»Und ich würde gewiß ertrinken, bevor ich dahin käme,« versetzte Blaisois.
»Heda, ich erwürge Euch beide, wenn Ihr nicht hinabspringt,« rief Porthos, und faßte sie an der Kehle. »Vorwärts, Blaifois!« Ein Ächzen, von Porthos' eiserner Faust gedämpft, war die ganze Antwort Blaisois', denn der Riese, der ihn beim Kopf und bei den Füßen anfaßte, ließ ihn wie einen Balken durch das Fenster gleiten und schob ihn mit dem Kopf nach unten ins Meer. »Jetzt, Mouston, hoffe ich,« sprach Porthos, »daß du deinen Herrn nicht verlassen wirst.«
»O, gnädiger Herr,« entgegnete Mousqueton mit Tränen im Auge, »warum haben Sie wieder Dienst genommen? Es ging uns doch so gut auf dem Schlosse Pierrefonds.« Und ohne andere Widerrede, entweder aus wahrer Treue, oder durch das rücksichtlich Blaisois gegebene Beispiel leidend und folgsam, sprang Mousqueton mit dem Kopfe voraus ins Meer, was immerhin eine erhabene Tat war, da sich Mousqueton für tot hielt. Allein Porthos war nicht der Mann, daß er seinen getreuen Gefährten so verließ. Der Herr folgte dem Diener so nahe, daß der Fall der zwei Körper nur ein Geräusch machte, wonach sich Mousqueton von Porthos' kräftiger Hand unterstützt sah, als er, wieder ganz verblüfft auf die Oberfläche des Wassers kam; sofort konnte er sich auch, ohne daß er irgendeine Bewegung zu machen brauchte, dem Taue majestätisch wie ein Meergott nähern. In demselben Momente sah Porthos einen Gegenstand im Bereiche seines Armes wirbeln. Er faßte denselben bei den Haaren an; es war Blaisois, dem auch Athos schon entgegenkam.
»Geht, Graf, geht, ich bedarf Eurer nicht,« sagte Porthos. Porthos richtete sich auch in der Tat durch einen kräftigen Fußstoß über die Wellen empor, gleich dem Riesen Adamastor, und erreichte in drei Stößen seinen Freund. D'Artagnan, Aramis und Grimaud halfen Blaisois und Mousqueton beim Einsteigen, dann kam die Reihe an Porthos, der das kleine Schiff beinahe zum Sinken brachte, als er über Bord stieg.
»Und Athos?« fragte d'Artagnan.
»Hier bin ich,« rief Athos, der erst zuletzt einsteigen wollte wie ein General, der den Rückzug deckt.
»Seid Ihr alle beisammen?«
»Alle,« erwiderte d'Artagnan, »und habt Ihr Euren Dolch, Athos?«
»Ja.«
»So schneidet das Tau ab und kommt.«
Athos nahm seinen scharfen Dolch vom Gürtel und schnitt das Tau ab; die Feluke fuhr weiter; die Barke blieb auf ihrem Platze, ohne daß sie auf eine andere Weise als durch die Wellen bewegt wurde.
»Kommt, Athos!« rief d'Artagnan. Er reichte dem Grafen de la Fere die Hand, der nun auch in das kleine Fahrzeug stieg.
»Es war an der Zeit,« sprach der Gascogner, »und Ihr werdet alsbald etwas Seltsames sehen.«
Verhängnis
D'Artagnan hatte jene Worte kaum ausgesprochen, so ließ sich auch wirklich ein Pfeifen auf der Feluke hören, die sich schon allmählich in Nebel und Dunkelheit verlor.
»Das will etwas bedeuten, wie Ihr wohl begreifen werdet,« sagte der Gascogner. In diesem Momente sah man auf dem Verdecke eine Laterne schimmern, und im Hinterdecke dunkle Gestalten erscheinen. Auf einmal hallte ein entsetzlicher Schrei, ein Schrei der Verzweiflung, durch den Luftraum, und als hätte dieser Schrei die Wolken verscheucht, so öffnete sich der Schleier, der den Mond umhüllte, und man bemerkte auf dem von einem blassen Lichte versilberten Himmel die grauen Segel und das dunkle Tauwerk der Feluke. Schatten liefen verwirrt auf dem Schiffe hin und her, und Jammergeschrei begleitete dieses sinnlose Herumwandeln. Diese verwirrten Schatten auf dem Schiffe waren Groslow, der zu der von Mordaunt festgesetzten Stunde seine Mannschaft versammelt hatte, indes dieser, als er an der Türe der Kajüte gelauscht, ob die Musketiere noch immer schliefen, durch ihr Schweigen beruhigt, in den Schiffsraum hinabgestiegen war. Wer hätte auch in der Tat vermuten können, was sich eben zugetragen hatte? Mordaunt schloß somit die Türe auf und eilte nach der Lunte, begierig wie ein racheschnaubender Mensch, und seiner Sache gewiß, wie diejenigen, welche Gott verblendet, zündete er den Schwefel an. Mittlerweile versammelte sich Groslow mit seinen Matrosen auf dem Hinterdecke.
»Faßt das Tau an,« rief Groslow, »und zieht die Barke heran.« Ein Matrose setzte sich rittlings auf die Schiffswand, ergriff das Tau und zog es an sich; das Tau kam ohne Widerstand zu ihm.
»Das Tau ist abgeschnitten,« rief der Matrose, »es ist keine Barke mehr da.«
»Wie, keine Barke mehr?« stammelte Groslow, und eilte gleichfalls nach der Brüstung; »das ist nicht möglich!«
»Es ist aber doch so,« entgegnete der Matrose, »sehet nur; es ist nichts im Fahrwasser und hier ist das Ende vom Tau.« Hier war es, wo Groslow jenes Gebrüll ausstieß, welches die Musketiere vernommen hatten.
»Was ist es?« rief Mordaunt, der eben aus der Luke hervorkam, und mit der Fackel in der Hand nach dem Hinterdecke eilte.
»Unsere Feinde sind uns entwischt, sie schnitten das Tau ab, und entfliehen mit der Barke.« Mordaunt machte nun einen Satz bis zur Kajüte, und stieß deren Türe mit einem Fußtritt ein.
»Leer,« rief er, »leer, o die Teufel!«
»Laßt sie uns verfolgen,« sagte Groslow, »sie können noch nicht weit sein, wir segeln über sie weg und bohren sie in den Grund.«
»Ja, allein das Feuer?« rief Mordaunt, »ich legte das Feuer.«
»Woran?«
»An die Lunte.«
»Tausend Donner!« schrie Groslow und stürzte nach der Luke; »vielleicht ist es noch Zeit?« Mordaunt antwortete nur mit entsetzlichem Lachen, und während er mit Zügen, die mehr durch Haß als durch Schreck entstellt waren, zum Himmel emporstarrte, und ihm mit großen Augen eine letzte Verwünschung zuschleuderte, warf er zuerst seine Fackel ins Meer und stürzte sich dann selber hinab. In dem Momente, wo Groslow den Fuß auf die Treppe der Luke setzte, öffnete sich das Schiff wie der Krater eines Vulkans; ein Flammenstrom brauste mit einem Knall gegen den Himmel, wie der von hundert Kanonen, die zugleich donnern, die Luft entzündete sich, von glühenden Trümmern durchfurcht, darauf erlosch der furchtbare Blitz, die Trümmer stürzten prasselnd in den Abgrund nieder, wo sie erloschen, und ein Beben in der Luft abgerechnet, hätte man ein Weilchen darauf glauben können, es wäre nichts vorgegangen. Nun war die Feluke von der Oberfläche des Wassers verschwunden und Groslow mit seinen drei Matrosen war vernichtet.
Die vier Freunde hatten alles gesehen; es entging ihnen kein Umstand dieses furchtbaren Dramas. In diesem glänzenden Lichte, welches das Meer auf eine Meile weit beleuchtete, hätte man einen Augenblick lang jeden von ihnen in einer verschiedenen Haltung sehen können, wie sich an ihnen das Entsetzen abmalte, welches sie trotz ihrer ehernen Herzen zu empfinden nicht umhin konnten. Bald darauf fiel der Flammenregen rings um sie herum nieder, dann erlosch endlich, wie schon erwähnt, der Vulkan, und alles, die schaukelnde Barke und das hochgehende Meer, kehrten in ihre vorherige Dunkelheit zurück. Sie blieben ein Weilchen lang schweigend und bestürzt. Porthos und Aramis hielten die Ruder, welche sie ergriffen hatten, maschinenartig über dem Wasser, stemmten sich mit dem ganzen Körper darauf und umklammerten sie mit krampfhaften Händen. Aramis unterbrach zuerst die Totenstille und rief:
»Meiner Treue, ich glaube, diesmal wird alles abgetan sein.«
»Zu Hilfe, Mylords, steht mir bei, o, zu Hilfe!« rief eine klägliche Stimme, deren Töne zu den vier Freunden wie die Stimme eines Seegeistes hallte. Sie blickten alle einander an, und Athos erbebte.
»Da ist er,« sprach er, »das ist seine Stimme.« Alle schwiegen, denn alle erkannten die Stimme; sie wandten bloß ihre Augen mit erweiterten Pupillen nach der Richtung hin, wo das Schiff verschwunden war, und gaben sich alle mögliche Mühe, die Dunkelheit zu durchdringen. Eine kurze Weile darauf gewahrte man einen Menschen, der kräftig herbeischwamm.
Athos streckte nach ihm den Arm aus, während er ihn seinen Begleitern mit den Fingern zeigte.