Hör auf! schalt Jennifer sich. Du ergehst dich in Selbstmitleid. In dieser Nacht lag sie hellwach im Bett und durchlebte jedes Detail der Party noch einmal, um keines davon zu vergessen. Vielleicht konnte sie Adam eines Tage s davon erzählen.
32
In den folgenden Monaten wurde Senator Adam Warner allgegenwärtig. Seine Präsenz, seine Fähigkeiten und sein Charisma hatten ihn von Anfang an im Senat zu einer auffälligen Erscheinung gemacht. Er wurde in verschiedene wichtige Ausschü sse gewählt und brachte einen wichtigen Gesetzesentwurf ein, der schnell und ohne Schwierigkeiten verabschiedet wurde. Adam Warner hatte mächtige Freunde im Kongreß. Viele hatten seinen Vater gekannt und geschätzt. Allgemein ging man davon aus, daß Adam eines Tages zum Kampf um das Präsidentenamt antreten würde. Jennifer fühlte einen bittersüßen Stolz.
Immer wieder wurde sie von Mandanten, Partnern und Freunden zum Abendessen, ins Theater oder zu Wohltätigkeitsveranstaltungen eingeladen, aber sie lehnte fast alles ab. Hin und wieder verbrachte sie einen Abend mit Ken. Sie genoß seine Gesellschaft außerordentlich. Er war lustig und selbstironisch, aber hinter der amüsanten Fassade verbarg sich ein sensibler, gequälter Mensch. Manchmal kam er am Wochenende zum Mittag- oder Abendessen heraus und spielte stundenlang mit Joshua. Die beiden liebten sich. Einmal, als Jennifer und Ken in der Küche zu Abend aßen, nachdem Joshua ins Bett gebracht worden war, starrte Ken Jennifer so auffällig an, daß sie fragte: »Stimmt irgend etwas nicht?«
»Himmel, ja«, stöhnte Ken. »Entschuldige. Was für eine beschissene Welt!«
Aber er verlor kein weiteres Wort darüber. Adam hatte seit beinahe neun Monaten nicht mehr versucht, Kontakt mit Jennifer aufzunehmen, aber sie verschlang gierig jeden Zeitungsartikel über ihn und sah jede Fernsehsendung, in der er auftrat. Sie dachte unablässig an ihn. Wie sollte es auch anders sein? Ihr Sohn war eine ständige Erinnerung an ihn. Joshua war jetzt zwei Jahre und hatte eine unglaubliche Ähnlichkeit mit seinem Vater. Er hatte die gleichen ernsthaften blauen Augen und die gleichen Eigenarten. Joshua war ein winziges, liebes Abziehbild, warm, zärtlich und voller Wißbegier.
Zu Jennifers Überraschung waren Joshuas erste Worte AutoAuto, als sie ihn eines Tages im Wagen mitnahm. Er sprach bereits in Sätzen und sagte Danke und Bitte. Als Jennifer ihn einmal in seinem Stühlchen zu füttern versuchte, sagte er: »Mama, geh mit deinem Spielzeug spielen.« Ken hatte ihm einen Malkasten gekauft, und Joshua begann, emsig die Wände des Wohnzimmers zu bemalen. Als Mrs. Mackey ihm dafür einen Klaps geben wollte, protestierte Jennifer: »Nicht, das kann man abwaschen. Er versucht nur, sich auszudrücken.«
»Mehr wollte ich auch nicht«, bemerkte Mrs. Mackey, »mich ausdrücken. Sie werden das Kind höllisch verwöhnen.« Aber Joshua war nicht verwöhnt. Er war ausgelassen und anspruchsvoll, aber das war normal für einen Zweijährigen. Er hatte Angst vor dem Staubsauger, wilden Tieren, Zügen und der Dunkelheit.
Joshua war von Natur aus sportlich veranlagt. Einmal sagte Jennifer zu Mrs. Mackey, während er mit einigen seiner Freunde spielte: »Obwohl ich seine Mutter bin, sehe ich ihn durchaus objektiv, Mrs. Mackey. Ich glaube, er ist die Wiederauferstehung.«
Sie hatte es sich angewöhnt, alle Fälle zu vermeiden, die sie aus der Stadt und fort von Joshua führten, aber eines Morgens erhielt sie einen dringlichen Anruf von Peter Fenton, dem Besitzer einer großen Industriefirma. »Ich stehe im Begriff, eine Fabrik in Las Vegas zu kaufen, und möchte, daß Sie hinfliegen und sich mit den Anwälten treffen.«
»Ich werde Dan Martin schicken«, schlug Jennifer vor. »Sie wissen, ich verlasse die Stadt nicht gern, Peter.«
»Jennifer, Sie können die ganze Geschichte in vierundzwanzig Stunden erledigen. Ich fliege Sie im Firmenflugzeug hin, und am nächsten Tag sind Sie wieder zurück.« Jennifer zögerte. »Na gut.«
Sie war schon einmal in Las Vegas gewesen und hegte dem Ort gegenüber gemischte Gefühle. Es war unmöglich, Las Vegas zu lieben oder zu hassen. Man muß te es als ein Phänomen betrachten, eine fremdartige Zivilisation mit ihrer eigenen Sprache und Moral, ihren eigenen Gesetzen. Es ließ sich mit keiner anderen Stadt in der Welt vergleichen. Riesige Neonlichter flimmerten die ganze Nacht über und verkündeten den Ruhm der glänzenden Paläste, die errichtet worden waren, die Geldbörsen der Touristen zu erleichtern, die wie Lemminge hereinströmten und sich anstellten, um sich ihre sorgsam gehorteten Ersparnisse abnehmen zu lassen. Jennifer gab Mrs. Mackey eine lange, ausführliche Liste mit Anweisungen für Joshuas Behandlung. »Wie lange werden Sie fort sein, Mrs. Parker?«
»Morgen bin ich wieder zurück.«
»Mütter!«
Am nächsten Morgen bestieg Jennifer Peter Fentons Lear Jet und flog nach Las Vegas. Sie verbrachte Nachmittag und Abend damit, die Einzelheiten des Vertrags auszuarbeiten. Als sie fertig waren, bat Peter Fenton sie, mit ihm zu Abend zu essen.
»Danke, Peter, aber ich glaube, ich gehe lieber früh zu Bett. Ich fliege morgen nach New York zurück.« Jennifer hatte Mrs. Mackey im Verlauf des Tages dreimal angerufen, und dreimal war ihr versichert worden, daß es dem Kleinen gut gehe. Er hatte seine Mahlzeiten zu sich genommen, hatte kein Fieber und schien glücklich zu sein. »Vermißt er mich?« fragte Jennifer. »Darüber hat er nichts gesagt«, seufzte Mrs. Mackey. Jennifer wußte, daß Mrs. Mackey sie für überkandidelt hielt, aber das war ihr egal.
»Sagen Sie ihm, daß ich morgen wieder zu Hause bin.«
»Ich werde ihm Ihre Nachricht übermitteln, Mrs. Parker.« Ursprünglich hatte Jennifer vorgehabt, ein ruhiges Abendessen in ihrer Suite einzunehmen, aber plötzlich deprimierten sie die Räume, die Wände schienen ihr die Luft abzuschneiden. Sie konnte nicht aufhören, an Adam zu denken. Wie konnte er nur mit Mary Beth ins Bett gehen und sie schwängern, wenn...
Sie mußte ausgehen, irgendwohin, wo Lärm herrschte und viele Menschen waren. Vielleicht, dachte Jennifer, könnte ich mir sogar eine Show ansehen. Sie duschte rasch, zog sich an und ging hinunter. Eine lange Schlange wartete am Eingang zum Showsaal, wo Marty Allen auftrat, und Jennifer bedauerte, daß sie Peter Fenton nicht gebeten hatte, ihr einen Platz zu reservieren. Sie ging zum Oberkellner am Kopfende der Schlange und fragte: »Wie lange dauert es, bis man einen Tisch bekommen kann?«
»Wie viele Personen sind Sie?«
»Ich bin allein.«
»Es tut mir leid, Miß, aber ich fürchte...« Eine Stimme neben ihr sagte: »Mein Tisch, Abe.« Der Oberkellner strahlte und sagte: »Natürlich, Mr. Moretti. Hier entlang, bitte.«
Jennifer drehte sich um und blickte in die dunklen Augen von Michael Moretti.
»Nein, danke«, sagte Jennifer. »Ich fürchte, ich...«
»Sie müssen etwas essen.« Michael Moretti nahm Jennifers Arm, und sie ging neben ihm hinter dem Oberkellner her, zu einem Vorzugstisch in der Mitte des großen Raums. Jennifer empfand nur Widerwillen bei dem Gedanken, mit Michael Moretti zu speisen, aber sie wußte nicht, wie sie dem entgehen konnte, ohne eine Szene zu machen. Sie wünschte sich inständig, sie hätte Peter Fentons Einladung angenommen. Sie wurden an die Tafel gegenüber der Bühne gesetzt, und der Oberkellner sagte: »Genießen Sie den Abend, Mr. Moretti, Miß.«
Jennifer spürte Michael Morettis Augen auf sich ruhen, und sie fühlte sich unwohl. Er sagte nichts. Michael Moretti war ein Mann des Schweigens, er mißtraute Worten, als wären sie eine Falle und nicht eine Form der Kommunikation. An seinem Schweigen war etwas Fesselndes. Er benutzte es, um auf seine Weise zu erreichen, was andere Männer mit Worten erreichten.