Sie wanderten über den farbenprächtigen Markt gegenüber von Sanborn's in der Altstadt, wo an Hunderten von Ständen eine verwirrende Vielfalt von Waren verkauft wurde. Am späten Nachmittag nahmen sie eine calandria, eine Pferdekutsche, nach Pie de la Cuesta, dem Strand des Sonnenuntergangs, und kehrten danach in die Stadt zurück.
Sie aßen in Armando's Le Club zu Abend. Die Speisen waren hervorragend.
»Ich liebe mexikanisches Essen«, erklärte Joshua. »Das freut mich«, sagte Jennifer. »Bloß ist dies hier französisch.«
»Na gut, aber es hat einen mexikanischen Geschmack.«
Der Samstag war vom Morgen bis Abend ausgefüllt. Am Vormittag gingen sie an der Quebrada einkaufen, wo die schöneren Geschäfte lagen, und anschließend nahmen sie ein mexikanisches Mittagessen im Coyuca 22 ein, und Joshua sagte: »Ich vermute, du willst mir erzählen, dies ist auch französisch, oder?«
»Nein, dies ist original mexikanisch, Gringo.« »Was ist ein Gringo?« »Du bist einer, Amigo.«
Als Jennifer vorschlug, ins Hotel zurückzugehen, fragte Joshua: »Können wir nicht vorher noch die Felsenspringer anschauen?«
Der Geschäftsführer des Hotels hatte sie am Morgen erwähnt.
»Bist du sicher, daß du dich nicht ausruhen möchtest, Joshua?«
»Ach so, wenn du müde bist, sicher. Ich vergesse immer, wie alt du schon bist.«
»Vergiß mein Alter«, sagte Jennifer. Sie wandte sich an Mrs. Mackey. »Sind Sie dabei?«
»Klar«, stöhnte Mrs. Mackey.
Die Vorstellung fand bei den Klippen von La Quebrada statt. Jennifer, Joshua und Mrs. Mackey standen auf einer Aussichtsplattform, während sich die Springer mit brennenden Fackeln fünfzig Meter tief in eine schmale Felsenbucht warfen, wobei sie ihren Sprung genau auf die anrollenden Brecher abstimmten. Der kleinste Fehler in der Berechnung hätte ihren sofortigen Tod bedeutet.
Als die Vorstellung vorbei war, ging ein Junge herum und sammelte für die Springer. »Un peso, por favor.« Jennifer gab ihm fünf Pesos. In dieser Nacht träumte sie von den Felsenspringern.
Las Brisas hatte seinen eigenen Strand, La Concha, und früh am Sonntagmorgen fuhren Jennifer, Joshua und Mrs. Mackey in einem der rosafarbenen, mit Baldachinen überdeckten Jeeps, die das Hotel seinen Gästen zur Verfügung stellte, hinunter zum Meer. Das Wetter war vollkommen. Der Hafen war eine glitzernde blaue Leinwand, besprenkelt mit Segeln und Motorbooten.
Joshua stand am Geländer der Terrasse und beobachtete die vorbeirasenden Wasserskifahrer.
»Wußtest du, daß Wasserski in Acapulco erfunden wurde, Mama?«
»Nein. Wo hast du das gehört?«
»Entweder habe ich es in einem Buch gelesen oder erfunden.«
»Ich tippe auf ›erfunden‹.«
»Soll das heißen, daß ich nicht Wasserski fahren darf?«
»Diese Motorboote sind ziemlich schnell. Hast du keine Angst?«
Joshua blickte zu den Skifahrern hinaus, die über das Wasser flogen. »Dieser Mann hat gesagt, ›Ich schicke dich nach Hause zu Jesus‹. Und dann hat er einen Nagel in meine Hand geschlagen.«
Es war die erste Anspielung, die er auf die schrecklichen Quälen machte, die er durchlitten hatte.
Jennifer kniete nieder und legte ihre Arme um den Jungen. »Wie kommt es, daß du gerade jetzt daran gedacht hast,Joshua?«
Er zuckte mit den Achseln. »Ich weiß nicht. Ich schätze, weil Jesus auf dem Wasser gegangen ist und die da draußen auch alle auf dem Wasser gehen.« Er sah den erschreckten Ausdruck auf dem Gesicht seiner Mutter. »Entschuldige, Mama. Ich denke nicht oft daran, ehrlich.«
Sie umarmte ihn fest und sagte: »In Ordnung, Liebling. Natürlich kannst du Wasserski fahren. Aber zuerst essen wir zu Mittag.«
Das Restaurant von La Concha hatte schmiedeeiserne Tische mit rosa Decken und rosaweiß gestreifte Sonnenschirme im Freien. Es gab ein Büffet, und der Selbstbedienungstisch war mit einer unglaublichen Auswahl von Speisen bedeckt. Frischer Hummer, Krabben und Lachs wechselten mit kaltem und warmem Fleisch ab, umgeben von Salaten, einer Vielfalt von rohem und gekochtem Gemüse, Käse und Früchten. Ein Extratisch bot eine Reihe frisch zubereiteter Desserts an. Joshua füllte und leerte seinen Teller dreimal, ehe er sich endlich gesättigt zurücklehnte.
»Es ist ein sehr gutes Restaurant«, betonte er, »ganz egal, was für Essen es ist.« Er stand auf. »Ich sehe mich jetzt mal um wegen des Wasserskis.«
Mrs. Mackey hatte ihr Essen kaum berührt. »Fühlen Sie sich nicht gut?« fragte Jennifer. »Sie haben noch keinen Bissen gegessen, seit wir angekommen sind.« Mrs. Mackey beugte sich vor und flüsterte düster: »Ich möchte nicht das Opfer von Montezumas Rache werden.«
»Ich glaube nicht, daß Sie sich an einem Ort wie diesem deswegen Sorgen bereiten müssen.«
»Ich halte nichts von ausländischem Essen«, schnüffelte Mrs. Mackey.
Joshua kam an den Tisch gerannt und sagte: »Ich habe ein Boot bekommen. Können wir jetzt gehen, Mama?«
»Möchtest du nicht noch eine Weile warten?« »Weswegen?«
»Joshua, du wirst wie ein Stein untergehen, nach allem, was du gegessen hast.« »Laß es mich probieren«, bettelte er.
Während Mrs. Mackey am Strand zurückblieb, stiegen Jennifer und Joshua in das Motorboot, und Joshua hatte seine erste Wasserskistunde. Die ersten fünf Minuten fiel er fortwährend um, aber danach zeigte er die Leistung eines geborenen Wasserskifahrers. Bevor der Nachmittag vorbei war, vollführte er Kunststücke auf einem Ski und glitt schließlich sogar ohne Bretter auf den Fersen über das Wasser. Den Rest des Nachmittags verbrachten sie damit, faul im Sand zu liegen oder zu schwimmen.
Auf dem Rückweg nach Las Brisas im Jeep kuschelte sich Joshua an Jennifer und sagte: »Weißt du was, Mama? Ich glaube, heute war wahrscheinlich der schönste Tag meines ganzen Lebens.«
Michaels Bemerkung blitzte in ihr auf: Ich möchte Ihnen sagen, daß dies die schönste Nacht meines Lebens war.
Am Montag stand Jennifer früh auf und zog sich an, um zum Kongreß zu gehen. Sie entschied sich für einen fließenden, langen dunkelgrünen Rock und eine schulterfreie, mit großen roten Rosen bestickte Bluse, die ihre Sonnenbräune sehen ließ. Sie musterte sich im Spiegel und war zufrieden. Trotz der Tatsache, daß Joshua sie bereits für jenseits von Gut und Böse hielt, wirkte sie eigentlich eher wie seine schöne, vierunddreißig Jahre alte Schwester. Sie lachte über sich und dachte, daß dieser Urlaub eine gute Idee gewesen war. Mrs. Mackey trug sie auf, sich um Joshua zu kümmern, während sie arbeitete, und ihn nicht zu lange in die Sonne zu lassen.
Der riesige Kongreßkomplex bestand aus einer Gruppe von fünf Gebäuden, die durch überdachte Terrassen miteinander verbunden waren. Er erhob sich auf einer leuchtenden Grünanlage von über fünfunddreißig Morgen, deren gepflegte Rasenflächen mit präkolumbianischen Statuen geschmückt waren. Der Konvent des Anwaltsvereins wurde im Teotihuacan, der Haupthalle, abgehalten, die rund siebentausendfünfhundert Menschen faßte.
Jennifer ging zur Rezeptionstheke, trug sich ein und betrat die riesige Halle. In der Menge erblickte sie Dutzende von Freunden und Bekannten. Fast alle hatten sich statt konservativer Geschäftsanzüge für bunte Freizeithemden und Hosen entschieden, so daß es wirkte, als verbringe hier jeder seinen Urlaub.
Jennifer hatte an der Tür ein Programm erhalten, aber nicht hineingeschaut, weil sie in ein Gespräch mit Bekannten vertieft gewesen war.
Eine tiefe Stimme drang aus dem Lautsprecher. »Achtung, bitte! Würden S ie sich bitte alle hinsetzen? Achtung, bitte! Wir würden gern anfangen. Würden Sie sich bitte hinsetzen!«
Nur zögernd lösten sich die kleinen Gruppen auf, als die einzelnen Teilnehmer ihre Sitze suchten. Jennifer blickte auf und sah, daß ein halbes Dutzend Männer auf das Podium gestiegen waren. In der Mitte war Adam Warner. Jennifer stand wie erstarrt, als Adam zu dem Stuhl am Mikrofon ging und sich hinsetzte. Ihr Herz schlug wild. Sie hatte Adam das letzte Mal in dem kleinen italienischen Restaurant gesehen, an dem Tag, an dem er ihr gesagt hatte, daß Mary Beth schwanger war.