»Es ist mir scheißegal, wie sie es getan haben! Colfax ist tot!« Der Mann vom Schatzministerium wollte wissen: »Was bedeutet Colfax' Tod für uns?«
»Eine ganze Menge«, antwortete Di Silva. »Einen Mann in den Zeugenstand zu holen, ist eine Sache. Einen Haufen Hauptbücher und Berichte vorzuzeigen, eine ganz andere. Sie können Ihren Arsch darauf verwetten, daß irgendein gerissener Anwalt behaupten wird, die Bücher seien gefälscht.«
»Wie machen wir jetzt also weiter?«
»Wir machen weiter wie bisher«, antwortete Di Silva. »Jennifer Parker ist auf dem Rückweg von Singapur. Wir haben genug in der Hand, um sie für immer wegzustecken. Und während sie untergeht, werden wir dafür sorgen, daß sie Michael Moretti mit sich reißt.« Er wandte sich an Adam. »Halten Sie das nicht auch für das Beste, Senator?« Adam war übel geworden. »Entschuldigen Sie mich.« Er verließ den Raum mit schnellen Schritten.
61
Der durch übergroße Ohrenschützer behütete Bodenlotse winkte den Jumbo 747 mit seinen beiden Signalkellen an die wartende Treppe. Das Flugzeug rollte bis zu einem auf den Asphalt gemalten Kreis, und auf ein Zeichen würgte der Pilot die vier Pratt & Whitney-Düsen ab.
Im Inneren des Flugzeugs drang die Stimme einer Stewardeß aus den Lautsprechern. »Meine Damen und Herren, wir sind soeben in New York Kennedy Airport gelandet. Wir danken Ihnen, daß Sie mit TWA geflogen sind. Wir bitten Sie, bis zur nächsten Ansage in Ihren Sitzen zu bleiben. Danke sehr.« Protestgemurmel erhob sich. Einen Augenblick später wurden die Türen von der Bodencrew geöffnet. Die beiden FBIBeamten, die mit Jennifer im vorderen Teil des Flugzeugs gesessen hatten, standen auf. Einer von ihnen wandte sich an Jennifer und sagte: »Gehen wir.«
Neugierig sahen die Passagiere zu, wie die drei Fluggäste die Maschine verließen. Einige Minuten später ertönte wieder die Stimme der Stewardeß aus den Lautsprechern. »Wir danken Ihnen für Ihre Geduld. Sie können jetzt aussteigen.«
Am Seiteneingang des Flughafens wartete eine Limousine der Regierung und fuhr geradewegs zum Metropolitan-Gefängnis an der Park Row 150, die mit dem Gerichtsgebäude am Foley Square verbunden war.
Nachdem Jennifer für das Album fotografiert worden war und ihre Fingerabdrücke hinterlassen hatte, sagte einer der FBIAgenten: »Es tut uns leid, aber wir können Sie nicht hierbehalten. Wir haben Befehl, Sie nach Riker's Island zu bringen.«
Die Fahrt nach Riker's Island verlief schweigend. Jennifer saß auf dem Rücksitz zwischen den beiden FBI-Beamten. Sie sagte nichts. Nur ihr Verstand raste. Die beiden Männer hatten während der ganzen Reise über den Ozean kein Wort gesagt, so daß Jennifer nicht die geringste Ahnung hatte, in welchen Schwierigkeiten sie steckte. Sie wußte nur, daß es ernst war, denn einen Auslieferungsbescheid erreichte man nicht ohne weiteres.
Sie konnte nichts für sich tun, solange sie im Gefängnis saß. Deswegen mußte sie als allererstes auf Kaution freikommen.
Sie fuhren über die Brücke nach Riker's Island, und Jennifer blickte auf die vertraute Szenerie, die sie schon hundertmal auf dem Weg zu ihren Mandanten gesehen hatte. Jetzt war sie selbst die Gefangene.
Aber nicht lange, dachte Jennifer. Michael wird mich rausholen. Die beiden FBI-Beamten begleiteten Jennifer in das Aufnahmegebäude, und einer von ihnen reichte dem Wärter den Haftbefehl. »Jennifer Parker.«
Der Wärter warf einen Blick darauf. »Wir haben Sie erwartet, Miß Parker. Untersuchungszelle drei ist für Sie reserviert.«
»Ich habe das Recht auf einen Anruf.« Der Wärter nickte zu dem Telefon auf dem Schreibtisch. »Klar.« Jennifer hob den Hörer ab und betete innerlich, daß Michael Moretti zu Hause sein möge. Sie begann zu wählen.
Michael Moretti hatte auf Jennifers Anruf gewartet. Während der letzten vierundzwanzig Stunden hatte er an nichts anderes denken können. Er hatte in jedem Augenblick gewußt, wo sie war - wann sie in London gelandet war, wann ihr Flugzeug Heathrow verlassen und in New York aufgesetzt hatte. Er hatte an seinem Schreibtisch gesessen und Jennifer im Geist auf ihrem Weg nach Riker's Island verfolgt. Er hatte sich ausgemalt, wie sie das Gefängnis betreten hatte. Er wußte, daß sie verlangen würde, ein Gespräch zu führen, ehe sie in die Zelle gesperrt wurde. Sie würde ihn anrufen. Mehr verlangte er nicht. Binnen einer Stunde würde er sie freihaben, und sie würde sich auf dem Weg zu ihm befinden. Michael Moretti lebte nur noch für den Augenblick, in dem sie durch die Tür trat.
Sie hatte das Unverzeihliche getan. Sie hatte sich dem Mann hingegeben, der ihn zu vernichten suchte. Und was hatte sie ihm noch gegeben? Welche Geheimnisse hatte sie ihm erzählt?
Adam Warner war der Vater von Jennifers Sohn, dessen war Michael sich jetzt sicher. Von Anfang an hatte Jennifer ihn belogen, hatte ihm weisgemacht, daß Joshuas Vater tot war. Nun, diese Prophezeiung wird bald erfüllt sein, dachte Michael. Er steckte in einer Klemme, die nicht ohne Ironie war. Auf der einen Seite hatte er eine mächtige Waffe, um Adam Warner zu diskreditieren und zu zerstören. Er konnte Warner mit der Drohung erpressen, seine Affäre mit Jennifer an die große Glocke zu hängen, aber wenn er das tat, stellte er sich selber bloß. Wenn die anderen Familien erfuhren - und sie würden es erfahren -, daß Michaels Geliebte auch die des Vorsitzenden des Senatsausschusses war, würde er die Zielscheibe ihres Spotts werden. Er würde seine Männer nicht mehr bei der Stange halten können. Ein Hahnrei hatte kaum die Qualifikation zu einem Don. Also war eine solche Erpressung ein zweis chneidiges Schwert, und so verlockend es auch war, Michael wußte, daß er es nicht benutzen durfte. Er mußte seine Feinde auf andere Weise vernichten.
Er warf einen Blick auf die kleine, schlecht gezeichnete Skizze vor sich auf dem Tisch. Es war die Route, auf der Adam Warner heute abend zu einem Wahlessen fahren würde. Die Karte hatte Michael Moretti fünftausend Dollar gekostet. Adam Warner aber würde sie das Leben kosten. Das Telefon klingelte, und unwillkürlich zuckte Michael zusammen. Er hob ab und hörte Jennifer Parkers Stimme in der Leitung. Diese Stimme, die Zärtlichkeiten in sein Ohr geflüstert, die ihn angefleht hatte, mit ihr zu schlafen, die... »Michael - bist du's?«
»Ja. Wo bist du?«
»Sie halten mich in Riker's Island fest. Sie beschuldigen mich des Mordes. Bis jetzt ist noch keine Kaution festgesetzt worden. Wann kannst du...«
»Ich hole dich sofort heraus. Du kannst schon auf dem Sprung sitzen. Okay?«
»Ja, Michael.« Er hörte die Erleichterung in ihrer Stimme. »Ich sorge dafür, daß Gino dich abholt.« Wenige Sekunden später wählte er eine Nummer und sprach einige Minuten in den Hörer.
»Es ist mir egal, wie hoch die Kaution ist. Ich will sie sofort draußen haben.«
Er legte den Hörer wieder auf und drückte einen Knopf an seinem Schreibtisch. Gino Gallo betrat den Raum. »Jennifer Parker sitzt auf Riker's Island. Sie müßte in ein oder zwei Stunden entlassen werden. Hol sie ab und bring sie her.«
»Wird gemacht, Boß.«
Michael lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Sag ihr, daß wir uns ab heute wegen Adam Warner keine Sorgen mehr zu machen brauchen.«
Gino Gallos Gesicht leuchtete auf. »Nein?«
»Nein. Er ist auf dem Weg zu einem Vortrag, aber er wird nie ankommen. Er wird auf der Brücke bei New Canaan einen Unfall haben.«
Gino Gallo lächelte. »Großartig, Boß.« Michael deutete auf die Tür. »Ab mit dir.«
Staatsanwalt Di Silva widersetzte sich dem Antrag, Jennifer auf Kaution freizulassen, mit jedem ihm zur Verfügung stehenden Mittel. Die Verhandlung fand vor Richter William Bennett, einem Mitglied des Obersten Gerichtshofs von New York, statt.
»Euer Ehren«, sagte Di Silva, »die Angeklagte wird eines Dutzends schwerer Verbrechen beschuldigt. Wir mußten sie von Singapur ausliefern lassen. Wenn sie gegen Kaution freigelassen wird, kann sie sich in ein Land absetzen, mit dem wir keinen Auslieferungsvertrag unterhalten.«