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Um vier Uhr morgens brachte Michael Jennifer schließlich wieder zu ihrer Suite. Als sie die Tür erreicht hatten, ergriff Michael ihre Hand und sagte: »Gute Nacht. Ich möchte Ihnen sagen, daß dies die schönste Nacht meines Lebens war.« Seine Worte jagten Jennifer Angst ein.

33

In Washington wuchs Adam Warners Popularität. Zeitungen und Magazine nahmen sich seiner immer häufiger an. Er leitete eine Untersuchung der Zustände in Ghettoschulen ein und reiste an der Spitze eines Senatsausschusses nach Moskau, um sich mit Dissidenten zu treffen. In den Zeitungen waren Bilder von seiner Ankunft auf dem Scheremetjevo-Flughafen zu sehen, auf denen er vo n einer russischen Delegation mit unbewegten Gesichtern begrüßt wurde. Als er zehn Tage später zurückkehrte, waren die Zeitungen voll des Lobs über die Ergebnisse seiner Reise.

Die Berichterstattung wurde immer ausführlicher. Die Öffentlichkeit wollte über Adam Warner informiert werden, und die Medien stillten ihren Hunger. Adam wurde die Speerspitze einer Gruppe von Senatoren, die für Reformen eintraten. Er übernahm den Vorsitz eines Komitees, das die Zustände in den Bundesgefängnissen untersuchte, und besuchte Strafanstalten im ganzen Land. Er sprach mit den Häftlingen, den Wärtern und Aufsehern, und als das Komitee seinen Bericht vorstellte, wurden umfassende Reformen eingeleitet. Zusätzlich zu den Nachrichtenmagazinen brachten auch die Frauenzeitungen Artikel über ihn. In Cosmopolitan entdeckte Jennifer ein Foto von Adam, Mary Beth und ihrer kleinen Tochter Samantha. Jennifer saß vor dem Kamin in ihrem Schlafzimmer und betrachtete das Bild lange Zeit. Mary Beth lächelte in die Kamera und strahlte warmen, süßen Südstaatencharme aus. Die Tochter war eine Miniaturausgabe ihrer Mutter. Jennifer wandte sich dem Bild von Adam zu. Er sah müde aus. Kleine Falten, die vorher nicht dagewesen waren, hatten sich um seine Augen gebildet, und seine Schläfen wiesen die ersten grauen Schatten auf. Für einen Moment erlag Jennifer der Illusion, das Gesicht eines erwachsenen Joshua zu betrachten. Die Ähnlichkeit war unheimlich. Der Fotograf hatte Adam direkt in die Kamera blicken lassen, und Jennifer hatte das Gefühl, daß er sie ansah. Sie versuchte, den Ausdruck in seinen Augen zu deuten, und fragte sich, ob er jemals an sie dachte.

Jennifer blickte noch einmal auf das Bild von Mary Beth und ihrer Tochter. Dann warf sie das Magazin in den Kamin und sah zu, wie es verbrannte.

Adam Warner saß am Kopfende seines Eßtisches und versuchte, Stewart Needham und ein halbes Dutzend anderer Gäste zu unterhalten. Mary Beth war am anderen Ende des Tisches in eine Unterhaltung mit einem Senator aus Oklahoma und seiner juwelengeschmückten Frau vertieft. Washington hatte auf Mary Beth wie ein Stimulans gewirkt. Hier war sie in ihrem Element. Im Rahmen von Adams wachsender Bedeutung war Mary Beth eine der ersten Gastgeberinnen geworden, und sie kostete diese Rolle aus. Die gesellschaftliche Seite Washingtons langweilte Adam, und er war froh, daß er sie Mary Beth überlassen konnte. Sie hatte ein natürliches Geschick dafür.

Stewart Needham sagte: »In Washington wird mehr Politik beim Essen gemacht als in den geheiligten Hallen des Senats.«

Adam wü nschte sich, daß der Abend endlich vorüber sein möge. Oberflächlich betrachtet, war alles in bester Ordnung. Unter dem Lack stimmte nichts. Er war mit einer Frau verheiratet, und er liebte eine andere. Er lag in den Ketten einer Ehe, aus der es kein Entkommen gab. Wenn Mary Beth nicht schwanger geworden wäre, hätte er weiterhin die Scheidung betrieben. Jetzt war es zu spät, er war für seine Familie verantwortlich. Mary Beth hatte ihm eine wunderschöne kleine Tochter geschenkt, und er liebte sie, aber es war ihm unmöglich, Jennifer zu vergessen.

Die Frau des Senators aus Oklahoma sagte zu ihm: »Sie müssen so glücklich sein, Adam. Sie haben alles, was sich ein Mann nur wünschen kann, nicht wahr?« Adam

34

Die Jahreszeiten kamen und gingen, und sie alle drehten sich um Joshua. Er war der Mittelpunkt von Jennifers Welt. Sie sah, wie er wuchs und sich entwickelte, Tag für Tag, und als er zu sprechen, zu gehen und zu denken begann, schien ihr das wie ein unendliches Wunder. Seine Stimmungen wechselten dauernd. Er war abwechselnd wild und aggressiv, schüchtern und zärtlich. Er wurde wütend, wenn Jennifer ihn nachts verlassen mußte, und er hatte immer noch Angst vor der Dunkelheit, so daß Jennifer nachts immer ein Licht für ihn anließ. Mit zwei Jahren war Joshua unerträglich. Er war zerstörerisch, trotzig und ungestüm. Sein liebstes Spiel war »Reparieren«. Er machte Mrs. Mackeys Nähmaschine kaputt, ruinierte die beiden Fernsehapparate im Haus und nahm Jennifers Armbanduhr auseinander. Er schüttete Salz in die Zuckerdose und streichelte sich selbst, wenn er allein war. Ken Bailey brachte Jennifer einen jungen Schäferhund namens Max mit, und Joshua biß ihn.

Als Ken einmal zu Besuch kam, begrüßte Joshua ihn mit den Worten: »Hü Hast du auch ein Ding- Dong? Darf ich es anschauen?«

In diesem Jahr hätte Jennifer Joshua mit Freuden dem erstbesten Fremden geschenkt.

Mit drei aber wurde er plötzlich ein Engel, höflich, zärtlich und liebevoll. Er hatte die körperliche Harmonie seines Vaters und war sehr geschickt mit den Händen. Er hörte auf, Dinge kaputtzumachen. Er spielte gern im Freien, kletterte, lief herum und fuhr auf seinem Dreirad durch den Garten. Jennifer nahm ihn mit in den Zoo und zum Marionettentheater. Sie gingen am Strand spazieren und sahen sich gemeinsam ein Festival mit Filmen der Marx Brothers in Manhattan an. Danach nahmen sie Eiscremesodas im neunten Stock von Bonwit Teller zu sich. Joshua war ein Gefährte geworden. Zum Muttertag lernte er das Lieblingslied von Jennifers Vater - Shine On, Harvest Moon - auswendig und sang es ihr vor. Es war der rührendste Moment ihres Lebens.

Es ist wahr, dachte sie, wir erben die Welt nicht von unseren Eltern; wir leihen sie uns von den Kindern aus.

Joshua ging in den Kindergarten und hatte Freude daran. Abends, wenn Jennifer nach Hause gekommen war, setzten sie sich vor den Kamin und lasen gemeinsam. Jennifer las Fachzeitungen für Anwälte, und Joshua sah sich seine Bilderbücher an. Jennifer beobachtete ihren Sohn, wie er auf dem Boden lag, die Augenbrauen zusammengezogen vor Konzentration, und plötzlich wurde sie wieder an Adam erinnert, und es war immer noch wie eine offene Wunde. Sie fragte sich, wo er sein und was er tun mochte. Was er, Mary Beth und Samantha tun mochten.

Es gelang Jennifer, Privatleben und Beruf auseinanderzuhalten, die einzige Verbindung zwischen beiden war Ken Bailey. Er brachte Joshua Spielzeug und Bücher mit, widmete ihm seine Zeit, und war, in gewisser Hinsicht, ein Ersatzvater. An einem Sonntagnachmittag standen Jennifer und Ken in der Nähe des Baumhauses und sahen Joshua zu, der den Stamm hinaufkletterte.

»Weißt du, was er braucht?« fragte Ken. »Nein.«

»Einen Vater.« Er wandte sich an Jennifer. »Sein wirklicher Vater muß ein schöner Scheißkerl sein.«

»Bitte, Ken, nicht!«

»Entschuldige. Es geht mich ja auch nichts an. Schließlich ist es Vergangenheit. Ich mache mir mehr Sorgen um die Zukunft. Es ist nicht normal, daß du allein wie eine...«

»Ich bin nicht allein. Ich habe Joshua.«

»Darüber spreche ich nicht.« Er nahm Jennifer in die Arme und küßte sie zärtlich. »O verdammt, Jennifer, es tut mir leid...«

Michael Moretti hatte Jennifer ein dutzendmal zu erreichen versucht. Sie rief nicht zurück. Einmal hatte sie geglaubt, sie habe ihn in der letzten Reihe sitzen sehen, als sie vor Gericht als Verteidigerin auftrat, aber als sie wieder hinsah, war er verschwunden.