Выбрать главу

Fünf Tage später hörte Jennifer die Türklingel erneut. Dann hämmerte jemand an die Tür, aber sie kümmerte sich nicht darum. Wer es auch immer war, er würde gehen und sie in Ruhe lassen. Undeutlich vernahm sie das Geräusch von splitterndem Glas. Einige Sekunden später sprang die Tür von Joshuas Zimmer auf, und Michael Moretti erschien im Rahmen. Er warf einen Blick auf die hagere Gestalt, die aus tiefliegenden Augen vom Bett zu ihm hochstarrte und sagte: »Jesus Christus!«

Michael Moretti brauchte seine ganze Kraft, um Jennifer aus dem Raum zu schaffen. Sie wehrte sich hysterisch, schlug nach ihm und versuchte, ihm die Augen auszukratzen. Nick Vito wartete im Erdgeschoß, und sogar zu zweit hatten sie alle Hände voll zu tun, um Jennifer in den Wagen zu bringen. Jennifer hatte keine Ahnung, wer sie waren und warum sie da waren. Sie wußte nur, daß diese Männer sie von ihrem Sohn fortbrachten. Sie versuchte, ihnen zu erklären, daß sie sterben würde, wenn sie ihr das antaten, aber schließlich war sie zu erschöpft, um sich noch länger zu wehren. Sie schlief ein.

Jennifer erwachte in einem hellen, sauberen Zimmer mit einem großen Aussichtsfenster, durch das sie einen Berg und einen See in der Ferne erblicken konnte. Eine Krankenschwester saß in einem Stuhl neben dem Bett und las ein Magazin. Als Jennifer die Augen öffnete, sah sie auf. »Wo bin ich?« Das Sprechen schmerzte in Jennifers Kehle. »Sie sind bei Freunden, Mrs. Parker. Mr. Moretti hat Sie hergebracht. Er hat sich große Sorgen um Sie gemacht. Er wird sich freuen, wenn er hört, daß Sie wieder wach sind.« Die Schwester eilte aus dem Raum. Jennifer lag da, gedankenblind, und wollte, daß ihr Verstand für immer leer blieb. Aber die Erinnerungen kehrten zurück, ungebeten, unerwünscht, und es gab kein Versteck, keine Fluchtmöglichkeit vor ihnen. Jennifer begriff, daß sie versucht hatte, Selbstmord zu begehen, ohne wirklich den Mut dazu zu haben. Sie hatte einfach sterben und den Tod herbeizwingen wollen. Michael hatte sie gerettet. Welche Ironie! Nicht Adam, sondern Michael. Vermutlich war es unfair, Adam einen Vorwurf zu machen. Sie hatte ihm die Wahrheit verheimlicht, hatte ihm den Sohn, der geboren worden und nun tot war, vorenthalten. Joshua war tot. Jetzt konnte Jennifer der Tatsache ins Gesicht sehen. Der Schmerz war tief und quälend, und sie wußte, daß dieser Schmerz sie ihr Leben lang begleiten würde. Aber sie konnte es ertragen. Sie mußte. Es war die ausgleichende Gerechtigkeit, die ihr die Rechnung vorlegte.

Jennifer hörte Schritte und blickte auf. Michael hatte den Raum betreten. Er stand vor dem Bett und sah sie fragend an. Als Jennifer verschwunden war, hatte er sich wie ein Wilder aufgeführt. Aus Angst um sie hatte er beinahe den Verstand verloren. Er ging auf sie zu und blickte ihr in die Augen. »Warum hast du mir nichts gesagt?« Er setzte sich auf die Bettkante. »Es tut mir so leid.«

Sie nahm seine Hand. »Danke, daß du mich hergebracht hast. Ich - ich glaube, ich war ein bißchen verrückt.«

»Ein bißchen.«

»Wie lange bin ich schon hier?' »Vier Tage. Der Doktor hat dich intravenös ernährt.« Jennifer nickte, und sogar diese kleine Bewegung kostete sie große Anstrengung.

»Dein Frühstück ist unterwegs. Er hat mir aufgetragen, dich zu mästen.« »Ich bin nicht hungrig. Ich glaube, ich will nie wieder essen.« »Du wirst.«

Und zu ihrer Überraschung hatte Michael recht. Als die Schwester ihr auf einem Tablett weichgekochte Eier, Toast und Tee brachte, stellte sie fest, daß sie ausgehungert war. Michael blieb bei ihr und beobachtete sie, und als sie fertig war, sagte er: »Ich muß wieder zurück nach New York und mich um ein paar Angelegenheiten kümmern. In ein paar Tagen bin ich wieder da.«

Er beugte sich vor und küßte sie zärtlich. »Ich sehe dich am Freitag.« Langsam strich er mit einem Finger über ihr Gesicht. »Ich möchte, daß du schnell wieder gesund wirst, hörst du?« Jennifer sah ihn an und sagte: »Ich höre.«

51

Der riesige Konferenzraum des Stützpunktes der US-Marineinfanterie platzte beinahe aus den Nähten. Vor der Tür stand eine Abteilung bewaffneter Wachen auf dem Posten. Hinter der Tür fand eine außergewöhnliche Versammlung statt. In Stühlen längs der Wand saßen die Mitglieder einer Anklagekammer. Auf der einen Seite eines langen Tisches saßen Adam Warner, Robert Di Silva und der stellvertretende Direktor des FBI. Ihnen gegenüber saß Thomas Colfax. Die Geschworenen der Anklagekammer, die Grand Jury in den Stützpunkt zu schaffen, war Adams Idee gewesen. »Nur so können wir Colfax' Schutz gewährleisten.« Die Grand Jury hatte Adams Vorschlag zugestimmt, und die Geheimsitzung konnte beginnen.

Adam forderte Thomas Colfax auf: »Würden Sie sich bitte identifizieren?« »Mein Name ist Thomas Colfax.« »Was sind Sie von Beruf, Mr. Colfax?«

»Ich bin Rechtsanwalt, zugelassen im Staat von New York und einigen anderen Staaten im ganzen Land.«

»Wie lange üben Sie diesen Beruf schon aus?«

»Über fünfunddreißig Jahre.«

»Haben Sie eine öffentliche Praxis?«

»Nein, Sir. Ich habe nur einen Mandanten.«

»Wer ist dieser Mandant?«

»Den größten Teil der fünfunddreißig Jahre handelte es sich um Antonio Granelli, der jetzt tot ist. Seinen Platz hat Michael Moretti eingenommen. Ich vertrete ihn und seine Organisation.«

»Beziehen Sie sich auf das organisierte Verbrechen?«

»So ist es, Sir.«

»Könnte man aufgrund der Position, die Sie so lange Jahre eingenommen haben, davon ausgehen, daß Sie einen einzigartigen Einblick in die Mechanismen dessen hatten, was wir die Organisation nennen wollen?«

»Es geschah nicht viel, wovon ich nichts wußte.«

»Und das umfaßt auch kriminelle Aktivitäten?«

»Ja, Senator.«

»Würden Sie uns etwas über diese Aktivitäten erzählen?«

Thomas Colfax redete zwei Stunden lang ununterbrochen. Seine Stimme war fest und sicher. Er nannte Namen, Orte un d Daten, und zeitweise war sein Vortrag so faszinierend, daß die im Raum Anwesenden vergaßen, wo sie sich befanden, in Bann geschlagen von den Horrorgeschichten, die Colfax erzählte.

Er sprach von Mordaufträgen, von getöteten Zeugen, von Brandstiftungen, Vergewaltigungen, weißem Sklavenhandel -und vor der Augen der Anwesenden entstand ein Gemälde wie von Hieronymus Bosch. Zum erstenmal wurden die geheimsten Operationen des größten Verbrechersyndikats der Welt vor aller Augen bloßgelegt. Gelegentlich stellten Adam oder Robert Di Silva eine Frage, soufflierten Colfax, hakten nach, wo immer es notwendig wurde, um die eine oder andere Lücke zu schließen. Die Sitzung lief wesentlich besser, als Adam gehofft hatte. Da passierte plötzlich, kurz vor Schluß, die Katastrophe. Einer der Männer in der Grand Jury hatte eine Frage gestellt. Es ging darum, wie die Organisation schmutziges Geld gewaschen hatte.

»Das geschah vor ungefähr zwei Jahren. Von einigen der späteren Unternehmungen hat Michael mich ferngehalten. Das war Jennifer Parkers Ressort.« Adam erstarrte.

Robert Di Silva fragte: »Jennifer Parker?« Seine Frage hatte eine geradezu explosive Intensität.

»Ja, Sir.« Thomas Colfax' Stimme hatte plötzlich einen rachsüchtigen Klang. »Sie ist jetzt die Chefanwältin der Organisation.«

Adam wünschte sich verzweifelt, ihn zum Schweigen bringen zu können, seine weiteren Worte aus dem Protokoll herauszuhalten, aber es war zu spät. Di Silva hatte die Schlagader anvisiert, und nichts konnte ihn mehr zurückhalten. »Erzählen Sie uns mehr über sie«, sagte Di Silva gespannt. Thomas Colfax fuhr fort: »Jennifer Parkers Gebiete sind Briefkastenfirmen, neue Möglichkeiten, Geld weißzuwaschen...« Adam versuchte, ihn zu unterbrechen. »Ich glaube nicht...«

»... Mord.« Das Wort hing im Raum.

Adam brach das Schweigen. »Wir - wir müssen uns an die Tatsachen halten, Mr. Colfax. Sie wollen doch wohl nicht behaupten, daß Jennifer Parker an einem Mord beteiligt war?«