»Portwein!« Das war ein Schlagwort. Die Bedienten waren sich bald darüber einig, was zu machen sei, damit man unauffällig an die Fässer herankäme. Grimaud rüstete sich mit einem Bohrer und einem Kruge aus und verschwand im Laderaum, während Mousqueton Wache hielt, um ihn, falls jemand kommen sollte, zu warnen. Grimaud war kaum gegangen, als Mousqueton leise Schritte vernahm. Er pfiff auf eine Weise, die den Bedienten in den Tagen ihrer Jugend vertraut war, begab sich wieder auf seinen Platz am Tische und winkte Blaisois, desgleichen zu tun. Blaisois gehorchte.
Die Türe ging auf. Zwei Männer in Mäntel gehüllt traten ein. »O, o!« rief der eine von ihnen, »um ein Viertel nach elf Uhr noch nicht im Bette? Das ist gegen die Vorschrift. In einer Viertelstunde soll alles ausgelöscht sein und jedermann schnarchen.« Die zwei Männer gingen zu der Türe jener Abteilung, in welche Grimaud geschlüpft war, schlossen die Türe auf, traten ein und sperrten hinter sich wieder ab.
»Ha,« rief Blaisois schaudernd, »er ist verloren!«
»Grimaud ist ein feiner Fuchs,« murmelte Mousqueton. Sie erwarteten mit lauschendem Ohre und gesperrtem Odem, was da kommen mag. Es vergingen zehn Minuten, ohne daß man ein Geräusch vernahm, welches hätte vermuten lassen, daß Grimaud entdeckt sei. Nachdem diese Zeit verflossen war, sahen Mousqueton und Blaisois die Türe wieder aufgehen, die Männer in den Mänteln traten hervor, versperrten die Türe wieder mit derselben Vorsicht wie bei ihrem Eintreten, und entfernten sich mit der Wiederholung des Befehls, das Licht auszulöschen und sich schlafen zu legen.
»Werden wir Folge leisten?« fragte Blaisois, »mir kommt das alles verdächtig vor.«
»Sie sagten: eine Viertelstunde, wir haben noch fünf Minuten,« bemerkte Mousqueton.
»Wenn wir es den Herren meldeten?«
»Warten wir noch auf Grimaud.«
»Wenn sie ihn aber getötet haben?«
»Grimaud hätte gerufen.«
»Ihr wißt ja, er ist fast stumm.«
»So hätten wir die Stöße gehört.«
»Doch, wenn er nicht zurückkommt?«
»Hier ist er!«
Grimaud öffnete die Tür und steckte durch dieselbe seinen totenfahlen Kopf, dessen Augen, vor Entsetzen gerundet, kleine Pupillen in weiten weißen Kreisen sehen ließen. Er trug den mit einer gewissen Substanz angefüllten Krug in der Hand, näherte ihn dem Scheine des Lichtes, den die dampfende Lampe verbreitete, und murmelte die einfache Silbe: »O!« mit einem so schreckenvollen Ausdrucke, daß Mousqueton entsetzt zurückprallte und Blaisois ohnmächtig zu werden schien. Nichtsdestoweniger warfen beide einen neugierigen Blick in den Bierkrug - er war voll Pulver! Als nun Grimaud überzeugt war, daß das Schiff anstatt mit Wein, mit Pulver beladen sei, eilte er nach der Luke und machte nur einen Satz bis zur Kajüte, worin die vier Freunde schliefen. Als er da ankam, drückte er vorsichtig die Türe, welche im Aufgehen sogleich d'Artagnan weckte, da er hinter ihr lag.
Er hatte noch kaum Grimauds entstelltes Antlitz gesehen, so verstand er schon, daß etwas Ungewöhnliches vorgehe, und wollte rufen, allein Grimaud legte mit einer noch schnelleren Bewegung als das Wort selbst einen Finger an seine Lippen und blies mit einem Hauche, den man in einem so schwachen Körper nicht vermutet hätte, die kleine Nachtlampe aus, die drei Schritte entfernt stand. D'Artagnan erhob sich auf dem Ellbogen, Grimaud ließ sich auf ein Knie nieder, und so den Hals gestreckt und die Sinne gespannt, flüsterte er ihm eine Erzählung in das Ohr, welche dramatisch genug war, um Gebärden- und Mienenspiel zu entbehren. Während dieser Mitteilung schliefen Athos, Porthos und Aramis so fest, als hätten sie acht Tage lang nicht geschlafen, und im Zwischendecke knüpfte Mousqueton aus Vorsicht seine Nesteln, indes Blaisois voll Entsetzen und mit gesträubten Haaren dasselbe zu tun versuchte. Nun sehen wir, was vorgefallen ist. Grimaud war kaum durch die Öffnung verschwunden und in die erste Abteilung gelangt, als er um sich forschte und ein Faß antraf. Er pochte, dieses Faß war leer; allein das dritte, an dem er den Versuch wiederholte, gab einen so dumpfen Ton von sich, daß man sich daran nicht irren konnte. Grimaud erkannte, daß es voll sei. Hier hielt er an, suchte nach einer passenden Stelle, um es anzubohren, und stieß während des Suchens an einen Hahn.
»Gut,« murmelte Grimaud, »damit ist mir eine Arbeit erspart.« Er hielt den Bierkrug unter, drehte den Hahn und merkte, wie der Inhalt ganz sanft aus dem einen in das andere Gefäß überging. Nachdem er erst die Vorsichtsmaßregel getroffen, den Hahn wieder zu schließen, und zu gewissenhaft war, seinen Kameraden ein Getränk zu bringen, wofür er sich bei ihnen nicht hätte verantwortlich machen können, so setzte er den Krug an seine Lippen, hörte aber in diesem Augenblicke das Warnungszeichen, das ihm Mousqueton gab; er wähnte, daß eine Nachtrunde komme, schlüpfte zwischen zwei Fässer hinein, und verbarg sich hinter leeren Gebinden. Einen Augenblick nachher ging wirklich die Tür auf und wieder zu, da jene zwei Männer in Mänteln eintraten, welche wir vor Blaisois und Mousqueton hin und her kommen sahen, wo sie ihnen das Licht auszulöschen befahlen. Der eine von ihnen trug eine sorgfältig verschlossene Laterne von solcher Höhe, daß die Flamme ihren Gipfel nicht erreichen konnte. Außerdem waren die Scheiben wieder mit weißem Papier überzogen, welches das Licht und die Wärme milderte und einsog. Dieser Mann war Groslow. Der andere hielt etwas in der Hand, das lang, biegsam und wie ein Strick gerollt war. Sein Gesicht ward von einem breiträndrigen Hute überschattet. Grimaud dachte, es führe sie dieselbe Leidenschaft, die er empfand, in den Keller, um dem Portwein einen Besuch abzustatten, und zog sich immer tiefer hinter die Fässer zurück, wobei er sich übrigens damit tröstete, daß das Verbrechen eben nicht groß wäre, wenn man ihn auch entdeckte. Als die beiden Männer bei dem Fasse ankamen, hinter dem Grimaud versteckt lag, blieben sie stehen.
»Habt Ihr die Lunte?« fragte derjenige auf englisch, der die Blendlaterne trug.
»Hier ist sie,« entgegnete der andere. Bei der Stimme des letzteren schauderte Grimaud und fühlte diesen Schauder durch das Mark seiner Knochen dringen, er erhob sich langsam bis über den Rand des Gebindes und erkannte unter dem breiten Hute das blasse Gesicht Mordaunts.
»Wie lange mag wohl diese Lunte glimmen?« fragte er.
»Nun, etwa fünf Minuten,« erwiderte der Patron. Auch diese Stimme war Grimaud nicht fremd; sein Blick glitt von dem einen zum andern über, und nach Mordaunt erkannte er Groslow.
»Sonach,« sprach Mordaunt, »meldet Eurer Mannschaft, sich bereit zu halten, ohne ihr die Ursache anzugeben. Folgt die Schaluppe dem Schiffe nach?«
»Wie ein Hund am Hanfstricke seinem Herrn folgt.«
»Wenn dann die Uhr auf ein Viertel nach Mitternacht zeigt, so versammelt Eure Mannschaft, und steigt geräuschlos in die Schaluppe.«
»Nachdem ich die Lunte angebrannt habe?«
»Diese Sorge betrifft mich. Ich will meiner Rache gewiß sein. Sind die Ruder in der Schaluppe.?«
»Es ist alles vorbereitet.«
»Gut.«
»Sonach sind wir einverstanden.«
Mordaunt kniete nieder und band das eine Ende der Lunte an den Hahn, damit er nur noch das andere Ende anzubrennen brauchte. Als das geschehen war, stand er wieder auf und sagte: »Habt Ihr gehört? Ein Viertel nach Mitternacht, das heißt ... Er zog seine Uhr hervor. »In zwanzig Minuten.«
»Vollkommen, mein Herr,« entgegnete Groslow. »Ich muß Euch nur zum letztenmal bemerken, daß dieses Unternehmen mit einiger Gefahr verbunden ist, und daß es besser wäre, das Anzünden dieses Feuerwerkes einem unserer Leute aufzutragen.«
»Lieber Groslow,« versetzte Mordaunt, »Ihr kennt das französische Sprichwort: Man bedient sich nur selber gut, - ich will das in Anwendung bringen.« Grimaud hatte alles gehört, wenn auch nicht alles verstanden, allein bei ihm ersetzte das Gesicht den Mangel des vollen Verstehens der Sprache; er hatte die zwei Todfeinde der Musketiere gesehen und erkannt; er sah, wie Mordaunt die Lunte befestigte, er hörte jenes Sprichwort, welches Mordaunt französisch sagte, und es ihm dadurch noch leichter machte; endlich fühlte er wiederholt den Inhalt des Kruges an, den er in der Hand hielt, und anstatt der Flüssigkeit, welche Mousqueton und Blaisois erwarteten, knitterten und zerbröckelten sich die Körner eines groben Pulvers unter seinen Fingern. Mordaunt ging mit dem Patron weg; doch an der Türe der Kajüte hielt er an und horchte. »Hört Ihr sie schlafen?« sprach er. Man hörte auch wirklich Porthos durch den Fußboden schnarchen.