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Er blickte sie erstaunt an. »Wenn Sie wollen, natürlich, aber...« Er blickte ihr nach und fragte sich, ob sie wußte, was es bedeutet, eine Leiche anzuziehen.

Jennifer fuhr nach Hause, stellte den Wagen auf der Zufahrt ab und ging ins Haus.

Mrs. Mackey befand sich in der Küche. Ihre Augen waren rot, das Gesicht von Kummer verzerrt. »Oh, Mrs. Parker. Ich kann gar nicht glauben, daß...«

Jennifer sah und hörte sie nicht. Sie ging an ihr vorbei, nach oben in Joshuas Zimmer. Es sah aus wie immer. Nichts hatte sich verändert, außer daß es leer war. Joshuas Bücher, seine Spiele, die Baseball- und Skiausrüstung waren da und warteten auf ihn. Jennifer stand im Türrahmen und starrte in den Raum und fragte sich, was sie hier gewollt hatte. Ach ja. Kleider für Joshua. Sie ging zum Schrank. Da hing ein dunkelblauer Anzug, den sie ihm zu seinem letzten Geburtstag gekauft hatte. Joshua hatte ihn getragen, als sie ihn zum Abendessen zu Lutèce geführt hatte. Der Abend war ihr noch lebhaft in Erinnerung. Joshua hatte so erwachsen ausgesehen, und Jennifer hatte einen Stich gefühlt und gedacht: Eines Tages wird er hier mit dem Mädchen sitzen, das er heiraten will. Dieser Tag würde niemals kommen. Es würde kein Erwachsenwerden geben. Kein Mädchen. Kein Leben.

Neben dem blauen Anzug hingen mehrere Blue Jeans und T-Shirts, eins davon mit dem Namen von Joshuas Baseballmannschaft bedruckt. Jennifer ließ ihre Hände ziellos über die Kleider gleiten. Sie hatte jedes Zeitgefühl verloren. Mrs. Mackey erschien. »Geht es Ihnen gut, Mrs. Parker?« Jennifer sagte artig: »Es geht mir gut, danke, Mrs. Mackey.« »Kann ich Ihnen bei irgend etwas behilflich sein?« »Nein, danke. Ich muß Joshua anziehen. Was, glauben Sie, würde er gern tragen?« Ihre Stimme klang hell und fröhlich, aber ihre Augen waren tot.

Mrs. Mackey hatte plötzlich Angst. »Warum legen Sie sich nicht ein wenig hin, Mrs. Parker? Ich rufe den Doktor.« Jennifers Hände strichen über die Kleider im Schrank. Sie zog die Baseballuniform vom Bügel. »Ich glaube, das würde Joshua gefallen. So, was braucht er noch?« Hilflos sah Mrs. Mackey zu, wie Jennifer zur Kommode ging und Unterwäsche, Socken und ein Hemd herausholte. Joshua braucht diese Dinge, denn er fährt in die Ferien. Ganz lange Ferien. »Glauben Sie, daß er es darin warm genug haben wird?« Mrs. Mackey brach in Tränen aus. »Bitte, nicht«, bettelte sie. »Lassen Sie die Sachen. Ich kümmere mich darum.« Aber Jennifer war schon wieder auf dem Weg nach unten.

Der Körper lag in der ›Schlummerkammer‹ der Leichenhalle. Man hatte Joshua auf einen langen Tisch gelegt, der seine kleine Gestalt wie die eines Zwergs wirken ließ. Als Jennifer mit Joshuas Kleidern zurückkehrte, versuchte der Bestatter noch einmal, sie von ihrem Plan abzubringen. »Ich habe mit Dr. Morris gesprochen. Wir sind der Meinung, Mrs. Parker, daß es viel besser wäre, wenn Sie uns das überließen.

Wir haben darin eine gewisse Übung und...«

Jennifer lächelte ihn an und sagte: »Raus!« Er schluckte. »Jawohl, Mrs. Parker.«

Jennifer wartete, bis er den Raum verlassen hatte, und dann wandte sie sich ihrem Sohn zu.

Sie blickte in sein schlafendes Gesicht und sagte: »Deine Mutter wird sich um dich kümmern, mein Liebling. Du wirst deine Baseballuniform tragen. Das gefällt dir, nicht?« Sie zog das Leichentuch beiseite und blickte auf seinen nackten, eingefallenen Körper, und dann begann sie ihn anzuziehen. Sie wollte ihm den Slip über den Körper streifen, und sie zuckte vor der eisigen Kälte seines Körpers zurück. Er war so hart und steif wie Marmor. Jennifer versuchte, sich weiszumachen, daß dieses eiskalte, leblose Stück Fleisch nicht ihr Sohn war, daß Joshua sich woanders befand, warm und glücklich, aber sie konnte sich nicht überzeugen. Es war Joshua da vor ihr auf dem Tisch. Ihr Körper begann zu zittern. Es war, als hätte Joshuas Kälte auf sie übergegriffen und wäre bis ins Knochenmark vorgedrungen. Hör auf! sagte sie zu sich selber. Hör auf! Hör auf! Hör auf! Hör auf!

Sie holte tief Luft, und als sie sich schließlich wieder beruhigt hatte, begann sie erneut, ihren Sohn anzuziehen und dabei mit ihm zu reden. Sie zog ihm frische Unterhosen an, danach eine Hose, und als sie ihn hochhob, um ihm das Hemd überzustreifen, rutschte ihre Hand ab, und sein Kopf fiel auf den Tisch, und Jennifer schrie: »Entschuldige, Joshua, vergib mir!« Und sie begann zu weinen.

Sie brauchte fast drei Stunden, um ihn anzuziehen. Er trug seine Baseballuniform, sein Lieblings- T-Shirt, weiße Strümpfe und Turnschuhe. Der Schirm der Baseballkappe überschattete sein Gesicht, so daß Jennifer sie schließlich auf seine Brust legte. »Du kannst sie so mitnehmen, mein Liebling.«

Als der Leichenbestatter hereinschaute, stand Jennifer über den angekleideten Körper gebeugt, hielt Joshuas Hand und redete mit ihm. Der Mann ging zu ihr und sagte sanft: »Wir kümmern uns jetzt um ihn.«

Jennifer blickte ihren Sohn ein letztes Mal an. »Bitte, gehen Sie vorsichtig mit ihm um. Er hat sich am Kopf verletzt, müssen Sie wissen.«

Die Beerdigung war schlicht. Jennifer und Mrs. Mackey gaben Joshua als einzige das letzte Geleit. Sie sahen zu, wie der schmale, weiße Sarg in das frisch ausgehobene Grab gesenkt wurde. Jennifer hatte daran gedacht, Ken Bailey zu informieren, denn Ken und Joshua hatten sich innig geliebt, aber Ken spielte keine Rolle mehr in ihrem Leben. Als die erste Schaufel voll Dreck auf den Sarg geworfen wurde, sagte Mrs. Mackey: »Kommen Sie, ich bringe Sie nach Hause.«

Jennifer sagte höflich: »Es geht mir gut. Joshua und ich, wir brauchen Sie nicht mehr, Mrs. Mackey. Ich sorge dafür, daß Sie einen Jahreslohn ausgezahlt bekommen, und ich gebe Ihnen ein gutes Zeugnis. Joshua und ich danken Ihnen für alles.«

Sie drehte sich um, ließ Mrs. Mackey stehen und schritt davon. Sie ging vorsichtig und hielt sich sehr aufrecht, als ginge sie einen endlosen Korridor entlang, der gerade breit genug für eine Person war.

Das Haus war still und friedlich. Sie ging nach oben in Joshuas Zimmer, schloß die Tür und legte sich auf sein Bett. Sie betrachtete all die Dinge, die ihm gehört hatten, die er geliebt hatte. Ihre ganze Welt war in diesem Zimmer. Jetzt gab es nichts mehr zu tun für sie - nichts mehr zu tun und kein Ziel. Es gab nur Joshua. Jennifer begann mit dem Tag seiner Geburt und versank in einem Meer von Erinnerungen. Joshua erste Schritte... Joshua, der Auto-Auto sagte und Mama, geh mit deinem Spielzeug spielen... Joshua, wie er zum erstenmal allein zur Schule ging, eine kleine, tapfere Gestalt... Joshua mit Masern im Bett... Joshua, der für seine Mannschaft ein Baseballspiel gewann... Joshua am Bug des Segelboots... Joshua, wie er einen Elefanten im Zoo fütterte... wie er am Muttertag Shine On, Harvest Moon sang..., die Erinnerungen zogen vorbei, Kurzfilme auf der Leinwand ihrer Seele. Sie endeten mit dem Tag, an dem sie nach Acapulco fuhren.

Acapulco... wo sie Adam getroffen und mit ihm geschlafen hatte. Gott strafte sie, weil sie nur an sich gedacht hatte. Natürlich, dachte Jennifer. Joshuas Tod ist meine Strafe. Er ist meine Hölle.

Und sie begann wieder von vorn, mit dem Tag, an dem Joshua geboren worden war... seine ersten Schritte... Auto-Auto und Mama, geh mit deinem Spielzeug spielen... Die Zeit verstrich. Manchmal hörte Jennifer das Telefon in einem fernen Winkel des Hauses klingeln, und einmal klopfte jemand an die Vordertür, aber diese Geräusche hatten keine Bedeutung für sie. Sie war mit ihrem Sohn zusammen und ließ sich durch nichts dabei stören. Sie blieb in Joshuas Zimmer, aß und trank nichts, verloren in ihrer eigenen Welt mit Joshua. Sie hatte kein Gefühl mehr für Zeit, keine Ahnung, wie lange sie auf dem Bett lag und in der Vergangenheit lebte.