»Genau das wollte ich sagen. Sie hat einem Mann den Bleistift schicken lassen, der ihren Sohn gekidnappt hatte. Der Name des Mannes war Frank Jackson. Sie bat Michael Moretti, ihn zu töten, und er hat es getan.« Erstauntes Stimmengemurmel erhob sich. Ihr Sohn! Adam dachte: Irgendwo muß da ein Fehler liegen. Er sagte stockend: »Ich glaube - ich glaube, wir haben auch ohne Gerüchte genug Beweise. Wir...«
»Das ist kein Hörensagen«, versicherte Thomas Colfax ihm. »Ich war im selben Zimmer wie Moretti, als sie anrief.« Adams Hände preßten sich unter dem Tisch so heftig gegeneinander, daß alles Blut aus ihnen wich. »Der Zeuge sieht müde aus. Ich glaube, für heute haben wir genug.« Robert Di Silva sagte zu der Grand Jury: »Ich möchte einen Vorschlag zur Verfahrensweise machen...« Adam hörte nicht zu. Er fragte sich, wo Jennifer sein mochte. Sie war schon wieder verschwunden. Er hatte wiederholt versucht, sie aufzuspüren, aber jetzt war er zu allem, entschlossen. Er mußte sie erreichen, und zwar schnell.
52
Die umfassendste Geheimoperation in der Geschichte der Verbrechensbekämpfung in den Vereinigten Staaten wurde in die Wege geleitet. Spezialeinheiten zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens und Bandenunwesens arbeiteten Hand in Hand mit dem FBI, den Post- und Zollbehörden, dem Finanzamt, der Rauschgiftpolizei und einem halben Dutzend anderer Regierungsstellen.
Die Bandbreite der Untersuchungen umfaßte Mord, Verschwörung zum Zweck der Begehung eines Mordes, Bandenunwesen, Erpressung, Unterschlagung von Einkommenssteuern, Gewerkschaftskorruption, Brandstiftung, Geldwucher und Drogen.
Thomas Colfax hatte der Regierung den Schlüssel zur Büchse der Pandora gegeben, einer Büchse des Verbrechens und der Korruption, und dieser Schlüssel half mit, einen großen Teil des organisierten Verbrechens auszurotten. Michael Morettis Familie wurde am schwersten getroffen, aber das Beweismaterial belastete Dutzende anderer Familien im ganzen Land.
Überall in den Vereinigten Staaten und außerhalb unterzogen Agenten der Regierung Freunde und Geschäftspartner der Männer auf ihrer Liste einer diskreten Befragung. Age nten in der Türkei, in Mexiko, San Salvador, Marseille und auf Honduras setzten sich mit ihren Anlaufstellen in Verbindung und gaben ihnen Informationen über illegale Unternehmungen in ihren Operationsgebieten. Kleine Fische, die ins Netz gingen, erhielten Straffreiheit zugesichert, wenn sie sangen und Beweismaterial gegen die Drahtzieher lieferten. Alles lief so unauffällig wie möglich ab, so daß die anvisierte Beute nicht vor dem Sturm gewarnt wurde, der sich über ihrem Kopf zusammenbraute.
Als Vorsitzender des Senatsausschusses empfing Adam Warner einen ständigen Strom von Besuchern in seinem Haus in Georgetown, und die Gespräche in seinem Arbeitsraum dauerten oft bis in die frühen Morgenstunden. Es bestanden wenig Zweifel, daß das Weiße Haus ein leichter Sieg für Adam Warner werden würde, wenn die Untersuchung vorbei und Michael Morettis Organisation zerschlagen war. Er hätte ein glücklicher Mann sein müssen. Statt dessen fühlte er sich elend angesichts der größten moralischen Krise seines Lebens. Jennifer Parker war von den Vorgängen zutiefst betroffen, und er mußte sie warnen, ihr nahelegen, zu fliehen, so lange sie noch eine Chance hatte. Nichtsdestoweniger hatte er eine andere Pflicht, eine Pflicht gegenüber dem Ausschuß, der seinen Namen trug, eine Pflicht gegenüber dem Senat der Vereinigten Staaten. Er war Jennifers Ankläger, wie konnte er ihr Beschützer sein? Wenn er sie warnte und dabei ertappt wurde, würde es die Glaubwürdigkeit seines Ausschusses und alles, was er bisher erreicht hatte, gefährden. Es würde seine Zukunft und seine Familie zerstören. Colfax' Bemerkung, daß Jennifer ein Kind hatte, war wie ein Schlag ins Gesicht gewesen. Er wußte, daß er mit Jennifer sprechen mußte. Adam wählte ihre Büronummer, und eine Sekretärin sagte: »Es tut mir el id, Mr. Adams, Miß Parker ist nicht da.« Adam hielt sich im Arbeitszimmer auf und versuchte zum drittenmal an diesem Tag, Jennifer anzurufen, als Mary Beth in den Raum trat. Unauffällig legte Adam den Hörer wieder auf.
Mary Beth ging zu ihm und fuhr ihm mi t den Fingern durch das Haar.
»Du siehst müde aus, Darling.«
»Es geht mir gut.«
Sie ging zu einem lederbezogenen Sessel auf der anderen Seite von Adams Schreibtisch und setzte sich. »Langsam fügt sich alles zusammen, nicht, Adam?«
»Sieht so aus, ja.«
»Ich hoffe, daß bald alles vorüber ist, in deinem Interesse. Der Streß muß schrecklich sein.«
»Ich kann es aushalten, Mary Beth. Mach dir um mich keine Sorgen.«
»Ich mache mir aber Sorgen. Jennifer Parkers Name steht auf der Liste, oder?«
Adam blickte sie scharf an. »Woher weißt du das?« Sie lachte. »Mein Engel, du hast dieses Haus in einen Marktplatz verwandelt. Ich kann nichts dafür, daß ich manchmal ein wenig von dem höre, was vorgeht. Alle scheinen geradezu kopflos vor Aufregung. Jeder will Michael Moretti und seine Freundin fangen.« Sie beobachtete Adams Miene, aber es gab keine Reaktion.
Mary Beth betrachtete ihren Mann liebevoll und dachte: Wie naiv Männer doch sind. Sie wußte mehr über Jennifer Parker als er. Es hatte sie immer erstaunt, wie hervorragend ein Mann im Geschäftsleben oder der Politik sein konnte und wie töricht, wenn es sich um Frauen handelte. Wie viele wirklich große Männer hatten billige kleine Dummchen geheiratet. Mary Beth verstand es völlig, daß ihr Ehemann eine Affäre mit Jennifer gehabt hatte. Schließlich war Adam ein sehr attraktiver und begehrenswerter Mann. Und wie alle Männer war er für neue Reize empfänglich. Ihre Philosophie war, zu vergeben, aber niemals zu vergessen.
Mary Beth wußte, was gut für ihren Ehemann war. Alles, was sie tat, geschah zu seinem Besten. Wenn dies alles vorbei war, würde sie mit ihm irgendwohin fahren. Er sah wirklich müde aus. Sie würden Samantha bei der Haushälterin lassen und in eine romantische Gegend fahren. Vielleicht nach Tahiti.
Mary Beth blickte aus dem Fenster und sah zwei Sicherheitsbeamte miteinander reden. Sie hatte diesen Männern gegenüber gemischte Gefühle. Einerseits mißbilligte sie das Eindringen in ihr Privatleben, aber andererseits erinnerten sie sie ständig daran, daß ihr Mann einmal Präsident der Vereinigten Staaten werden würde. Es gab keinen Zweifel daran, daß er es schaffen würde. Jeder sagte das. Die Vorstellung, im Weißen Haus zu leben, war so greifbar, daß ihr schon warm wurde, wenn sie nur daran dachte. Ihre Lieblingsbeschäftigung, während Adam mit seinen ganzen Konferenzen zu tun hatte, bestand darin, das Weiße Haus umzudekorieren. Stundenlang saß sie allein in ihrem Zimmer, rückte in ihrer Phantasie Möbel herum, wechselte ganze Einrichtungen aus und dachte an all die aufregenden Dinge, die sie tun würde, wenn sie First Lady wäre.
Schon jetzt hatte sie die Räume gesehen, in die die meisten Besucher gar nicht hereingelassen wurden: das chinesische Zimmer, die Bücherei mit ihren fast dreitausend Büchern, den Raum für diplomatische Empfänge und die Zimmer der Präsidentenfamilie mitsamt den sieben Gästeschlafzimmern im zweiten Stock.
Sie und Adam würden in diesem Haus wohnen und ein Teil seiner Geschichte werden. Mary Beth schauderte, wenn sie daran dachte, wie nahe Adam daran gewesen war, alle ihre Chancen zu verspielen, nur wegen dieser Parker. Nun, das war Gott sei Dank vorbei.
Sie betrachtete Adam, der erschöpft und abgemagert an seinem Schreibtisch saß.
»Kann ich dir eine Tasse Kaffee kochen, Liebling?« Adam wollte schon nein sagen, aber dann entschied er sich anders. »Das wäre schön.«
»Es wird nur eine Sekunde dauern.«
Kaum hatte Mary Beth den Raum verlassen, da hob Adam den Hörer erneut auf und begann zu wählen. Es war Abend, und er wußte, daß niemand mehr in Jennifers Büro sein würde, aber sie mußte den Auftragsdienst eingeschaltet haben. Nach einer Ewigkeit meldete sich der Auftragsdienst. »Hier spricht Mr.Adams«, sagte Adam. »Seit Tagen versuche ich, Jennifer Parker zu erreichen. Es ist äußerst dringend.«