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Michael Moretti entkam dem Stahlnetz der Polizei durch reinen Zufall. Es war der Todestag seines Schwiegervaters, und er und Rosa waren zum Friedhof gegangen, um Antonio Granellis zu gedenken.

Fünf Minuten nach ihrem Aufbruch erreichte eine Wagenladung von FBI-Beamten Michael Morettis Haus und eine weitere sein Büro. Als sie feststellten, daß er weder am einen noch am anderen Ort war, richteten sie sich darauf ein, zu warten.

Jennifer fiel ein, daß sie vergessen hatte, für Stefan Bjork einen Rückflug in die Vereinigten Staaten zu buchen. Sie setzte sich mit den Singapore Airlines in Verbindung. »Hier spricht Jennifer Parker. Ich habe eine Reservierung für Ihren Flug EinsZwölf morgen nachmittag nach London. Ich möchte gern eine zusätzliche Buchung vornehmen.«

»Würden Sie bitte einen Augenblick in der Leitung bleiben?« Jennifer wartete, und nach einigen Minuten meldete sich die Stimme wieder. »Sagten Sie Parker? P-A-R-K-E-R?«

»Ja.«

»Ihre Reservierung ist storniert worden, Miß Parker.« Jennifer war überrascht. »Storniert? Von wem?«

»Ich weiß nicht. Ihr Name ist aus der Passagierliste gestrichen.«

»Das muß ein Mißverständnis gewesen sein. Bitte setzen Sie mich wieder auf die Liste.«

»Es tut mir leid, Miß Parker. Der Flug ist ausgebucht.«

Inspektor Touh wird das alles in Ordnung bringen können, dachte Jennifer. Sie hatte sich bereit erklärt, mit ihm zu Abend zu essen. Dann würde sie herausfinden, was vorging.

Er erschien noch vor der ausgemachten Zeit, um sie abzuholen.

Jennifer berichtete dem Inspektor von dem Durcheinander im Hotel und den Flugreservierungen.

Er zuckte mit den Schultern. »Unsere berühmte Schlamperei, fürchte ich. Ich werde mich darum kümmern.«

»Was ist mit Stefan Bjork?«

»Alles ist vorbereitet. Er wird morgen früh entlassen.« Der Inspektor sagte etwas auf chinesisch zu dem Fahrer, und der Wagen wendete mitten auf der Straße. »Sie haben die Kallang-Straße noch nicht gesehen. Sie werden sie äußerst interessant finden.«

Der Wagen bog nach links in die Lavender Street, dann einen Block weiter nach rechts in Richtung Kallang Bahru. Große Abbildungen warben für Blumenzüchter und Sarghersteller. Einige Blocks weiter wendete der Wagen erneut. »Wo sind wir?«

Inspektor Touh blickte sie an und sagte leise: »Wir sind auf der Straße ohne Namen und ohne Rückkehr.« Der Wagen fuhr jetzt sehr langsam. Zu beiden Seiten der Straße gab es ausschließlich Bestattungsunternehmen, eins neben dem anderen- Tan Kee Seng, Clin Noh, Ang Yung Long, Goh Soon. Direkt vor ihnen fand eine Beerdigung statt. Die Trauernden waren weiß gekleidet, und eine aus Tuba, Saxophon und Schlagzeug bestehende Kapelle spielte. Der Leichnam lag auf einem von Blumengewinden umgebenen Tisch, und ein großes Foto des Verstorbenen stand auf einer Staffelei vor der Fassade. Die Trauergäste saßen vor dem Tisch und aßen.

»Was ist das?« fragte Jennifer den Inspektor. »Dies sind die Häuser des Todes. Die Eingeborenen nennen sie Sterbehäuser. Das Wort Tod ist für sie zu schwer auszusprechen.«

Er sah Jennifer an und sagte: »Aber der Tod ist ja nur ein Teil des Lebens, nicht wahr?«

Jennifer blickte in seine kalten Augen und hatte plötzlich Angst.

Sie gingen ins Golden Phoenix, und erst als sie aßen, hatte Jennifer eine Gelegenheit, die Fragen zu stellen, die sie bewegten.

»Inspektor Touh, haben Sie mich aus einem bestimmten Grund zu der Krokodilfarm und den Sterbehäusern geführt?« Er sah sie an und sagte geradeheraus: »Natürlich. Ich dachte, sie würden Sie interessieren. Besonders, da Sie hierher gekommen sind, um Ihren Klienten, Mr. Bjork, zu befreien. Viele unserer jungen Leute sterben an den Drogen, die in unser Land geschmuggelt werden, Miß Parker. Ich hätte Sie zu den Krankenhäusern führen können, wo wir sie zu behandeln versuchen, aber ich hielt es für informativer, Ihnen zu zeigen, wo sie enden.«

»All das hat nichts mit mir zu tun.«

»Das scheint mir eine Frage des Standpunkts zu sein.« Jede Freundlichkeit war aus seiner Stimme verschwunden. Jennifer sagte: »Hören Sie, Inspektor Touh, ich bin sicher, Sie werden gut dafür bezahlt, daß...«

»Auf der ganzen Welt gibt es nicht genug Geld, um mich zu bezahlen.«

Er stand auf und nickte jemandem zu, und Jennifer drehte sich um. Zwei Männer in grauen Anzügen näherten sich dem Tisch.

»Miß Jennifer Parker?«

»Ja.«

Es bestand keine Notwendigkeit, daß sie ihre FBI-Ausweise zückten. Jennifer wußte Bescheid, bevor sie das erste Wort sagten. »FBI. Wir haben einen Auslieferungsbescheid sowie einen Haftbefehl gegen Sie. Wir bringen Sie mit der Mitternachtsmaschine nach New York zurück.«

57

Michael Moretti blickte auf die Uhr. Schon am Grab seines Schwiegervaters hatte er festgestellt, daß er eine Verabredung, die er für den späten Vormittag getroffen hatte, nicht mehr einhalten konnte. Er beschloß, sein Büro anzurufen und den Termin verlegen zu lassen. Er hielt auf dem Weg in die Stadt an einer Telefonzelle und wählte die Nummer. Das Telefon klingelte einmal, dann meldete sich eine Stimme: »Bauunternehmen Vollkommenheit.« Michael sagte: »Hier spricht Mike. Sag...«

»Mr. Moretti ist nicht da. Rufen Sie später noch einmal an.« Michaels Körper versteifte sich. Er sagte nur noch: »Tony's Place.« Dann hängte er auf und rannte zum Wagen. Rosa warf einen Blick auf sein Gesicht und fragte: »Ist alles in Ordnung, Michael?«

»Das wüßte ich selber gern. Ich setze dich bei deiner Cousine ab. Bleib da, bis du von mir hörst.«

Tony folgte Michael in das Büro im hinteren Teil des Restaurants.

»Ich habe gehört, daß es in deinem Haus und dem Büro in Manhattan von Bundespolizisten nur so wimmelt, Mike.« »Danke«, sagte Michael. »Ich möchte nicht gestört werden.« »Ich sorge dafür.«

Michael wartete, bis Tony den Raum verlassen und die Tür hinter sich geschlossen hatte. Dann hob er den Telefonhörer ab und begann wütend zu wählen.

Michael Moretti brauchte weniger als zwanzig Minuten, um herauszufinden, daß ein mittleres Erdbeben stattfand. Mit steigendem Unglauben empfing er die Berichte von den Razzien und Verhaftungen im ganzen Land. Seine Soldaten und Leutnants wurden von der Straße weg festgenommen. Bullen tauchten an geheimen Treffpunkten auf; Glücksspieloperationen wurden gesprengt, vertrauliche Hauptbücher und geheime Unterlagen beschlagnahmt. Ein Alptraum nahm seinen Lauf. Die Polizei mußte von jemandem innerhalb der Organisation mit Informationen versorgt werden. Michael rief andere Familien im ganzen Land an, und alle wollten wissen, was eigentlich vorging. Ihnen wurden schwere Verluste zugefügt, und niemand wußte, wo das Leck war. Jeder vermutete es bei der Moretti-Familie. Jimmy Guardino in Las Vegas stellte ihm sogar ein Ultimatum. »Ich rufe im Auftrag der Kommission an, Michael.« In Krisenzeiten war die Kommission die höchste Instanz, der sich jede einzelne Familie unterzuordnen hatte. »Die Polizei hebt alle Familien aus. Diesmal singt eins von den großen Tieren. Dem Gerücht nach soll es einer deiner Jungs sein. Wir geben dir vierundzwanzig Stunden, ihn ausfindig zu machen und zum Schweigen zu bringen.«

In der Vergangenheit waren bei Razzien immer nur die kleinen Fische, auf die man verzichten konnte, ins Netz gegangen. Jetzt wurden zum erstenmal die Männer an der Spitze an Land gezogen. Diesmal singt eins von den großen Tieren. Dem Gerücht nach soll es einer von deinen Jungs sein. Wahrscheinlich hatten sie recht. Seine Familie war am schwersten getroffen worden, und die Polizei war ihm auf den Fersen. Irgend jemand mußte ihnen hieb- und stichfestes Beweismaterial geliefert haben, sonst hätten sie es niemals gewagt, soviel Staub aufzuwirbeln. Aber wer konnte es sein? Michael lehnte sich zurück und dachte nach.

Wer immer die Behörden belieferte, verfügte über Insiderwissen, das nur ihm selber und seinen beiden Vertrauensmännern Joseph Colella und Salvatore Fiore zugänglich war. Nur sie drei wußten, wo die Bücher versteckt gewesen waren, und die Polizei hatte sie gefunden. Der einzige, der noch Bescheid gewußt haben könnte, war Thomas Colfax, aber Colfax lag unter einem Müllhaufen in New Jersey. Michael dachte über Salvatore Fiore und Joseph Colella nach. Es fiel ihm schwer, zu glauben, daß einer von ihnen die omertà, das sizilianische Gesetz des Schweigens, gebrochen haben sollte. Sie waren von Anfang an dabei gewesen, er selber hatte sie mit der Lupe ausgesucht. Er hatte ihnen gestattet, nebenbei ihre eigenen Kreditgeschäfte zu betreiben und einen kleinen Prostituiertenring aufzuziehen. Warum sollten sie ihn verraten? Die Antwort war natürlich einfach: sein Stuhl. Sie wollten seinen Stuhl. Wenn er draußen war, konnten sie einziehen und den Laden übernehmen. Sie waren ein Team; sie steckten zusammen dahinter.