Als er schließlich etwas sagte, fühlte Jennifer sich in einem Moment der Unachtsamkeit überrascht. »Ich hasse Hunde«, sagte Michael Moretti. »Sie sterben.« Und es war, als lege er einen geheimen Teil seines Wesens bloß, der aus einer dunklen Quelle gespeist wurde. Jennifer wußte nicht, was sie darauf antworten sollte. Ihre Drinks wurden gebracht, und sie saßen da und tranken schweigend. Jennifer lauschte dem Gespräch, das nicht stattfand.
Sie dachte über seine Worte nach: Ich hasse Hunde. Sie sterben. Sie fragte sich, wie Michaels Kindheit verlaufen sein mochte. Sie ertappte sich dabei, wie sie ihn studierte. Er war auf eine gefährliche, erregende Weise attraktiv. Eine Aura von Gewalttätigkeit umgab ihn, als könne er jeden Augenblick explodieren.
Jennifer konnte nicht sagen, warum, aber in der Gesellschaft dieses Mannes fühlte sie sich wie eine Frau. Vielleicht lag es an der Art, auf die seine ebenholzfarbenen Augen sie musterten, ehe sie wegblickten, als hätten sie Angst, zuviel preiszugeben. Jennifer stellte fest, daß es lange her war, seit sie sich zuletzt so weiblich gefühlt hatte. Seit dem Tag, an dem sie Adam verloren hatte. Eine Frau benötigt einen Mann, damit sie sich weiblich fühlt, dachte Jennifer, damit sie sich schön und begehrenswert fühlt.
Sie war froh, daß er ihre Gedanken nicht lesen konnte. Die verschiedensten Leute näherten sich ihrem Tisch, um Michael Moretti ihre Reverenz zu erweisen: Geschäftsleute, Schauspieler, ein Richter, ein Senator. Macht erwies Macht ihren Tribut, und Jennifer hatte plötzlich eine Ahnung davon, welchen Einfluß Michael Moretti ausübte. »Ich bestelle für uns«, sagte er. »Das Menü des Tages wird für achthundert Personen zubereitet. Es schmeckt wie in einem Flugzeug.« Er hob die Hand, und sofort war der Oberkellner an ihrem Tisch. »Ja, Mr. Moretti? Was hätten Sie gern heute abend, Sir?«
»Wir möchten ein Chateaubriand, innen rosa, außen schwarz.«
»Sehr wohl, Mr. Moretti.«
»Pommes soufflées und Endiviensalat.«
»Jawohl, Mr. Moretti.«
»Das Dessert bestellen wir später.«
Eine Flasche Champagner wurde an den Tisch geschickt, mit den Empfehlungen der Geschäftsleitung. Jennifer begann, sich zu entspannen und beinahe gegen ihren Willen wohl zu fühlen. Es war lange her, seit sie das letzte Mal einen Abend mit einem attraktiven Mann verbracht hatte. Und als dieser Gedanke in ihr auftauchte, fragte sie sich: Wie kann ich Michael Moretti als attraktiv bezeichnen? Er ist ein Killer, ein amoralisches Tier ohne Gefühle.
Jennifer hatte Dutzende von Menschen gekannt und verteidigt, die schreckliche Verbrechen begangen hatten, aber sie hatte das Gefühl, daß keiner von ihnen so gefährlich gewesen war wie dieser Mann. Er war bis an die Spitze des Syndikats aufgestiegen, und es hatte etwas mehr erfordert, als Antonio Granellis Tochter zu heiraten, um das zu erreichen. »Ich habe ein- oder zweimal bei Ihnen angerufen, als Sie fort waren«, sagte Michael. Laut Ken Bailey hatte er fast jeden Tag angerufen. »Wo waren Sie?« Er ließ die Frage beiläufig klingen. »Weg.«
Ein langes Schweigen. »Erinnern Sie sich an das Angebot, das ich Ihnen gemacht habe?«
Jennifer nahm einen Schluck von ihrem Champagner.
»Fangen Sie nicht wieder damit an, bitte.«
»Sie können alles haben, was...«
»Ich sagte Ihnen bereits, ich bin nicht interessiert. Angebote, die man nicht abschlagen kann, gibt es nicht. Nur in Büchern, Mr. Moretti. Ich schlage es ab.«
Michael Moretti dachte an eine Szene, die vor ein paar Wochen im Haus seines Schwiegervaters stattgefunden hatte. Sie hatten eine Familienkonferenz abgehalten, und sie war nicht gut gelaufen. Thomas Colfax hatte sich gegen alles gestellt, das Michael vorgeschlagen hatte.
Nachdem Colfax gegangen war, hatte Michael zu seinem Schwiegervater gesagt: »Colfax verwandelt sich langsam in ein altes Weib. Es ist Zeit, ihn aufs Altenteil zu schicken.«
»Tommy ist ein guter Mann. Er hat uns im Lauf der Jahre eine Menge Ärger erspart.«
»Das war einmal. Er hält nicht mehr Schritt, Tony.«
»Wen sollten wir auf seinen Platz stellen?«
»Jennifer Parker.«
Antonio Granelli hatte den Kopf geschüttelt. »Ich habe es dir schon einmal gesagt, Michael. Es ist nicht gut, wenn eine Frau etwas von unseren Geschäften erfährt.«
»Sie ist nicht nur eine Frau. Sie ist die beste Anwältin zur Zeit.«
»Wir wollen abwarten«, hatte Antonio Granelli gesagt. »Wir wollen abwarten.«
Michael Moretti war daran gewöhnt, zu kriegen, was er haben wollte, und je länger Jennifer sich ihm widersetzte, desto mehr war er entschlossen, sie zu bekommen. Jetzt, wo er neben ihr saß, blickte Michael Jennifer an und dachte: Eines Tages wirst du mir gehören, Baby - mit Haut und Haaren. »Woran denken Sie?«
Michael Moretti bedachte Jennifer mit einem lässigen,
langsamen Lächeln, und sie bedauerte die Frage sofort. Es war Zeit, zu gehen.
»Ich danke Ihnen für ein wunderbares Essen, Mr. Moretti. Ich muß früh aufstehen, desha lb...«
Die Lichter verdunkelten sich, und das Orchester intonierte eine Ouvertüre. »Sie können jetzt nicht gehen. Die Show beginnt. Marty Allen wird Ihnen gefallen.« Es war Unterhaltung von einem Kaliber, das sich nur Las Vegas leisten konnte, und Jennifer genoß es von A bis Z. Sie sagte sich, daß sie sofort nach Ende der Show gehen würde, aber als sie vorbei war und Michael Moretti Jennifer zum Tanze aufforderte, beschloß sie, daß es undankbar sei, sich zu weigern. Davon abgesehen mußte sie zugeben, daß sie sich gut amüsierte. Michael Moretti war ein begabter Tänzer, und Jennifer entspannte sich in seinen Armen. Einmal, als ein anderes Paar mit ihnen zusammenstieß, wurde Michael gegen Jennifer gestoßen, und für einen Augenblick spürte sie seine Erektion, aber dann zog er sich sofort zurück, sorgsam darauf bedacht, sie in diskreter Entfernung zu halten.
Hinterher gingen sie in ein Casino, ein Meer aus Lichtern und Lärm, überflutet mit Spielern, die völlig von den verschiedensten Glücksspielen in Anspruch geno mmen waren und sich ihnen mit einer Hingabe widmeten, als hinge ihr Leben davon ab, daß sie gewannen. Michael führte Jennifer zu einem der Würfeltische und gab ihr ein Dutzend Chips. »Auf das Glück«, sagte er.
Die Angestellten des Casinos begegneten Michael mit Ehrerbietung. Sie nannten ihn »Mr. M.« und gaben ihm große Stapel Hundert-Dollar-Chips, wobei sie seine Unterschrift an Stelle von Bargeld akzeptierten. Michael spielte mit hohen Einsätzen und verlor kräftig, aber es schien ihn nicht zu irritieren. Mit Michaels Chips gewann Jennifer dreihundert Dollar, aber sie bestand darauf, ihm das Geld zu geben. Sie wollte ihm auf keinen Fall irgendwie verpflichtet sein. Von Zeit zu Zeit kamen verschiedene Frauen an den Tisch, um Michael zu begrüßen. Alle waren jung und attraktiv, wie Jennifer bemerkte. Michael begegnete ihnen höflich, aber es war offensichtlich, daß er sich nur für Jennifer interessierte. Gegen ihren Willen fühlte sie sich geschmeichelt. Zu Beginn des Abends war Jennifer müde und deprimiert gewesen, aber Michael Moretti strahlte eine solche Vitalität aus, daß sie überzuschäumen schien, die Luft auflud und Jennifer einhüllte.
Michael führte sie in eine kleine Bar mit einer Jazzgruppe, und danach gingen sie in den Salon eines anderen Hotels, um eine neue Vokalgruppe zu hören. Wo immer sie auftauchten, wurde Michael zuvorkommend, beinahe unterwürfig behandelt. Jeder versuchte, seine Aufmerksamkeit zu erregen, ihm guten Abend zu sagen, ihn zu berühren und darauf hinzuweisen, daß man da war.
Während der ganzen Zeit, die sie zusammen verbrachten, sagte Michael kein einziges Wort, das Jennifer als zudringlich hätte auslegen können. Und dennoch fühlte sie eine derart starke Sexualität von ihm ausgehen, daß es sie wie Schockwellen traf. Ihr Körper fühlte sich geschlagen, vergewaltigt. Sie hatte noch nie etwas Ähnliches erlebt. Es war beunruhigend und gleichzeitig erregend.