackey, die fünfzehn Jahre für dieselbe Familie gearbeitet hatte und erst gegangen war, als die Kinder erwachsen waren. Jennifer ließ Ken ihre Vergangenheit überprüfen, und als er ihr versicherte, daß mit Mrs. Mackey alles in Ordnung war, stellte Jennifer sie ein. Eine Woche später ging sie wieder ins Büro.

30

Jennifer Parkers plötzliches Verschwinden hatte eine Flut von Gerüchten in den Kanzleien in und um Manhattan ausgelöst. Die Nachricht, daß sie wieder zurück war, wurde mit ungeheurem Interesse aufgenommen. Der Empfang, der Jennifer am Morgen ihrer Rückkehr zuteil wurde, hatte bald den Cha rakter eines Volksfestes, als auch noch Anwälte von benachbarten Büros vorbeikamen, um sie zu besuchen. Cynthia, Dan und Ted hatten Papierschlangen in den Räumen aufgehängt, dazwischen ein großes Schild mit der Aufschrift: Willkommen daheim! Es gab Champagner und Kuchen. »Um neun Uhr morgens?« protestierte Jennifer. Aber sie ließen nicht locker.

»Hier ging es zu wie im Irrenhaus ohne dich«, teilte Dan Martin ihr mit. »Du hast so was nicht noch einmal vor, oder?« Jennifer blickte ihn an und sagte: »Nein, so was habe ich nicht noch einmal vor.«

Mehr und mehr unerwartete Gäste trafen ein, um sich zu vergewissern, daß es Jennifer gut ging, und um ihr Glück zu wünschen. Fragen danach, wo sie gesteckt hatte, parierte sie mit einem Lächeln und dem Satz: »Wir haben keine Erlaubnis, darüber zu sprechen.«

Sie hielt den ganzen Tag Konferenzen mit ihren Mitarbeitern ab. Hunderte von telefonischen Mitteilungen hatten sich angesammelt.

Als Ken Bailey mit Jennifer allein in ihrem Büro war, sagte er: »Weißt du, wer uns wahnsinnig gemacht hat, weil er dich unbedingt erreichen wollte?« Jennifers Herz tat einen Sprung. »Wer?«