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Ihr erster Impuls war, zu fliehen. Sie hatte keine Ahnung gehabt, daß Adam hier sein würde, und sie konnte den Gedanken nicht ertragen, ihm plötzlich gegenüberzustehen. Daß Adam und sein Sohn in derselben Stadt waren, erfüllte sie mit Panik. Sie wußte, daß sie die Halle schnell verlassen mußte. Sie wollte sich gerade umdrehen, als der Vorsitzende über den Lautsprecher verkündete: »Wenn sich auch die letzten von Ihnen noch setzen könnten, wären wir soweit.« Alle anderen hatten sich hingesetzt, nur Jennifer stand noch. Um nicht aufzufallen, glitt sie in einen Sitz, fest entschlossen, bei der ersten Gelegenheit hinauszuschlüpfen. Der Vorsitzende sagte: »Wir fühlen uns geehrt, als Gastredner heute einen Kandidaten für das Präsidentenamt der Vereinigten Staaten unter uns zu haben. Er ist Mitglied der New Yorker Anwaltskammer und einer der profiliertesten Männer im amerikanischen Senat. Meine Damen und Herren, ich bin stolz, Ihnen unseren prominenten Gast vorstellen zu dürfen: Senator Adam Warner!

Adam Warner stand auf, von warmem Applaus begrüßt, trat ans Mikrofon und ließ seine Augen über das Auditorium schweifen. »Danke, meine Damen und Herren.«

Adams Stimme war voll und kräftig. Eine hypnotisierende Aura von Autorität umgab ihn. Die Stille in der Halle war vollkommen.

»Es gibt eine Vielzahl von Gründen, aus denen wir heute hier versammelt sind.« Adam machte eine Pause. »Einige von uns schwimmen gern, andere tauchen lieber...« Eine Welle anerkennenden Gelächters rollte zum Rednerpult vor. »Aber der Hauptgrund für unsere Anwesenheit liegt im Austausch von Ideen, Erfahrungen und neuen Vorstellungen. Rechtsanwälte sind heute mehr Angriffen ausgesetzt als zu irgendeiner Zeit, an die ich mich erinnern könnte. Sogar der Vorsitzende des Obersten Gerichtshofes hat unseren Berufsstand scharf kritisiert.«

Jennifer war begeistert davon, wie er sich durch das kleine Wort uns zu einem Teil der im Saal versammelten Männer und Frauen machte. Sie ließ seine Worte an sich vorbeirauschen, zufrieden, ihn nur ansehen, seine Stimme, seine Bewegungen wahrnehmen zu können. An einer Stelle hielt er inne und fuhr sich mit den Fingern durch das Haar, und Jennifer fühlte einen Stich. Genauso fuhr sich Joshua oft durch das Haar. Adams Sohn war nur wenige Meilen entfernt, und Adam würde es nie erfahren.

Seine Stimme schwoll an. »Einige von Ihnen sind Strafverteidiger. Ich muß gestehen, daß ich diesen Zweig immer als den aufregendsten unseres Berufsstandes betrachtet habe. Strafverteidiger haben es nicht selten mit Leben und Tod zu tun. Es ist ein sehr ehrenwerter Beruf, auf den wir alle stolz sein können. Allerdings...«, seine Stimme wurde hart, »... sind einige von ihnen auch eine Schande für den Eid, den sie geleistet haben.« Jennifer bemerkte, daß Adam sich jetzt distanzierte, indem er sie statt uns sagte. »Das amerikanische System der Rechtsprechung basiert auf dem Recht eines jeden Bürgers auf einen fairen Prozeß. Aber wenn man sich über das Gesetz lustig macht, wenn Anwälte ihre Zeit und Energie, ihre Phantasie und ihr Talent darauf verschwenden, dieses Recht herauszufordern und die Gerechtigkeit zu pervertieren, dann ist es an der Zeit, daß etwas getan wird.« Jedes Gesicht im Raum war nach vorn gerichtet, wo Adam mit flammenden Augen seine Rede hielt. »Meine Damen und Herren, ich spreche aus persönlicher Erfahrung und aus tiefer Sorge über einiges, was um mich herum passiert. Gegenwärtig führe ich den Vorsitz in einem Senatsausschuß zur Untersuchung des organisierten Verbrechens in den Vereinigten Staaten. Mein Komitee ist immer wieder enttäuscht und frustriert worden von diesen Menschen, die sich für mächtiger halten als die höchste unserer Behörden. Ich habe bestochene Richter gesehen, habe die Angst in den Gesichtern der Familien von Zeugen bemerkt und miterlebt, wie Schlüsselzeugen plötzlich verschwunden sind. Das organisierte Verbrechen in unserem Land ist wie eine tödliche Python, die unsere Wirtschaft erwürgt, unsere Gerichte verschlingt und unser aller Leben bedroht. Die große Mehrheit aller Anwälte sind ehrliche Männer und Frauen, die ihre Arbeit auf anständige Weise erledigen. Aber ich warne diejenigen, die glauben, ihr Recht sei besser als unser Recht. Sie begehen einen schweren Fehler, und Sie werden für diesen Fehler bezahlen.

Danke.« Als Adam sich setzte, brach tobender Applaus los, der sich zu einer stehenden Ovation steigerte. Jennifer sprang mit den anderen auf und klatschte, aber die letzten Worte gingen ihr nicht aus dem Kopf. Es war, als hätte Adam sie ganz persönlich angesprochen. Jennifer wandte sich um und drängte sich durch die Menge zum Ausgang.

Als sie die Tür fast erreicht hatte, wurde sie von einem mexikanischen Kollegen begrüßt, mit dem sie vor einem Jahr zusammengearbeitet hatte. Galant küßte er ihr die Hand und sagte: »Welch eine Ehre, Sie wieder einmal in unserem Land zu haben, Jennifer. «Ich bestehe darauf, daß Sie heute abend mit mir essen.«

Jennifer und Joshua wollten an diesem Abend ins Maria Elena gehen, um sich die einheimischen Tänzer anzusehen. »Es tut mir leid, Luis. Ich bin schon verabredet.« Seine großen, feuchten Augen zeigten seine Enttäuschung. »Dann morgen?«

Bevor Jennifer antworten konnte, war ein Staatsanwalt aus New York an ihrer Seite.

»Hallo Sie«, sagte er. »Wieso treiben Sie sich mit dem einfachen Volk herum? Wie wär's, wenn Sie heute mit mir zu Abend essen würden? Ich kenne eine mexikanische Disco namens Nepentha mit einem von unten beleuchteten Glasboden und einem Spiegel an der Decke.«

»Klingt faszinierend, danke. Aber ich habe schon etwas vor.« Wenige Augenblicke später fand sie sich umgeben von Anwälten aus dem ganzen Land, mit denen und gegen die sie im Lauf der Zeit gearbeitet hatte. Sie war eine Berühmtheit, und jeder wollte mit ihr sprechen. Es dauerte eine halbe Stunde, ehe sie sich freimachen konnte. Sie eilte durch die Lobby, und als sie auf einen der Ausgänge zuging, sah sie plötzlich, wie Adam sich inmitten eines Pulks von Journalisten und Sicherheitsbeamten auf sie zubewegte. Sie versuchte, sich zurückzuziehen, aber es war zu spät. Adam hatte sie entdeckt.

»Jennifer!«

Für einen Moment erwog sie, so zu tun, als hätte sie ihn nicht gehört, aber sie konnte ihn nicht vor allen anderen in Verlegenheit bringen. Sie würde ihn kurz begrüßen und dann schnell wieder verschwinden.

Sie sah Adam auf sich zukommen, hörte, wie er die Presse abwimmelte. »Mehr habe ich nicht zu sagen, meine Damen und Herren.«

Einen Herzschlag später berührte er ihre Hand, blickte ihr in die Augen, und es war, als hätten sie sich nie getrennt. Sie standen in der Lobby, umgeben von all den Menschen, und dennoch waren sie völlig allein.

Endlich sagte Adam: »Ich glaube, wir brauchen einen Drink.«

»Ich glaube, wir sollten darauf verzichten.« Sie mußte weg von diesem Ort.

Adam schüttelte den Kopf. »Abgelehnt.« Er nahm ihren Arm und führte sie in die überfüllte Bar. Sie fanden einen Tisch ganz hinten im Raum. »Ich habe dir geschrieben und versucht, dich anzurufen«, sagte Adam. »Du hast nie reagiert.«

Seine Augen standen voller Fragen. »Es gab nicht einen Tag in der Vergangenheit, an dem ich nicht an dich gedacht habe. Warum bist du verschwunden?«

»Es gehörte zu meinem Zaubertrick«, sagte Jennifer leichthin. Ein Kellner nahm ihre Bestellung auf. »Was möchtest du haben?« fragte Adam.

»Nichts. Ich muß wirklich gehe n, Adam.«

»Du kannst jetzt nicht gehen. Dies ist ein Anlaß zum Feiern. Der Jahrestag der Revolution.«

»Ihrer oder unserer?«

»Wo liegt der Unterschied?« Er wandte sich an den Kellner. »Zwei Margaritas.« »Nein, ich...« Na gut, dachte sie, einen Drink. »Einen doppelten für mich«, sagte sie tollkühn. Der Kellner nickte und verschwand.