»Wo ist er jetzt?«
»Im 17. Revier.«
»Ich bin auf dem Weg, Michael.«
Jennifer zog sich ein Kleid an, ging hinunter in die Küche und kochte sich eine Tasse Kaffee. Sie trank den Kaffee im Frühstückszimmer, starrte in die Nacht hinaus und dachte nach. Drei Zeugen. Und alle haben ihn genau gesehen.
Sie hob den Hörer des Telefons ab und wählte. Sie verlangte die Stadtverwaltung und dort den Raum, wo die Gerichtsreporter auf Neuigkeiten warteten. Dann sagte sie hastig: »Ich habe eine Information für euch. Ein Bursche namens Eddie Santini ist gerade wegen bewaffneten Raubüberfalls verhaftet worden. Sein Anwalt ist Jennifer Parker. Sie wird versuchen, ihn rauszuholen.«
Sie hängte auf und wiederholte den Anruf bei zwei Zeitungsredaktionen und einem Fernsehsender. Als sie fertig war, blickte sie auf die Uhr und trank in aller Ruhe noch eine zweite Tasse Kaffee. Sie wollte sicher sein, daß die Reporter genug Zeit hatten, um das 17. Revier zu erreichen. Sie ging wieder nach oben und zog sich fertig an. Bevor sie das Haus verließ, warf sie noch einen Blick in Joshuas Schlafzimmer. Sein Nachtlicht brannte. Er schlief fest, die Bettlaken hatten sich um seinen ruhelosen Körper geschlungen. Jennifer glättete vorsichtig die Laken, küßte Joshua auf die Stirn und bewegte sich auf Zehenspitzen aus dem Raum. »Wohin gehst du?«
Sie drehte sich um. »Ich gehe zur Arbeit. Schlaf schön weiter.«
»Wie spät ist es?«
»Es ist vier Uhr morgens.«
Joshua kicherte. »Für eine Dame arbeitest du zu ziemlich seltsamen Zeiten.«
Sie ging zurück zu ihm ans Bett. »Und für einen Mann schläfst du zu ziemlich seltsamen Zeiten.«
»Schauen wir uns heute abend das Spiel der Mets an?«
»Darauf kannst du wetten. Und jetzt zurück ins Reich der Träume.«
»Okay, Mama. Viel Erfolg.« »Danke, Kumpel.«
Einige Minuten später saß Jennifer im Wagen und war unterwegs nach Manhattan.
Als Jennifer eintraf, wartete der Fotograf der Daily News als einziger einsam und allein vor dem Revier. Er starrte Jennifer an und sagte: »Es stimmt tatsächlich! Übernehmen Sie den Fall Santini?«
»Woher wissen Sie das?« fragte Jennifer. »Ein kleines Vögelchen hat's gezwitschert.«
»Sie verschwenden Ihre Zeit. Keine Bilder.« Sie ging hinein und kümmerte sich um Eddie Santinis Kaution, wobei sie die Prozedur in die Länge zog, bis sie sicher sein konnte, daß ein Kameramann des Fernsehens sowie ein Reporter und Fotograf der New York Times eingetroffen waren. Auf die Post konnte sie nicht mehr warten. Der Captain vom Dienst sagte: »Da draußen sind einige Reporter und Fernsehleute, Miß Parker. Wenn Sie wollen, können Sie hinten 'rausgehen.«
»Danke«, sagte Jennifer. »Mit denen werde ich schon fertig.« Sie führte Eddie Santini zum Haupteingang, wo die Fotografen und Reporter warteten. Sie sagte: »Bitte Herrschaften, keine Bilder.« Und trat zur Seite, während das Blitzlichtgewitter losbrach. Ein Reporter fragte: »Was ist an diesem Fall so Besonderes, daß Sie ihn übernehmen?«
»Das werden Sie morgen herausfinden. In der Zwischenzeit möchte ich Ihnen den guten Rat geben, diese Bilder nicht zu verwenden.«
Einer der Reporter rief: »Aber, aber, Jennifer! Haben Sie noch nie was von Pressefreiheit gehört?«
Gegen Mittag erhielt Jennifer einen Anruf von Michael Moretti. Seine Stimme klang verärgert. »Hast du die Zeitungen gesehen?«
»Nein.«
»Eddie Santinis Bild ist auf allen Titelseiten und in den Fernsehnachrichten. Ich habe dir nicht gesagt, daß du diese Sache in einen verdammten Zirkus verwandeln sollst.«
»Ich weiß. Es war meine eigene Idee.«
»Jesus! Weswegen?«
»Wegen der drei Zeugen, Michael.«
»Was ist mit ihnen?«
»Du hast gesagt, sie haben ihn genau gesehen. Nun, wenn ich sie im Zeugenstand habe, werden sie erst mal beweisen müssen, daß sie ihn nicht anhand der Bilder in den Zeitungen und dem Fernsehen identifiziert haben.«
Michael schwieg lange, und dann sagte er bewundernd: »Ich bin vielleicht ein idiotischer Hurensohn!« Jennifer mußte lachen.
Als sie an diesem Nachmittag in ihr Büro ging, wartete Ken Bailey schon auf Jennifer. Sie merkte sofort an seinem Gesichtsausdruck, daß etwas nicht stimmte. »Warum hast du es mir nicht gesagt?« wollte Ken wissen. »Was nicht gesagt?«
»Das mit dir und Michael Moretti.«
Jennifer unterdrückte die Antwort, die ihr auf den Lippen lag. Nur Das geht dich nichts an zu sagen, wäre zu einfach gewesen. Ken war ihr Freund; er sorgte sich um sie. Es ging ihn etwas an. Sie hatte nichts vergessen - das kleine, schäbige Büro, das sie geteilt hatten, und wie hilfreich er ihr gewesen war. Ein Freund von mir, ein Rechtsanwalt, bekniet mich die ganze Zeit, damit ich einige Vorladungen für ihn zustelle, aber ich habe keine Zeit. Er zahlt zwölf Dollar fünfzig für jede Vorladung, plus Kilometergeld. Würden Sie das für mich tun? »Ken, laß uns dieses Thema vergessen.« Seine Stimme war voll kalter Wut.
»Warum? Jeder andere spricht darüber. Man sagt, du seist Morettis Freundin.« Sein Gesicht war blaß. »Mein Gott!«
»Mein Privatleben...«
»Er lebt in einer Kloake, und du hast die Kloake in unser Büro gebracht. Du hast uns alle für Moretti und seine Gangster arbeiten lassen.«
»Hör auf!«
»Das werde ich auch tun. Deswegen bin ich hier. Ich gehe.« Seine Worte trafen Jennifer wie ein Faustschlag. »Das kannst du nicht tun. Du hast eine falsche Meinung von Michael. Wenn du ihn kennen würdest, müßtest du...« Im gleichen Augenblick wußte Jennifer, daß sie einen Fehler begangen hatte.
Ken blickte sie traurig an und sagte: »Er hat dich wirklich eingewickelt, was? Es gab eine Zeit, da wußtest du, wer du warst. Das ist das Mädchen, das ich in Erinnerung behalten möchte. Sag Joshua in meinem Namen auf Wiedersehen.« Und Ken Bailey war verschwunden.
Jennifer spürte, wie ihr Tränen in die Augen traten, und ihre Kehle zog sich zusammen, so daß sie kaum atmen konnte. Sie legte den Kopf auf den Tisch und schloß die Augen, um den Schmerz zu verbannen.
Als sie die Augen wieder öffnete, war die Nacht hereingebrochen. Das Büro lag im Dunkeln, abgesehen von dem unheimlichen roten Glühen der Lichter der Stadt vor dem Fenster. Jennifer ging ans Fenster. Die Stadt sah aus wie ein Dschungel bei Nacht, kaum erhellt von einem verlöschenden Lagerfeuer, das die herankriechenden Schrecken fernhalten sollte. Es war Michaels Dschungel, und kein Weg führte heraus.
43
Der mit lärmenden, singenden Delegierten aus dem ganzen Land gefüllte Cow Palace in San Francisco erinnerte an ein Irrenhaus. Drei Kandidaten wetteiferten um die Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten, und jeder hatte sich in den Vorwahlen gut geschlagen. Aber der Star, der alle anderen übertraf, war Adam Warner. Im fünften Durchgang war er einstimmig nominiert worden. Seine Partei hatte endlich einen Kandidaten, auf den sie stolz sein konnte. Der amtierende Präsident und Führer der Oppositionspartei hatte den Tiefpunkt seiner Glaubwürdigkeit erreicht und wurde von der Mehrheit des Volkes abgelehnt.
»Falls du nicht gerade in den Abendnachrichten deinen Schwanz rausholst und die Kamera anpinkelst«, meinte Stewart Needham zu Adam, »wirst du der nächste Präsident der Vereinigten Staaten sein.«
Nach der Nominierung flog Adam nach New York, um sich im Regency Hotel mit Needham und verschiedenen einflußreichen Mitgliedern der Partei zu treffen. Ebenfalls anwesend war ein Mann namens Blair Roman, Chef der zweitgrößten Werbeagentur des Landes. Stewart Needham sagte: »Blair wird für die Öffentlichkeitsarbeit während deines Wahlkampfes verantwortlich sein, Adam.«
»Kann Ihnen gar nicht sagen, wie froh ich bin, an Bord zu sein«, grinste Blair Roman. »Sie werden mein dritter Präsident.«
»Wirklich?« Adam war nicht sonderlich beeindruckt von Roman.