Eine kleine Verlegenheitspause entstand, und dann sagte Rosa sanft: »Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Mrs. Parker. Michael sagte mir, Sie seien sehr intelligent.« Antonio Granelli grunzte. »Es ist nicht gut für eine Frau, zu klug zu sein. Gehirn ist bei Männern besser aufgehoben.« Mit ernstem Gesicht sagte Michaeclass="underline" »Für mich ist Mrs. Parker wie ein Mann, Pa.«
Sie aßen in dem großen Eßzimmer zu Abend. »Sie sitzen neben mir«, befahl Antonio Granelli Jennifer. Michael saß neben Rosa. Thomas Colfax, der consigliere, saß Jennifer ge genüber, und sie konnte seine Feindseligkeit spüren.
Das Essen war hervorragend. Zuerst wurde eine Unmenge Antipasti serviert, und dann pasta fagioli. Es gab einen Salat mit Garbanzo und Champignons, Piccata, Linguini und gebackenes Huhn. Es schien, als nähmen die Speisen überhaupt kein Ende.
Im ganzen Haus waren keine Diener zu sehen, und Rosa sprang ununterbrochen auf, um den Tisch abzuräumen und Nachschub aus der Küche zu holen.
»Meine Rosa ist eine hervorragende Köchin«, erzählte Antonio Granelli Jennifer. »Sie ist beinahe so gut wie ihre Mutter. Nicht, Mike?«
»Ja«, antwortete Michael höflich.
»Seine Rosa ist eine wundervolle Ehefrau«, fuhr Antonio Granelli fort, und Jennifer fragte sich, ob es sich um eine beiläufige Bemerkung oder eine Warnung handelte. Michael bemerkte: »Du hast dein Kalbfleisch nicht aufgegessen.«
»Ich habe noch nie in meinem Leben so viel gegessen«, protestierte Jennifer.
Und es war noch nicht vorbei. Eine Schale mit frischem Obst wurde hereingetragen, eine Käseplatte, Eiscreme mit heißer Zabaglione, Zuckerplätzchen und Pfefferminzlikör. Jennifer wunderte sich, daß es Michael bei solchem Essen gelungen war, seine Figur zu halten.
Die Konversation war leicht und angenehm und hätte in jedem anderen italienischen Haushalt stattfinden können. Es fiel Jennifer schwer, zu glauben, daß diese Familie anders als andere Familien war.
Bis Antonio Granelli fragte: »Wissen Sie über die Unione Siciliana Bescheid?«
»Nein«, sagte Jennifer.
»Lassen Sie mich ein paar Worte darüber verlieren, Lady.«
»Pop - ihr Name ist Jennifer.«
»Das ist kein italienischer Name, Mike. Ich kann ihn mir nicht merken. Ich nenne Sie Lady, Lady. Okay?«
»Okay«, erwiderte Jennifer.
»Die Unione Siciliana fand sich in Sizilien zusammen, um die Armen gegen Unrecht und Ungerechtigkeiten zu schützen. Verstehen Sie, die Mächtigen haben die Armen ausgeraubt. Die Armen hatten nichts - kein Geld, keine Arbeit, keine Gerechtigkeit. Also wurde die Unione gebildet. Wenn irgendwo ein Unrecht geschah, gingen die Geschädigten zu den Mitgliedern der geheimen Bruderschaft, und sie wurden gerächt. Ziemlich bald wurde die Unione stärker als das Gesetz, denn sie war das Gesetz des Volkes. Wir glauben an die Worte der Bibel, Lady.« Er blickte Jennifer in die Augen. »Wenn jemand uns betrügt, rächen wir uns.« Die Botschaft war unmißverständlich.
Jennifer hatte immer geahnt, daß sie ein großes Risiko eingehen würde, wenn sie für die Organisation arbeitete, aber, wie die meisten Außenseiter, hatte sie eine falsche Vorstellung von der Beschaffenheit dieser Organisation. Die meisten Menschen stellten sich die Mafia als einen Haufen von Schurken vor, die im Hinterzimmer einer Kneipe herumsaßen, Mordaufträge vergaben und das Geld zählten, das Bordelle und Buchmacher ihnen einbrachten. Aber das war nur ein Teil des Bildes. Die Konferenzen, bei denen Jennifer anwesend war, verschafften ihr Einblicke in den Rest: Sie hatte es mit Geschäftsleuten zu tun, die auf einer atemberaubenden Bandbreite operierten. Ihnen gehörten Hotels und Banken, Restaurants und Casinos, Versicherungsgesellschaften und Fabriken, Baufirmen und ganze Krankenhausketten. Sie kontrollierten Gewerkschaften und Schiffahrtslinien. Sie waren im Plattengeschäft und verkauften Automaten. Ihnen gehörten Beerdigungsinstitute, Bäckereien und Ingenieurbüros. Ihr jährliches Einkommen bezifferte sich auf Milliarden. Wie sie sich all diese Geschäftszweige angeeignet hatten, ging Jennifer nichts an. Sie war nur für die Verteidigung zuständig, wenn einer von ihnen Ärger mit dem Gesetz bekam.
Robert Di Silva erhob gegen drei von Michael Morettis Männern Anklage, weil sie eine Gruppe von Imbißstuben um Schutzgebühren angegangen waren. Sie wurden der Verschwörung zum Zweck der Geschäftsstörung durch Erpressung beschuldigt sowie sieben weiterer Anklagepunkte der Rubrik Einmischung in den Handelsverkehr. Die einzige Zeugin gegen die Männer war eine Frau, der einer der Imbißstände gehört hatte.
»Sie wird uns aus den Schuhen pusten«, sagte Michael zu Jennifer. »Wir müssen uns ihrer annehmen.«
»Dir gehört doch ein Teil von einem Zeitschriftenverlag, oder?« wollte Jennifer wissen. »Ja. Aber was hat das mit Imbißständen zu tun?«
»Das wirst du schon merken.«
Jennifer kümmerte sich darum, daß ein Magazin der Zeugin eine große Summe für ihre Geschichte anbot. Die Zeugin ging darauf ein. Vor Gericht benutzte Jennifer das, um die Motive der Frau ins Zwielicht zu rücken, und die Beschuldigungen wurden fallengelassen.
Jennifers Verhältnis zu ihren Partnern in der Kanzlei hatte sich verändert. Als das Büro immer mehr Mafiafälle übernahm, kam Ken Bailey eines Tages in ihr Büro und sagte: »Was geht hier eigentlich vor? Du kannst nicht dabei bleiben, diese
Halunken zu verteidigen. Sie werden uns ruinieren.« »Mach dir darüber keine Sorgen, Ken. Sie werden bezahlen.« »Du kannst doch nicht so naiv sein. Am Ende wirst du bezahlen müssen. Spätestens dann, wenn sie dich am Haken haben.«
Weil sie wußte, daß er im Recht war, sagte Jennifer ärgerlich: »Ich will nichts mehr darüber hören, Ken.« Er sah sie lange an und sagte dann: »Einverstanden. Du bist der Boß.«
Die Gerichtsszene war eine kleine Welt, und Neuigkeiten verbreiteten sich schnell. Als bekannt wurde, daß Jennifer Parker Mitglieder der Organisation verteidigte, tauchten wohlmeinende Freunde bei ihr auf und wiederholten dasselbe, was ihr schon Richter Lawrence Waldman und Ken Bailey erzählt hatten.
»Wenn du dich mit solchen Leuten einläßt, wirst du mit derselben Bürste gestriegelt werden.«
Jennifer sagte allen das gleiche: »Jeder hat ein Recht auf einen fairen Prozeß.«
Sie wußte ihre Warnungen zu schätzen, aber sie fand sie in ihrem Fall nicht zutreffend. Sie gehörte nicht zur Organisation, sie verteidigte lediglich einige ihrer Mitglieder. Sie war ein Anwalt wie ihr Vater und sie würde nichts tun, das ihn dazu gebracht hätte, sich für sie zu schämen. Es gab den Dschungel, natürlich, aber sie war immer noch draußen.
Pater Ryan war zu Besuch gekommen. Diesmal bat er nicht um Hilfe für eines seiner Schäfchen.
»Ich mache mir Sorgen um Sie, Jennifer. Ich habe gehört, daß Sie - nun, die falsche n Leute vertreten.«
»Wer sind die falschen Leute? Haben Sie die Menschen gerichtet, die Sie um Hilfe gebeten haben? Halten Sie Leute von Gott fern, weil sie gesündigt haben?«
Pater Ryan schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht. Aber es ist eine Sache, wenn ein Mensch einen Fehler begeht. Eine ganz andere Sache ist es dagegen, wenn Korruption und Verbrechen organisiert sind. Wenn Sie diesen Leuten helfen, billigen Sie damit ihr Tun. Sie tragen dazu bei.«
»Nein, Pater Ryan. Ich bin Anwalt. Ich helfe Leuten aus ihren Schwierigkeiten.«
Jennifer lernte Michael Moretti besser kennen als jeder vor ihr. Ihr gegenüber gab er sich Blößen, die er niemals zuvor jemandem gezeigt hatte. Im Grunde war er ein einsamer, verschlossener Mann, und Jennifer hatte es als einzige geschafft, ihn aus seinem Schneckenhaus hervorzulocken. Sie hatte das Gefühl, daß er sie brauchte, und dieses Gefühl hatte sie bei Adam nie gehabt. Michael hatte sie auch dazu gebracht, zuzugeben, wie sehr sie ihn brauchte. Er hatte Regungen in ihr bloßgelegt - wilde, atavistische Leidenschaften -, die sie immer unterdrückt und vor denen sie Angst gehabt hatte. Bei Michael hatte sie keine Hemmungen. Wenn sie zusammen im Bett waren, gab es kein Halt, keine Barrieren. Nur Lust und Befriedigung in einem Ausmaß, da s Jennifer nie für möglich gehalten hätte.