In seiner Zelle hatte Thomas Colfax ein Gespräch mit David Terry vom Justizministerium, dem Mann, der für Zeugen, die unterzutauchen wünschten, neue Identitäten schuf. »Lassen Sie mich Ihnen das Sicherheitsprogramm des Bundes für seine Zeugen erläutern«, sagte Terry. »Wenn die Verhandlung vorbei ist, schicken wir Sie in jedes Land, das Ihnen gefällt. Ihre Wohnungseinrichtung und Ihr restlicher Besitz wird, mit einer Codenummer versehen, in ein Lagerhaus in Washington geschafft. Wir stellen sie Ihnen dann später zu. Es gibt keine Möglichkeit, für niemanden, Ihnen auf der Spur zu bleiben. Wir versorgen Sie mit einer neuen Identität, einer neuen Vergangenheit und, wenn Sie wollen, sogar mit einem neuen Äußeren.«
»Darum kümmere ich mich selber.« Colfax traute keinem. Er allein würde wissen, wie seine neue Erscheinung ausfallen würde.
»Normalerweise kümmern wir uns auch darum, für die Leute, denen wir eine neue Identität gegeben haben, Jobs zu finden, und wir versorgen sie mit etwas Geld. In Ihrem Fall dürfte das Geld kein Problem sein.«
Thomas Colfax fragte sich, was David Terry sagen würde, wenn er gewußt hätte, wieviel Geld der consigliere tatsächlich auf Konten in Deutschland, der Schweiz und Hongkong gehortet hatte. Sogar Colfax selber war nicht fähig gewesen, immer den Überblick zu behalten, aber eine vorsichtige Schätzung würde sich auf neun oder zehn Millionen Dollar belaufen. »Nein«, sagte er. »Ich glaube nicht, daß Geld ein Problem sein wird.«
»Um so besser. Zuerst müssen wir uns überlegen, wohin Sie wollen. Haben Sie eine bestimmte Gegend im Auge?« Es war eine äußerst einfache Frage, und doch stand soviel dahinter. In Wirklichkeit fragte der Mann: Wo wollen Sie den Rest Ihres Lebens verbringen? Denn Colfax wußte, daß, wohin auch immer er ging, er nie wieder zurückkehren konnte. Es würde seine neue Heimat, sein Schutzschild werden, und nirgendwo sonst in der Welt würde er noch sicher sein.
»Brasilien.«
Es war eine logische Wahl. Er besaß dort bereits eine im Namen einer panamesischen Firma erworbene Zweihunderttausend-Morgen-Plantage, die nicht zu ihm zurückverfolgt werden konnte. Die Plantage selber war eine Festung. Er konnte es sich außerdem leisten, sich soviel Schutz zu kaufen, daß sogar Michael Moretti, sollte er jemals erfahren, wo er sich aufhielt, ihm nichts anzuhaben vermochte. Er konnte sich alles kaufen, inklusive jeder Frau, die er haben wollte. Er liebte lateinamerikanische Frauen. Die meisten Leute dachten, daß ein Mann sexuell am Ende war, wenn er die Sechzig erreicht hatte, daß Frauen ihn nicht mehr interessierten, aber Colfax hatte festgestellt, daß sein Appetit mit dem Alter noch gestiegen war. Sein Lieblingssport waren zwei oder drei schöne Frauen mit ihm im gleichen Bett, die ihm eine richtige Kopf-bis-Fuß-Behandlung gaben. Je jünger, desto besser. »Brasilien wird sich leicht arrangieren lassen«, sagte David Terry. »Die Regierung wird Ihnen dort ein kleines Haus kaufen, und...«
»Das wird nicht nötig sein.« Colfax hätte beinahe laut gelacht über den Gedanken, in einem kleinen Haus leben zu müssen. »Alles, was ich von Ihnen will, ist eine neue Identität und sicherer Transport. Um alles andere kümmere ich mich selber.«
»Wie Sie wollen, Mr. Colfax.« David Terry stand auf. »Ich glaube, wir haben an alles gedacht.« Er lächelte aufmunternd. »Dies ist einer von den leichten Fällen. Ich bringe die Sache schon mal in Bewegung. Sobald Sie mit Ihrer Aussage fertig sind, werden Sie in einem Flugzeug nach Südamerika sitzen.«
»Danke.« Thomas Colfax sah seinen Besucher gehen, und er war von einem Gefühl freudiger Erregung beseelt. Er hatte es geschafft! Michael Moretti hatte den Fehler seines Lebens begangen, als er ihn unterschätzte, und es würde sein letzter Fehler werden. Colfax würde ihn so tief begraben, daß er nie wieder auferstehen konnte.
Und seine Zeugenaussage würde gefilmt werden. Nicht uninteressant. Er fragte sich, ob sie ihn vorher schminken würden. Er betrachtete sich in dem schmalen Spiegel an der Wand. Nicht schlecht, dachte er, für einen Mann meines Alters sehe ich immer noch gut aus. Diese jungen südamerikanischen Mädchen lieben ältere Herren mit grauen Haaren.
Er hörte, wie sich die Zellentür öffnete, und wandte sich um. Ein Marinesergeant brachte ihm sein Mittagessen. Er hatte noch viel Zeit, bevor die Filmaufnahmen begannen. Am ersten Tag hatte sich Colfax über das Essen beschwert, das ihm serviert worden war, worauf Generalmajor Wallace dafür gesorgt hatte, daß seine Mahlzeiten aus dem Besten vom Besten bestanden. In den Wochen, die Colfax auf dem Stützpunkt verbracht hatte, war sein leisester Wunsch allen anderen Befehl gewesen. Sie taten, was sie konnten, um es ihm angenehm zu machen, und
Colfax nutzte es nach Kräften aus. Er hatte komfortable Möbel erhalten, einen Fernsehapparat, und täglich wurden ihm die neuesten Zeitungen und Magazine gebracht.
Der Sergeant stellte das Tablett auf den für zwei Personen gedeckten Tisch und machte dieselbe Bemerkung wie jeden Tag. »Scheint eßbar zu sein, Sir.«
Colfax lächelte höflich und setzte sich an den Tisch. Kaum durchgebratenes Roastbeef, genau wie er es mochte, Kartoffelpüree und Yorkshire-Pudding. Er wartete, bis sich der Sergeant einen Stuhl herangezogen und auf die andere Seite des Tisches gesetzt hatte. Der Sergeant ergriff Messer und Gabel, schnitt ein Stück Fleisch ab und begann zu essen. Auch eine von Generalmajor Wallaces Ideen. Thomas Colfax hatte seinen eigenen Vorkoster. Wie die Könige vergangener Jahrhunderte, dachte er. Er sah zu, wie der Marinesergeant das Roastbeef, die Kartoffeln und den Pudding probierte. »Wie schmeckt es?«
»Um die Wahrheit zu sagen, Sir, habe ich mein Fleisch lieber gut durch.«
Colfax ergriff sein eigenes Besteck und begann zu essen. Der Sergeant hatte keinen Geschmack. Das Fleisch war perfekt zubereitet, das Püree cremig und heiß, der Yorkshire-Pudding ein Gedicht. Colfax griff nach dem Meerrettich und streute ihn dünn über das Fleisch.
Es passierte nach dem zweiten Bissen. Plötzlich merkte Colfax, daß etwas ganz und gar nicht stimmte. In seinem Mund schien plötzlich ein Feuer zu explodieren, das sich durch den ganzen Körper fraß. Seine Kehle zog sich zu, schockartig gelähmt, und er schnappte nach Luft. Thomas Colfax umklammerte seinen Hals und versuchte, dem Sergeant mitzuteilen, was passierte, aber er brachte kein Wort hervor. Das Feuer breitete sich immer schneller und weiter aus, erfüllte ihn mit unsäglichen Qualen. In einer grauenhaften Zuckung versteifte sich sein ganzer Körper, und er stürzte nach hinten zu Boden.
Der Sergeant betrachtete ihn einen Augenblick, ehe er sich vorbeugte und Thomas Colfax' Augenlid hochhob, um sicherzugehen, daß er tot war. Dann erst schrie er nach Hilfe.
60
Der Flug 246 der Singapore Airlines landete um halb acht Uhr morgens auf dem Heathrow Airport in London. Die anderen Passagiere wurden gebeten, auf den Sitzen zu bleiben, bis Jennifer und die beiden FBI-Beamten das Flugzeug verlassen und das Sicherheitsbüro des Flughafens erreicht hatten. Jennifer gierte geradezu nach einer Zeitung, um herauszufinden, was zu Hause los war, aber ihre beiden schweigenden Begleiter schlugen ihr die Bitte ab und weigerten sich auch, in ein Gespräch verwickelt zu werden.
Zwei Stunden später stiegen die drei Reisenden in ein Flugzeug der TWA, Ziel New York.
Im Gerichtsgebäude am Foley Square fand sich ein Krisenstab zusammen. Unter den Anwesenden waren Adam Warner, Robert Di Silva, Generalmajor Roy Wallace und ein halbes Dutzend weiterer Vertreter vom FBI, dem Justizministerium und dem Schatzministerium.
»Wie, zum Teufel, konnte das passieren?« Robert Di Silvas Stimme zitterte vor Wut. Er wandte sich an den Generalmajor. »Sie wußten genau, wie wichtig Colfax für uns war.« Der Angesprochene breitete hilflos die Hände aus. »Wir haben jede nur mögliche Vorsichtsmaßnahme getroffen, Sir. Wir prüfen gerade nach, wie sie Zyanwasserstoffsäure in die...«