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»Natürlich. Warum schaust du so komisch? Hast du Kummer? Möchtest du dich von Mann zu Mann unterhalten?« Sie lächelte. »Nein, Liebling. Ich habe nur - tut dir irgend etwas weh?«

Er stöhnte. »Das kann man wohl sagen. Die Mets verlieren sechs zu fünf. Weißt du, was in der ersten Halbzeit passiert ist?«

Aufgeregt begann er, die Heldentaten seiner Lieblingsmannschaft zu rekapitulieren. Jennifer stand da, betrachtete ihn hingerissen und dachte: Meine verdammte Einbildung! Natürlich ist er gesund.

»Schau dir den Rest des Spiels an. Ich kümmere mich um das Abendessen.«

Erleichtert ging Jennifer in die Küche. Sie beschloß, einen Bananenkuchen zu machen, eines von Joshuas Lieblingsgerichten.

Als Jennifer dreißig Minuten später wieder in das Fernsehzimmer ging, lag Joshua bewußtlos auf dem Boden.

Die Fahrt zum Blinderman Memorial Hospital schien eine Ewigkeit zu dauern. Jennifer saß hinten im Ambulanzwagen und preßte Joshuas Hand. Ein Sanitäter hielt eine Sauerstoffmaske gegen das Gesicht des Jungen. Er hatte das Bewußtsein nicht wiedererlangt. Die Sirene des Krankenwagens heulte durchdringend, aber der Verkehr war zähflüssig, und der Wagen konnte nur langsam fahren, während neugierige Passanten durch die Scheiben auf die bleiche Frau und den bewußtlosen Jungen gafften.

»Warum gibt es in Krankenwagen keine Einwegfenster?« fragte Jennifer.

Der Sanitäter blickte irritiert auf. »Bitte?«

»Nichts... nichts.«

Nach einer scheinbar unendlichen Fahrt hielt die Ambulanz am Noteingang hinter dem Hospital. Zwei Assistenzärzte warteten bereits an der Tür. Hilflos sah Jennifer zu, wie Joshua aus dem Krankenwagen auf eine fahrbare Bahre gehoben wurde.

Ein Pfleger fragte: »Sind Sie die Mutter des Jungen?«

»Ja.«

»Hier lang, bitte.«

Danach erschien Jennifer alles wie ein verwischter, kaleidoskopartiger Eindruck von Geräuschen, Licht und Bewegungen. Sie sah, wie Joshua einen langen weißen Korridor hinunter in einen Röntgenraum gerollt wurde. Sie wollte ebenfalls hineingehen, aber der Pfleger sagte: »Sie müssen ihn erst eintragen.«

Eine dünne Frau am Empfangstisch fragte Jennifer: »Wie wollen Sie für die Behandlung aufkommen? Sind Sie im Blauen Kreuz oder in einer anderen Versicherung?« Jennifer mußte sich davon abhalten, die Frau anzubrüllen. Sie wollte zurück an Joshuas Seite, aber sie zwang sich, die Fragen zu beantworten.

Als sie vorbei waren und Jennifer verschiedene Formulare ausgefüllt hatte, erlaubte die Frau ihr, zu gehen.

Sie lief zum Röntgensaal und ging hinein. Der Raum war leer. Joshua war weg. Jennifer lief zurück in den Flur und blickte gehetzt in beide Richtungen. Eine Schwester näherte sich. Jennifer packte ihren Arm. »Wo ist mein Sohn?« Die Schwester sagte: »Ich weiß nicht. Wie heißt er?«

»Joshua. Joshua Parker.«

»Wo haben Sie ihn verlassen?«

»Er - er sollte geröntgt werden... er...« Sie war unfähig, zusammenhängend zu reden. »Was haben sie mit ihm gemacht? Sagen Sie es mir!«

Die Schwester sah Jennifer genauer an und sagte dann: »Warten Sie hier, Mrs. Parker. Ich werde versuchen, es herauszufinden.«

Ein paar Minuten später kehrte sie zurück. »Dr. Morris würde gern mit Ihnen sprechen. Kommen Sie bitte mit.« Jennifer stellte fest, daß ihre Beine zitterten. Das Laufen fiel ihr schwer.

»Geht es Ihnen gut?« Die Schwester starrte sie an. Jennifers Mund war trocken vor Angst. »Ich will meinen Sohn.«

Sie gelangten zu einem Raum, der mit fremdartig aussehenden Instrumenten gefüllt war. »Warten Sie hier, bitte.« Dr. Morris kam ein paar Augenblicke später. Er war sehr dick, hatte ein rotes Gesicht und Nikotinflecken an den Fingern. »Mrs. Parker?«

»Wo ist Joshua?«

»Treten Sie einen Augenblick herein, bitte.« Er führte Jennifer in einen kleinen Büroraum.

Jennifer nahm Platz. »Joshua ist... ist es... es ist doch nichts Ernstes, oder, Doktor?«

»Das wissen wir noch nicht.« Seine Stimme war überraschend hell für einen Mann seines Umfangs. »Ich brauche einige Informationen. Wie alt ist Ihr Sohn?«

»Er ist erst sieben.«

Das erst war ihr herausgerutscht, ein Verweis für Gott. »Hatte er kürzlich einen Unfall?«

Blitzartig stieg vor Jennifers Augen das Bild vo n Joshua auf, wie er ihr zuwinkte, das Gleichgewicht verlor und gegen die Planken stürzte. »Er - er ist beim Wasserski gestürzt. Er hat sich eine Beule am Kopf geholt.« Der Arzt kritzelte Notizen. »Wie lange ist das her?«

»Ich... ein paar... ein paar Tage. In Acapulco.« Es war schwierig, logisch zu denken. »Wirkte er nach dem Unfall normal?«

»Ja. Er hatte eine Beule am Hinterkopf, aber davon abgesehen wirkte er in Ordnung.« »Haben Sie irgendeinen Gedächtnisverlust bemerkt?« »Nein.«

»Keine Veränderungen in seinem Wesen?« »Nein.«

»Keine Krämpfe? Ein steifer Nacken oder Kopfschmerzen?« »Nein, nichts.«

Der Arzt hörte auf zu schreiben und blickte Jennifer an. »Ich habe ihn röntgen lassen, aber das Ergebnis war nicht befriedigend. Ich möchte sein Gehirn gern fotografieren lassen.«

»Sein...?«

»Mit einer neuen, computergesteuerten Maschine aus England, die das Innere des Gehirns ablichten kann. Es kann sein, daß ich danach noch ein paar weitere Tests mit ihm machen möchte. Sind Sie damit einverstanden?«

»Wewewenn...«, stotterte sie, »wenn es notwendig ist. Es - es wird ihm nicht weh tun, oder?«

»Nein. Eventuell muß ich auch eine Punktion des Rückgrats vornehmen.« Er jagte ihr Angst ein.

Sie zwang sich zu fragen: »Was hat er, Ihrer Meinung nach? Was ist mit meinem Sohn?« Sie erkannte den Klang ihrer eigenen Stimme nicht wieder.

»Ich würde es vorziehen, keine Vermutungen zu äußern, Mrs. Parker. In einer oder zwei Stunden wissen wir Bescheid. Er ist jetzt wach, falls Sie ihn sehen wollen.«

»O ja, bitte!«

Eine Krankenschwester führte sie zu Joshuas Zimmer. Er lag im Bett, eine blasse, kleine Gestalt. Als Jennifer eintrat, öffnete er die Augen. »Hallo, Mama.«

»Hallo, du da.« Sie setzte sich auf die Kante seines Betts. »Wie fühlst du dich?«

»Irgendwie komisch. So, als wäre ic h gar nicht hier.« Jennifer ergriff seine Hand. »Du bist hier, Liebling. Und ich bin bei dir.«

»Ich sehe alles doppelt.«

»Hast du - hast du das dem Doktor gesagt?«

»Ja. Ich habe ihn doppelt gesehen. Hoffentlich schickt er dir nicht zwei Rechnungen.«

Jennifer legte ihre Arme um Joshua und drückte ihn an sich. Sein Körper wirkte geschrumpft und zerbrechlich. »Mama?«

»Ja, Liebling?«

»Du läßt mich nicht sterben, oder?«

Ihre Augen brannten plötzlich. »Nein, Joshua, ich lasse dich nicht sterben. Die Ärzte machen dich wieder gesund, und dann nehme ich dich mit nach Hause.«

»Okay. Außerdem hast du versprochen, daß wir irgendwann wieder nach Acapulco fahren.«

»Ja. Sobald du...«

Er war schon wieder eingeschlafen.

Dr. Morris betrat den Raum, begleitet von zwei Männern in weißen Jacketts.

»Wir würden jetzt gern mit dem Test beginnen, Mrs. Parker. Sie dauern nicht lange. Warum warten Sie nicht hier und machen es sich bequem?«

Jennifer sah zu, wie sie Joshua aus dem Raum trugen. Sie hockte auf der Kante des Betts und fühlte sich, als hätte man sie zusammengeschlagen. Jegliche Energie hatte sie verlassen. Sie saß da wie in Trance und starrte die weiße Wand an.

Einen Augenblick später sagte eine Stimme: »Mrs. Parker...« Jennifer blickte auf. Dr. Morris stand vor ihr. »Bitte, gehen Sie und machen Sie die Tests.« Er blickte sie seltsam an. »Wir sind schon fertig.« Jennifer blickte auf ihre Armbanduhr. Sie hatte zwei Stunden so dagesessen. Wo war die Zeit geblieben? Sie blickte den Arzt an, suchte nach den kleinen, verräterischen Zeichen, die preisgaben, ob er gute oder schlechte Nachrichten für sie hatte. Wie oft hatte sie das nicht schon getan, hatte in den Gesichtern von Geschworenen gelesen und schon vorher an ihrem Ausdruck erkannt, wie das Urteil lauten würde. Hundertmal? Fünfhundert? Aber jetzt, geschüttelt von Panik, konnte sie überhaupt nichts erkennen. Ihr Körper begann unkontrolliert zu zittern.