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Dr. Morris sagte: »Ihr Sohn leidet an einem subduralen Hämatom. Allgemeinverständlich ausgedrückt, sein Gehirn hat eine schwere Verletzung erlitten.«

Ihre Kehle war plötzlich so trocken, daß sie nicht mehr sprechen konnte.

»Wa...« Sie schluckte und versuchte es noch einmal. »Was bedeu...?« Sie konnte den Satz nicht beenden.

»Ich möchte auf der Stelle operieren. Ich brauche Ihre Genehmigung.«

Er spielte ihr irgendeinen grausamen Streich. Nur noch einen Augenblick, dann würde er lächeln und ihr sagen, daß es Joshua gut ging. Ich habe Sie nur dafür bestraft, daß Sie meine Zeit verschwendet haben, Mrs. Parker. Ihr Sohn ist kerngesund, er braucht nur etwas Schlaf. Er ist ein Heranwachsender. Sie sollten uns nicht die Zeit stehlen - wir haben schließlich Patienten, die uns wirklich brauchen. Gleich würde er sie anlächeln und sagen: »Sie können Ihren Sohn jetzt mitnehmen.« Dr. Morris fuhr fort: »Er ist jung und scheint kräftig zu sein. Wir haben allen Grund, zu hoffen, daß die Operation erfolgreich verlaufen wird.«

Er würde das Gehirn ihres Babys aufschneiden, mit seinen scharfen Instrumenten hineindringen und vielleicht alles zerstören, was Joshua zu Joshua machte. Vielleicht - würde er ihn töten. »Nein!« Das Wort war ein wütender Schrei. »Sie erlauben uns nicht, zu operieren?«

»Ich...« Sie war so verwirrt, daß sie nicht mehr denken konnte. »Was - was ist, wenn Sie ihn nicht operieren?« Dr. Morris sagte schlicht: »Ihr Sohn wird sterben. Ist der Vater des Jungen hier?«

Adam! Oh, wie gern hätte sie ihn jetzt hier gehabt, seine Arme um sich gespürt, seinen Trost. Sie wollte, daß er ihr sagte, daß sich alles wieder einrenken, daß Joshua gesund werden würde.

»Nein«, antwortete Jennifer schließlich. »Er ist nicht hier. Ich - ich gebe Ihnen die Erlaubnis. Operieren Sie!« Dr. Morris füllte ein Formular aus und reichte es ihr. »Würden Sie das bitte unterschreiben?«

Jennifer unterschrieb das Papier, ohne es anzuschauen. »Wie lange wird es dauern?«

»Das weiß ich erst, wenn ich seinen Kopf geöff..« Er sah den Ausdruck ihres Gesichts, »... wenn ich mit der Operation begonnen habe. Wollen Sie hier warten?«

»Nein!« Die Mauern zogen sich um sie zusammen, erstickten sie. Sie konnte kaum atmen. »Gibt es hier eine Kapelle?«

Die Krankenhauskapelle war klein. Über dem Altar hing ein Gemälde des Jesuskindes. Außer Jennifer befand sich niemand im Raum. Sie kniete, aber sie konnte nicht beten. Sie war nie sehr religiös gewesen; warum sollte Gott ihr jetzt zuhören? Sie versuchte sich zu beruhigen, so daß sie mit Gott sprechen konnte, aber ihre Furcht war zu stark; sie hatte sie vollkommen in ihre Gewalt gebracht. Jennifer beschuldigte sich selber mitleidlos. Wenn ich Joshua nur nicht mit nach Acapulco genommen hätte, dachte sie... wenn ich ihn nicht Wasserski fahren gelassen hätte... wenn ich diesem mexikanischen Arzt nicht vertraut hätte... wenn. Wenn. Wenn. Dann schlug sie Gott ein Tauschgeschäft vor. Mach ihn gesund, und ich tue alles, was du willst.

Anschließend leugnete sie ihn. Wenn es einen Gott gäbe, würde er ein Kind, das niemandem etwas zuleide getan hat, so bestrafen? Was ist das für ein Gott, der unschuldige Kinder sterben läßt? Als sie völlig erschöpft und am Ende ihrer Kraft war, hörten ihre Gedanken auf zu rasen, und sie erinnerte sich an Dr. Morris' Worte: Er ist jung und scheint kräftig zu sein. Wir haben allen Grund, zu hoffen, daß die Operation erfolgreich verlaufen wird. Alles würde wieder in Ordnung kommen. Natürlich würde es gelingen. Wenn alles vorbei war, würde sie mit Joshua irgendwohin fahren, wo er sich ausruhen konnte. Acapulco, wenn er wollte. Sie würden lesen, spielen und sich unterhalten...

Als Jennifer schließlich nicht einmal mehr denken konnte, ließ sie sich auf die harte Holzbank zurücksinken. Ihr Kopf war benommen und leer. Jemand berührte sie am Arm, und sie sah auf, und Dr. Morris stand über sie gebeugt. Jennifer blickte in sein Gesicht und brauchte keine Fragen mehr zu stellen. Sie fiel in Ohnmacht.

50

Joshua lag auf einem schmalen Metalltisch, sein Körper für immer reglos. Er wirkte wie in einem friedlichen Schlaf befangen, sein hübsches, junges Gesicht erleuchtet vom Widerschein geheimer, ferner Träume. Jennifer hatte diesen Ausdruck schon tausendmal gesehen, wenn Joshua sich in sein Bett kuschelte, während sie auf der Kante saß und sein Gesicht anschaute, erfüllt von einer Liebe, die sie mit ihrer Heftigkeit fast erstickte. Und wie oft hatte sie die Decke von allen

Seiten unter ihn geschoben, um ihn vor der Nachtkälte zu beschützen?

Jetzt war die Kälte tief in ihn eingedrungen. Er würde nie wieder warm sein. Seine strahlenden Augen würden sich nie wieder öffnen und sie ansehen, und sie würde niemals mehr das Lächeln auf seinen Lippen erblicken oder seine kleinen, starken Arme um sich fühlen. Er war nackt unter dem dünnen, weißen Tuch.

Jennifer sagte zu dem Arzt: »Ich möchte, daß Sie ihn zudecken. Er wird frieren.«

»Er kann nicht...« Dr. Morris blickte in Jennifers Augen, und was er da sah, ließ ihn sagen: »Ja, natürlich, Mrs. Parker.« Er wandte sich an die Schwester und sagte: »Holen Sie eine Decke.«

Anscheinend war mindestens ein halbes Dutzend Leute im Raum, die meisten in weißen Kitteln, und alle schienen mit Jennifer zu reden, aber sie konnte nicht verstehen, was sie sagten. Es war, als befände sie sich unter einer Glasglocke, getrennt von ihrer Umwelt. Sie konnte sehen, wie sich ihre Lippen bewegten, aber es gab kein Geräusch. Sie wollte sie anschreien, sie wegjagen, aber sie hatte Angst, Joshua zu erschrecken. Jemand schüttelte ihren Arm, und der Bann war gebrochen, der Raum war plötzlich von einer Geräuschexplosion erfüllt, und alle schienen gleichzeitig zu reden. Dr. Morris sagte: »...unerläßlich, eine Autopsie vorzunehmen.«

Jennifer sagte ruhig: »Wenn Sie meinen Sohn noch einmal anrühren, bringe ich Sie um.«

Und sie lächelte alle ringsum an, weil sie nicht wollte, daß sie auf Joshua böse wurden.

Eine Schwester wollte Jennifer aus dem Zimmer führen, aber sie schüttelte den Kopf. »Ich kann ihn nicht allein lassen. Jemand könnte das Licht ausmachen. Joshua hat Angst im Dunkeln.«

Jemand preßte ihren Arm. Jennifer fühlte den Stich einer Nadel, und wenig später versank sie in ein Gefühl von Wärme und Frieden und schlief ein.

Sie erwachte am späten Nachmittag. Sie befand sich in einem kleinen Zimmer im Krankenhaus. Jemand hatte sie ausgezogen und in ein Spitalgewand gehüllt. Sie stand auf. zog sich an und begab sich auf die Suche nach Dr. Morris. Sie war unnatürlich ruhig.

Dr. Morris sagte: »Wir kümmern uns um die Beerdigungsvorbereitungen, Mrs. Parker. Sie brauchen sich da...«

»Ich kümmere mich selber darum.«

»Wie Sie wollen.« Er zögerte verlegen. »Wegen der Autopsie - ich weiß, daß Sie das heute morgen nicht so gemeint haben. Ich...«

»Sie irren sich.«

Die nächsten beiden Tage waren mit den Ritualen des Todes ausgefüllt. Jennifer suchte einen örtlichen Leichenbestatter auf und traf die Vorbereitungen für das Begräbnis. Sie entschied sich für einen weißen, mit Satin ausgelegten Sarg. Sie war selbstbeherrscht und gelassen, und als sie später darüber nachzudenken versuchte, konnte sie sich an nichts mehr erinnern. Es war, als hätte sich jemand anderer in ihrem Körper und ihrem Verstand eingenistet und handelte an ihrer Stelle. Sie stand unter schwerem Schock und verbarg sich im Schutz dieses Schneckenhauses, um nicht wahnsinnig zu werden. Als Jennifer das Büro des Leichenbestatters verließ, sagte er: »Falls Sie Ihren Sohn in bestimmten Kleidern Ihrer Wahl beerdigt sehen möchten, Mrs. Parker, können Sie sie uns zukommen lassen, und wir ziehen sie ihm an.« »Ich ziehe Joshua selber an.«