»Der letzten Information nach wieder irgendwo im Osten. Er ist mit Jacksons Schwester befreundet. Wir haben aber ihre Adresse nicht.«
»Weswegen hat Nicola gesessen?«
»Einbruch in einen Schmuckladen.«
Drei Uhr dreißig
Die Pfandleihe lag an der Ecke Second Avenue und 124. Straße in Spanish Harlem. Es war ein heruntergekommenes, zweistöckiges Gebäude. Das Geschäft lag im ersten Stock, die Wohnungen darüber. Gus Stavros erwachte davon, daß der Strahl einer Taschenlampe in sein Gesicht leuchtete. Instinktiv tastete er nach dem Alarmknopf neben seinem Bett. »Das würde ich lieber lassen«, sagte eine Stimme. Der Strahl wanderte weiter, und Gus Stavros setzte sich im Bett auf. Er sah zwei Männer zu beiden Seiten des Betts stehen und wußte, daß der Rat gut gewesen war. Ein Riese und ein Liliputaner. Stavros spürte, wie sich sein Asthmaanfall vorbereitete.
»Ihr könnt alles nehmen, was ihr wollt. Es ist unten«, keuchte er. »Ich werde mich nicht bewegen.« Der Riese, Joseph Colella, sagte: »Steh auf. Langsam.« Gus Stavros erhob sich, bedacht darauf, keine plötzlichen Bewegungen zu machen.
Der kleine Mann, Salvatore Fiore, hielt ihm ein Stück Papier unter die Nase. »Dies ist die Nummer einer Quittung. Wir wollen die Ware sehen.«
»Ja, Sir.« Gus Stavros ging nach unten, gefolgt von den beiden Besuchern. Erst vor sechs Monaten hatte Stavros ein ausgeklügeltes Alarmsystem einbauen lassen. Er hätte bloß auf einige Knöpfe zu drücken oder auf bestimmte Stellen im Fußboden zu treten brauchen, und schon wäre Hilfe unterwegs gewesen. Er tat nichts davon, denn sein Instinkt sagte ihm, daß er dann tot gewesen wäre, bevor jemand ihn erreicht hätte. Seine einzige Chance bestand darin, den beiden Männern zu geben, was sie haben wollten. Er hoffte nur, daß er nicht an einem gottverdammten Asthmaanfall sterben würde, ehe er sie los war.
Er schaltete das Licht im Erdgeschoß ein, und sie gingen in den vorderen Teil des Geschäfts. Gus Stavros hatte keine Ahnung, worum es sich drehte, aber er wußte, es hätte wesentlich schlimmer kommen können. Wenn diese Männer nur hier gewesen wären, um ihn zu berauben, hätten sie die Pfandleihe ausräumen und längst wieder weg sein können. Anscheinend interessierten sie sich nur für ein bestimmtes Stück. Er fragte sich, wie sie das neue Alarmsystem an Türen und Fenster umgangen hatten, aber er zog es vor, nicht zu fragen.
»Beweg deinen Hintern«, sagte Colella. Gus blickte noch einmal auf die Nummer der Quittung und sah dann seine Unterlagen durch. Er fand, was er suchte, nickte zufrieden, ging zu einem großen Tresorraum und öffnete ihn, die beiden Männer dicht hinter sich. Stavros suchte ein Regal ab, bis er einen schmalen Umschlag gefunden hatte. Er wandte sich den beiden Männern zu, öffnete den Umschlag und nahm einen großen Diamantring heraus, der im Licht der Deckenlampe funkelte.
»Das ist er«, sagte er. »Ich habe ihm fünfhundert dafür gegeben.« Der Ring war mindestens zwanzigtausend Dollar wert. »Wem hast du fünfhundert gegeben?« fragte Salvatore Fiore. Gus Stavros zuckte mit den Schultern. »Hier kommen jeden Tag Hunderte von Kunden herein. Der Name auf dem Umschlag lautet John Doe.«
Fiore zauberte ein Bleirohr aus dem Nichts hervor und schmetterte es Gus Stavros gegen die Nase. Brüllend vor Schmerzen stürzte Stavros zu Boden. Er drohte, in seinem eigenen Blut zu ertrinken.
Fiore fragte sanft: »Wer, sagtest du, hat ihn dir gebracht?« Um Atem ringend, keuchte Stavros: »Ich kenne seinen Namen nicht. Er hat ihn mir nicht gesagt. Ich schwöre es bei Gott.«
»Wie sah er aus?«
Das Blut rann in Gus Stavros Kehle, daß er kaum sprechen konnte. Er kämpfte mit der Bewußtlosigkeit, aber er wußte, wenn er in Ohnmacht fiel, würde er nie wieder aufwachen. »Lassen Sie mich überlegen«, flehte er. Stavros versuchte, sich zu konzentrieren, aber er war so benebelt vor Schmerzen, daß es ihm schwerfiel. Er zwang sich, das Bild des Kunden, der eintrat, den Ring hervorholte und ihm zeigte, wieder vor sein inneres Auge zu holen. Langsam nahm es Konturen an.
»Er - er war blond und mager...« Er würgte etwas Blut herunter. »Helfen Sie mir hoch.«
Salvatore Fiore trat ihn in die Rippen. »Sprich weiter.«
»Er hatte einen Bart, einen blonden Bart...«
»Erzähl uns von dem Stein. Woher stammt er?« Trotz der wilden Schmerzen zögerte Gus Stavros. Wenn er redete, würde er ein toter Mann sein - später. Wenn er nicht redete, würde er jetzt sterben. Er entschloß sich, seinen Tod so lange wie möglich hinauszuschieben. »Er stammt aus dem Tiffany-Job.«
»Wer war bei dem Job außer dem blonden Burschen noch dabei?«
Das Atmen fiel Gus Stavros immer schwerer. »Mickey Nicola.« »Wo können wir Nicola finden?«
»Keine Ahnung. Er - er wohnt mit einem Mädchen in Brooklyn.«
Fiore hob den Fuß und versetzte Stavros' Nase einen leichten Stoß. Gus Stavros brüllte vor Schmerz.
Joseph Colella fragte: »Wie heißt die Schlampe?«
»Jackson. Blanche Jackson.«
Vier Uhr dreißig
Das Haus war etwas von der Straße zurückgesetzt. Ein niedriger weißer Lattenzaun umgab einen gepflegten Garten. Salvatore Fiore und Joseph Colella trampelten durch die Blumen und bahnten sich ihren Weg zur Hintertür. Sie brauchten weniger als fünf Sekunden, um sie zu öffnen. Sie traten ein und bewegten sich auf die Treppe zu. Aus dem Schlafzimmer über ihren Köpfen konnten sie das Quietschen von Bettfedern und die Stimmen eines Mannes und einer Frau hören. Sie zogen ihre Revolver und stiegen lautlos die Treppe hinauf. Die Frauenstimme sagte: »Oh, mein Gott, du bist großartig, Mickey! Tu mir weh, Baby, bitte, tu mir weh.«
»Das ist alles für dich, Schätzchen, jeder Zentimeter. Komm noch nicht.«
»Oh, nein«, stöhnte die Frau. »Wir wollen zusammen kom...« Sie öffnete die Augen und schrie. Der Mann wirbelte herum, wollte unter das Kissen greifen, entschied dann aber dagegen.
»Okay«, sagte er. »Meine Geldbörse ist in der Hose auf dem Stuhl. Nehmt sie und verpißt euch. Ich bin beschäftigt.« Salvatore Fiore sagte: »Wir wollen deine Geldbörse gar nicht, Mickey.«
Der ärgerliche Ausdruck auf Mickey Nicolas Gesicht veränderte sich. Er setzte sich im Bett auf. Er bewegte sich vorsichtig und versuchte, die Situation zu begreifen. Die Frau hatte das Bettlaken über ihre Brüste gezogen. Ihr Gesicht war eine Mischung aus Wut und Furcht.
Nicola schwang vorsichtig seine Beine aus dem Bett und blieb auf dem Rand sitzen, bereit zu einem Blitzstart. Sein Glied war schlaff geworden. Er beobachtete die beiden Männer. Er wartete auf eine Gelegenheit. »Was wollt ihr?«
»Arbeitest du mit Frank Jackson?«
»Soll das ein Witz sein? Fickt euch selber!« Joseph Colella blickte seinen Partner an. »Schieß ihm die Eier ab!« Salvatore Fiore hob den Revolver und zielte.
Mickey Nicola schrie: »Warte eine Minute! Ihr müßt verrückt sein!« Er blickte in die Augen des kleinen Mannes und sagte rasch: »Ja, Mann, ich habe mit Jackson gearbeitet.« Die Frau rief ärgerlich: »Mickey!«
Er fuhr wütend zu ihr herum. »Halt's Maul! Glaubst du, ich will ein gottverdammter Eunuch werden?« Salvatore Fiore wandte sich der Frau zu und fragte: »Du bist Jacksons Schwester, oder nicht?«
Ihr Gesicht war rot vor Wut: »Ich habe den Namen noch nie gehört.«
Fiore hob seinen Revolver und bewegte sich näher an das Bett heran. »Du hast genau zwei Sekunden, und wenn du dann das Maul nicht aufmachst, findet ihr euer Gehirn an die Wand gespritzt wieder.«
Etwas in seiner Stimme ließ einen eisigen Schauer über ihren Rücken laufen. Er hob seinen Revolver noch mehr, und das Blut wich aus dem Gesicht der Frau. »Sag ihnen, was sie wissen wollen,«, schrie Mickey Nicola. Der Revolverlauf preßte sich gegen die linke Brust der Frau. »Nicht! Frank Jackson ist mein Bruder, ja!«