Michael war plötzlich von mörderischer Wut erfüllt. Diese verdammten Bastarde wollten ihn von seinem Thron stoßen, aber sie würden nicht mehr lange ge nug leben, um die Früchte ihrer Arbeit zu genießen.
Als erstes mußte er diejenigen unter seinen Männern, die verhaftet worden waren, auf Kaution herausholen. Er brauchte einen Anwalt, dem er vertrauen konnte. Colfax war tot, und Jennifer - Jennifer! Michael spürte wieder das eisige Gefühl in der Herzgegend. Er konnte sich noch sagen hören: Komm so schnell wie möglich zurück. Du wirst mir fehlen. Ich liebe dich, Jennifer. Er hatte so zu ihr gesprochen, und sie hatte ihn verraten. Dafür würde sie bezahlen.
Michael machte einen Anruf und wartete dann, bis fünfzehn Minuten später Nick Vito in den Raum geeilt kam. »Wie sieht es aus?« fragte Michael.
»Die FBI-Kerle schwärmen immer noch im ganzen Haus herum, Mike. Ich bin ein paarmal um den Block gefahren, habe mich aber an deine Worte gehalten. Ich bin nicht hineingegangen.«
»Ich habe einen Job für dich, Nick.«
»Klar. Boß. Was kann ich für dich tun?«
»Kümmere dich um Salvatore und Joe.« Nick Vito starrte ihn an. »Ich - ich verstehe nicht. Wenn du kümmere dich um sie sagst, meinst du doch nicht etwa...« Michael brüllte: »Ich meine, blas ihnen das verdammte Gehirn aus dem Schädel! Soll ich es dir noch buchstabieren?«
»Nein«, stammelte Nick Vito. »Es ist nur, ich - ich - ich dachte - Sal und Joe sind deine besten Leute!« Michael Moretti stand auf. Seine Augen blickten gefährlich. »Willst du mir erzählen, wie ich meine Geschäfte zu führen habe, Nick?«
»Nein, Mike. Ich - klar! Ich kümmere mich um sie. Wann...?«
»Jetzt. Jetzt gleich. Sie erleben den Mondaufgang heute abend nicht mehr. Hast du kapiert?«
»Ja. Kapiert, Boß.«
Michaels Hände ballten sich zu Fäusten. »Wenn ich die Zeit dazu hätte, würde ich es selber erledigen. Ich möchte, daß es ihnen weh tut. Mach es langsam, Nick. Suppilu, suppilu.«
»Klar. Okay.«
Die Tür flog auf, und Tony stürzte herein, aschgrau im Gesicht. »Da draußen sind zwei FBI-Beamte mit einem Haftbefehl gegen dich. Ich schwöre bei Gott, daß ich keine Ahnung habe, woher sie wissen, daß du hier bist.« Michael Moretti wandte sich an Nick Vito und schnappte: »Los, hinten heraus. Beweg dich schon!« Er blickte Tony an. »Sag ihnen, ich bin auf der Toilette. Ich komme gleich.« Michael hob den Hörer ab und wählte eine Nummer. Eine Minute später sprach er mit einem Richter des Obersten Gerichtshofs von New York.
»Draußen sind zwei FBI-Leute mit einem Haftbefehl gegen mich.«
»Wessen werden Sie beschuldigt, Mike?«
»Das weiß ich nicht, und es ist mir auch scheißegal. Ich rufe Sie an, damit Sie sich darum kümmern, daß ich auf Kaution freigelassen werde. Ich habe keine Lust, hinter Schloß und Riegel zu kommen. Ich habe einiges zu tun.« Ein kurzes
Schweigen folgte, und dann sagte der Richter vorsichtig: »Ich fürchte, dieses Mal werde ich Ihnen nicht helfen können, Mike. Überall ist die Hölle los, und wenn ich mich einmische...«
Als Michael antwortete, hatte seine Stimme einen unheilvollen Klang. »Hören Sie zu, Sie Arschloch, und hören Sie gut zu. Wenn ich auch nur eine einzige Stunde im Gefängnis verbringen muß, sorge ich dafür, daß Sie für den Rest Ihres Lebens hinter Gitter gebracht werden. Ich habe mich Ihrer sehr lange angenommen. Wollen Sie, daß ich dem Staatsanwalt erzähle, wie viele Fälle Sie für mich in Ordnung gebracht haben? Wollen Sie, daß ich dem Finanzamt die Nummer Ihres Schweizer Bankkontos gebe? Wollen Sie...«
»Um Himmels willen, Michael!« »Dann setzen Sie Ihren Arsch in Bewegung.« »Ich werde sehen, was ich tun kann«, sagte Richter Lawrence Waldman. »Ich werde versuchen...«
»Versuchen, Scheiße! Tun Sie es! Hören Sie mich, Larry? Tun Sie es!« Er schmetterte de n Hörer auf den Apparat. Sein Verstand arbeitete glatt und kühl. Er bereitete sich wegen der beiden FBI-Beamten keine Sorgen mehr. Er wußte, daß Richter Waldman tun würde, was er ihm befohlen hatte, und er konnte sicher sein, daß Nick Vito sich Fiores und Colellas annahm. Ohne ihre Aussagen konnte die Regierung ihm nichts, aber auch gar nichts nachweisen. Michael blickte in den kleinen Wandspiegel, kämmte sich das Haar zurück, korrigierte den Sitz seines Krawattenknotens und ging dann zu den beiden FBIBeamten hinaus.
Richter Lawrence Waldman hatte Erfolg, wie Michael es vorhergesehen hatte. Bei der Voruntersuchung verlangte ein von Richter Waldman ausgesuchter Anwalt, Moretti auf Kaution freizulassen, und die Höhe der Summe wurde auf fünfhunderttausend Dollar festgesetzt.
Wütend und enttäuscht sah Robert Di Silva Michael Moretti aus dem Gerichtssaal wandern.
58
Nick Vito war ein Mann von begrenzter Intelligenz. Sein Wert für die Organisation bestand darin, daß er Befehle ausführte, ohne Fragen zu stellen, und daß er effektiv arbeitete. Hundertmal schon hatte er in Revolvermündungen gestarrt oder einen Lichtstrahl über eine Messerklinge huschen sehen, aber Furcht war ihm immer ein Fremdwort geblieben. Jetzt kannte er es. Jenseits seines Begriffsvermögens ging etwas vor, und er hatte das Gefühl, daß er irgendwie dafür verantwortlich war.
Den ganzen Tag hatte er von nichts anderem gehört als von Razzien und einer Welle von Verhaftungen. Den Gerüchten nach lief ein Verräter frei herum, jemand ganz hoch oben in der Organisation. Sogar mit seiner begrenzten Auffassungsgabe konnte Nick Vito die Tatsachen, daß er Thomas Colfax lebengelassen und daß kurz darauf jemand angefangen hatte, die Familie an die Behörden zu verraten, miteinander in Verbindung bringen. Vito wußte, daß es weder Fiore noch Colella sein konnten. Die beiden Männer waren wie Brüder für ihn, und Michael Moretti genauso loyal ergeben wie er. Aber es gab keine Möglichkeit, Michael das zu erklären, zumindest keine, die nicht bedeutete, daß er als Hackfleisch enden würde; denn der einzige, der noch als Verräter in Frage kam, war Thomas Colfax, und der war angeblich tot. Nick Vito steckte in der Zwickmühle. Er liebte den Riesen und die Pusteblume. Fiore und Colella hatten ihm in der Vergangenheit Dutzende von Gefallen erwiesen, genauso wie Thomas Colfax; aber er hatte Colfax aus der Klemme geholfen, und das hatte er jetzt davon. Also beschloß Nick Vito, nicht noch einmal auf sein weiches Herz zu hören. Es ging um sein Leben, und jeder war sich selbst der nächste. Wenn er Fiore und Colella erst getötet hatte, war er aus den roten Zahlen. Aber weil er für sie wie für Brüder fühlte, würde er sie schnell sterben lassen.
Es war einfach für Nick Vito, herauszufinden, wo sie sich aufhielten, denn sie mußten immer erreichbar sein, für den Fall, daß Michael sie brauchte. Der kleine Salvatore Fiore war zu Besuch in der Wohnung seiner Geliebten an der 83. Straße in der Nähe des Naturkundemuseums. Nick wußte, daß er von dort regelmäßig um fünf zu seiner Frau nach Hause ging. Es war jetzt drei. Nick überlegte hin und her. Er konnte vor dem Eingang des Appartementhauses warten oder nach oben gehen und Salvatore innerhalb der Wohnung erledigen. Aber eigentlich war er zu nervös, um zu warten. Und die Tatsache, daß er nervös war, ließ ihn noch nervöser werden. Die ganze Sache begann, ihm an die Nieren zu gehen. Wenn alles vorbei ist, dachte er, werde ich Mike um einen Urlaub bitten. Vielleicht schnappe ich mir ein paar junge Mädchen und fahre auf die Bahamas. Der Gedanke allein besserte seine Stimmung schon erheblich. Nick Vito parkte seinen Wagen um die Ecke und ging dann zu dem Appartementhaus. Er öffnete die Eingangstür mit einem Zelluloidstreifen, ließ den Fahrstuhl links liegen und ging die Treppe zum dritten Stock hinauf. Er näherte sich der Tür am Ende des Korridors und hämmerte mit der Faust dagegen. »Aufmachen! Polizei!«