»Rein, um ein ruhiges Gewissen zu haben, wie dieser Herr eben gesagt hat.«
»Das muß einen andern Grund haben,« murmelte d'Artagnan kopfschüttelnd und mit großer Besorgnis herumblickend.
«Auf unser Edelmannswort!« sagten zugleich Aramis und Porthos.
»In diesem Falle, meine Herren, stellt Euch in eine Ecke, wie es der Herr Graf de la Fere getan hat, welcher, wenn er auch nicht kämpfen will, wenigstens die Regeln des Kampfes zu kennen scheint, und lasset uns Raum, den wir benötigen.«
»Nun denn,« sagte Aramis.
»Das sind vielfache Umstände,« versetzte Porthos.
»Ziehet Euch zurück, meine Herren.« sagte d'Artagnan, »wir dürfen Herrn Mordaunt nicht den geringsten Vorwand lassen, sich schlecht zu benehmen, wozu er mir große Lust zu haben scheint, wenn ich so sagen darf.« Dieser Hohn prallte ab von dem gleichgültigen Gesichte Mordaunts. Porthos und Aramis stellten sich in die andere Ecke der Wand, in der Athos saß, wonach die zwei Kämpfenden die Mitte des Zimmers einnahmen, das heißt im vollen
Lichte der beiden Lampen waren, welche auf Cromwells Schreibtisch standen und den Schauplatz erhellten. Es versteht sich von selbst, daß das Licht in dem Maße abnahm, als man sich von dem Mittelpunkte seiner Strahlen entfernte. »Nun, mein Herr, seid Ihr endlich bereit?« rief d'Artagnan.
»Ich bin es,« versetzte Mordaunt.
Beide traten zugleich einen Schritt vor, und durch diese einzige Bewegung waren die Schwerter gebunden.
D'Artagnan war ein zu ausgezeichneter Fechter, um sich damit zu unterhalten, daß er seinen Gegner versuchte, wie man in der Fechtkunst sagt. Er machte eine glänzende und rasche Finte; die Finte wurde von Mordaunt ausgeschlagen. »Ah, ah!« rief er mit einem zufriedenen Lächeln. Und da er eine Blöße zu bemerken glaubte, so stieß er ohne Zeitverlust eine schnelle, wie der Blitz flammende Prime. Mordaunt wich mit einer so geschlossenen Konterquart aus, daß sie den Umfang von dem Ring eines jungen Mädchens nicht überschritten hätte.
»Ich fange an zu glauben,« sagte d'Artagnan, »daß wir uns unterhalten werden.«
»Ja,« versetzte Aramis, »doch nehmt Euch während der Unterhaltung zusammen.«
»Bei Gott, mein Freund, habt acht!« sagte Porthos.
Mordaunt lächelte gleichfalls. »Ach, mein Herr,« sprach d'Artagnan, was habt Ihr doch für ein häßliches Lächeln; nicht wahr, der Teufel hat Euch so lächeln gelehrt?« Mordaunt antwortete damit, daß er d'Artagnans Schwert mit einer Kraft zu binden versuchte, welche der Gascogner in diesem Körper, der dem Anschein nach so schwächlich war, nicht zu finden vermutete; doch mittels einer ebenso gewandten Parade, als die eben ausgeführte seines Gegners war, traf er zu rechter Zeit Mordaunts Klinge, die an der seinigen niederglitt, ohne seine Brust zu berühren. Mordaunt wich schnell einen Schritt zurück.
»Ha, Ihr brecht ab,« rief d'Artagnan, »Ihr wendet Euch? Wie es beliebt, ich kann dabei noch etwas gewinnen, da ich Euer boshaftes Lachen nicht mehr sehe. Nun bin ich ganz im Schatten; um so besser. Ihr könnt Euch gar nicht denken, mein Herr, welch einen falschen Blick Ihr habt, zumal wenn Ihr Euch fürchtet. Blickt mir einmal in die Augen, und Ihr werdet etwas sehen, was Euch Euer Spiegel niemals zeigen wird, nämlich einen biederen und freien Blick.« Er drang nun wieder auf Mordaunt ein, der immer zurückwich, doch augenscheinlich aus Taktik, ohne einen Fehler zu begehen, welchen d'Artagnan nutzen konnte, ohne daß sich sein Schwert auch nur einen Augenblick lang von der Linie entfernte. Da jedoch der Kampf in einem Zimmer stattfand, und der Raum den Kämpfern fehlte, so berührte Mordaunts Fuß alsbald die Wand, gegen die er sich mit der linken Hand stützte.
»Ha,« rief d'Artagnan, »nun werdet Ihr nicht weiter zurückweichen, mein schöner Freund!« - Und indem er die Lippen zusammenpreßte und die Stirne faltete, fuhr er fort: »Meine Herren, saht Ihr je einen an die Wand gehefteten Skorpion? Nein, nun, Ihr sollet ihn sehen! -« Und in einer Sekunde führte d'Artagnan drei furchtbare Stöße gegen Mordaunt. Alle drei trafen, indem sie ihn streiften. D'Artagnan begriff nichts von dieser Gewalt. Die drei Freunde blickten sich schweratmend und mit schweißbedeckter Stirne an. Endlich trat auch d'Artagnan, da er zu nahe war, einen Schritt zurück, um einen vierten Stoß vorzubereiten oder vielmehr auszuführen; denn für d'Artagnan waren die Waffen wie die Stöße eine genaue Kombination, wobei sich alle Einzelheiten aneinander ketteten. Jedoch in dem Augenblicke, wo er ungestümer als zuvor auf seinen Gegner eindrang, in dem Augenblicke, wo er nach einer schnellen und geschlossenen Finte rasch wie der Blitz angriff, schien sich die Mauer zu spalten; Mordaunt verschwand durch die klaffende Öffnung, und d'Artagnans Schwert, gefangen zwischen den zwei Fächern, zerbrach, als wäre es von Glas gewesen. D'Artagnan wich einen Schritt zurück, die Wand schloß sich wieder.
Mordaunt hatte, während er sich verteidigte, so manövriert, daß er sich gegen die geheime Tür hindrängte, durch welche wir Cromwell fortgehen sahen. Als er da ankam, suchte er mit der linken Hand den Knopf, drückte darauf, und war dann verschwunden, wie auf der Bühne die bösen Geister verschwinden, welche die Gabe haben, durch die Wände zu dringen. Der Gascogner stieß einen tobenden Fluch aus, auf den von der anderen Seite der eisernen Wand ein wildes, ein schauervolles Lachen antwortete, so daß selbst durch die Adern des Zweiflers Aramis ein Schauder wallte.
»Zu Hilfe, meine Herren!« rief d'Artagnan, «laßt uns die Türe erbrechen!«
»Das ist der Satan in Person,« sprach Aramis, und eilte auf den Ruf seines Freundes herbei.
»Er entwischt uns, Tod und Teufel, er entwischt uns,« heulte Porthos, und stemmte seine gewaltige Schulter gegen den Verschlag, der aber, von einer geheimen Feder gehalten, nicht wankte.
»Desto besser,« murmelte Athos dumpf.
»Bei Gott, ich ahnte es,« versetzte d'Artagnan, nachdem er sich in fruchtlosen Anstrengungen erschöpft hatte, »ich ahnte es, als der Niederträchtige im Kreise herumging: ich sah einen schändlichen Kniff voraus und erriet, daß er irgend etwas im Schilde führte, allein wer konnte das vermuten?«
»Das ist ein schreckliches Unglück, das da der Satan schickt,« sagte Aramis.
»Das ist ein offenbares Glück, welches uns Gott schickt,« entgegnete Athos mit augenscheinlicher Freude.
»In der Tat,« erwiderte d'Artagnan, indem er achselzuckend die Türe verließ, welche durchaus nicht weichen wollte.
»Athos. Ihr werdet schwach. Wie könnt Ihr denn zu Leuten, wie wir sind, solche Dinge sprechen? Bei Gott, Ihr begreift also unsere Lage nicht?«
»Nun, welche Lage denn?« fragte Porthos.
»Jeder, der bei diesem Spiele da nicht tötet, der wird getötet,« entgegnete d'Artagnan.
»Sagt nun an, mein Lieber, gehört es zu Eurer Bußjeremiade, daß uns Herr Mordaunt seiner kindlichen Liebe opfert? Sagt es offen, ob das Eure Meinung ist?«
»O, d'Artagnan, mein Freund!«
»Es ist wirklich zum Erbarmen, die Dinge aus diesem Gesichtspunkte zu betrachten. Der Ruchlose wird uns hunderte gepanzerte Reiter über den Hals schicken, die uns in diesem Mörser des Herrn von Cromwell wie Körner zermalmen. Vorwärts, auf den Weg! Wenn wir noch fünf Minuten verweilen, ist es um uns geschehen.«
»Ja, Ihr habt recht; hinweg!« riefen Athos und Aramis.
»Wohin gehen wir aber?« fragte Porthos.
»Nach dem Gasthause, lieber Freund, um unsere Gepäcke und Pferde zu holen, sodann von dort, wenn es Gott will, nach Frankreich, wo ich wenigstens die Bauart der Häuser kenne. Unser Schiff erwartet uns, und das ist, meiner Treue, noch ein Glück.«
Die Feluke »Der Blitz«
D'Artagnan hatte richtig geraten, Mordaunt, der keine Zeit zu verlieren hatte, hatte auch keine verloren. Ihm war die Schnelligkeit des Entschlusses und des Handelns seiner Feinde bewußt. Demzufolge beschloß er auch, zu handeln. Diesmal hatten die Musketiere einen Gegner getroffen, der ihrer würdig war. Nachdem Mordaunt die Türe sorgsam hinter sich verschlossen hatte, schlich er sich in den unterirdischen Gang, steckte sein nutzloses Schwert in die Scheide, und hielt an, als er das benachbarte Haus erreichte, um sich zu befühlen. Er ging nun mit raschen, doch gleichmäßigen Schritten nach der nächsten Kavalleriekaserne, die etwa eine Viertelstunde entlegen war. Er legte diese Viertelstunde in vier bis fünf Minuten zurück. Als er in der Kaserne ankam, gab er sich zu erkennen, nahm das beste Pferd im Stalle, setzte sich auf und sprengte nach der Straße. Eine Viertelstunde später war er in Greenwich. «Hier ist der Hafen,« murmelte er, »jener schwarze Punkt dort die Hundeinsel. Gut, ich bin ihnen eine halbe, vielleicht eine ganze Stunde voraus. Wie töricht war ich, daß ich mich durch meine sinnlose Eile fast erstickt habe.« Er richtete sich auf seinen Steigbügeln empor und fuhr fort: »Wie kann ich jetzt unter all diesen Segelwerken, unter all diesen Masten den >Blitz< herausfinden? wo ist >Der Blitz<?« In dem Moment, als er diese Worte dachte, richtete sich, um gleichsam auf seine Gedanken zu antworten, ein Mann, der auf einer Rolle Taue lag, empor und schritt auf Mordaunt zu. Mordaunt zog sein Sacktuch hervor, und ließ es ein Weilchen in der Luft flattern. Der Mann schien aufmerksam, blieb jedoch an derselben Stelle und tat weder einen Schritt vorwärts, noch rückwärts. Mordaunt machte in jede Ecke seines Sacktuches einen Knoten; da schritt der Mann bis zu ihm vor. Das war das verabredete Zeichen, wie man sich noch erinnern wird. Der Seemann war in einen weiten wollenen Mantel gehüllt, bei ihm seine Gestalt und, wenn er wollte, auch das Gesicht verdeckte. »Kommt vielleicht der Herr von London,« fragte der Seemann, »um eine Spazierfahrt auf dem Meere zu machen?«