Mordaunt folgte Bernouin, welcher ihn in einen anstoßenden Saal führte, und ihn einem Türhüter empfahl, während er ihm ein Ausgangstor zeigte. Hierauf empfing Mazarin einen seiner Vertrauten, der ihm über den Zweck des Aufenthaltes der Königin Henriette in Paris Mitteilungen machte, die den Kardinal sichtlich verstimmten.
Nachdem er den Überbringer dieser Nachrichten wieder entlassen hatte, rief er nach Bernouin. Bernouin trat ein. »Man sehe nach, ob sich der junge Mann im schwarzen Anzuge und mit den kurzen Haaren, den du zuvor bei mir eingeführt hast, noch im Palaste befinde.« Bernouin trat mit Comminges wieder ein, der die Wache versah. »Monseigneur,« sprach Comminges, »als ich den jungen Mann zurückführte, nach dem Ew. Eminenz gefragt hatte, näherte er sich der Glastüre und sah da etwas voll Verwunderung an, zweifelsohne das schöne Bild Rafaels, das jener Türe gegenüberhängt; dann blieb er einen Augenblick lang tiefsinnig und stieg die Treppe hinab. Mich dünkt, ich sah ihn einen Grauschimmel besteigen und aus dem Hofraum des Palastes reiten. Doch begeben sich Ew. Eminenz nicht zu der Königin?« »Weshalb?« «Herr von Guitaut, mein Oheim, hat mir eben erzählt, Ihre Majestät habe Nachrichten von dem Heere erhalten.« »Gut, ich will schnell dahingehen.« In diesem Momente erschien Herr von Villequier und holte wirklich den Kardinal im Auftrage der Königin.
Comminges hatte richtig gesehen; Mordaunt tat, wie er berichtet hatte. Als er die mit der großen Glasgalerie parallellaufende Galerie durchschritt, erblickte er de Winter, welcher dort wartete, bis die Königin ihre Unterredung beendigt habe. Bei diesem Anblick war nun der junge Mann, nicht in Verwunderung vor dem Bilde Rafaels, sondern wie verzaubert durch den Anblick eines schrecklichen Gegenstandes plötzlich stehen geblieben; seine Pupillen erweiterten sich; ein Schauder durchwallte seinen ganzen Körper, und man hätte glauben mögen, er wolle durch die gläserne Türe brechen, die ihn von seinem Feinde trennte; denn hätte es Comminges gesehen, mit welchem Haß der junge Mann die Augen auf de Winter heftete, so würde er keinen Augenblick daran gezweifelt haben, daß dieser britische Edelmann sein Todfeind sei. Doch hielt er an. Er tat das ohne Zweifel, um zu überlegen; denn statt daß er sich von seinem ersten Gedanken hinreißen ließ, der da war, geradezu auf Lord de Winter hinzustürzen, stieg er langsam über die Treppe, verließ gesenkten Hauptes den Palast, schwang sich auf sein Pferd, ritt an die Ecke der Straße Richelieu und wartete, die Augen auf das Gitter geheftet, bis die Kutsche der Königin aus dem Palaste komme. Er hatte nicht lange zu warten, da sich die Königin nicht über eine Viertelstunde bei Mazarin aufgehalten hatte; doch kam diese Viertelstunde dem Wartenden wie ein Jahrhundert vor; endlich rollte die Karosse rasselnd durch das Gitter, und Herr de Winter, der noch immer zu Pferde war, neigte sich abermals an den Kutschenschlag, um sich mit Ihrer Majestät zu unterreden.
Die Pferde setzten sich in Trab auf dem Wege nach dem Louvre, wo sie hineinsprengten. Ehe noch die Königin das Kloster der Karmeliterinnen verlassen, sprach sie zu ihrer Tochter, sie möge in dem Palaste warten, worin sie so lange gewohnt, und den sie nur deshalb verlassen hatten, weil ihr das Elend in diesen vergoldeten Zimmern noch viel drückender schien. Mordaunt folgte dem Wagen nach, und als er ihn unter die dunkle Halle fahren sah, drängte er sich mit seinem Pferd an eine Mauer, über die sich Dunkelheit breitete, und blieb mitten unter den Verzierungen von Jean Goujon wie ein Balsrelief, das eine Reiterbüste vorstellt, stehen. Er wartete, wie er es vorher bei dem Palais-Royal getan hatte.
Wie die Unglücklichen manchmal den Zufall für die Vorsehung halten
»Nun, Madame?« sprach de Winter, als die Königin ihre Diener weggeschickt hatte. »Was ich voraussah, das geschieht, Mylord.« »Er weigert sich?« »Sagte ich es denn nicht voraus?« »Der Kardinal weigert sich, den König zu empfangen, Frankreich verweigert einem unglücklichen Fürsten die Gastfreundschaft, Madame? Das geschieht hier zum erstenmal.« »Mylord, ich sagte ja nicht: Frankreich, sondern ich sagte: der Kardinal, und der Kardinal ist nicht einmal Franzose.« »Allein die Königin - sahen Sie die Königin?«»Das ist unnötig,« versetzte die Königin Henriette, traurig den Kopf schüttelnd; »wenn der Kardinal einmal Nein gesagt hat, wird die Königin niemals Ja sagen. Wisset Ihr denn nicht, daß dieser Italiener alles leitet, im Innern wie im Äußern? Überdies, ich komme hier auf das zurück, was ich Euch schon sagte, es sollte mich nicht wundernehmen, wenn uns Cromwell zuvorgekommen wäre; er war betroffen, als er mich sah, blieb aber doch fest in seinem Willen, sich zu weigern. Bemerktet Ihr dann nicht jene Aufregung im Palais-Royal, jenes Hin- und Herlaufen geschäftiger Leute? Mylord, haben Sie etwa Nachrichten erhalten?« »Nicht von England, Madame, ich beeilte mich so sehr, daß ich versichert bin, es sei mir niemand zuvorgekommen; ich brach vor drei Tagen auf, und schlüpfte wie durch ein Wunder mitten durch das puritanische Heer; dann nahm ich mit meinem Bedienten Tony die Post, und die Pferde, welche wir reiten, haben wir erst in Paris gekauft. Überdies bin ich überzeugt, ehe der König etwas wagt, wird er die Antwort Ihrer Majestät abwarten.« »Mylord,« entgegnete die Königin voll Verzweiflung, »meldet ihm, daß ich nichts vermag, daß ich eben so viel ausgestanden habe wie er, noch mehr wie er, da ich genötigt bin das Brot der Verbannung zu essen, und Gastfreundschaft von falschen Freunden zu verlangen, die über meine Tränen lachen, und daß er, was seine königliche Person betrifft, sich großmütig opfern und als König sterben müsse; ich will an seiner Seite sterben!« »Madame!« rief de Winter aus, »Ihre Majestät gibt sich der Mutlosigkeit hin; vielleicht haben wir doch noch eine Hoffnung übrig.« »Keine Freunde mehr, Mylord! keine Freunde mehr auf der ganzen Welt, außer Euch! O mein Gott! mein Gott!« »Ich hoffe noch, Madame,« versetzte de Winter tiefsinnig; »ich habe Ihnen von vier Männern erzählt.« »Was wollt Ihr denn mit vier Männern?« »Vier getreue Männer, vier Männer, die zu sterben bereit sind, vermögen viel, glauben Sie mir, Madame, und diejenigen, von denen ich spreche, haben einmal viel ausgerichtet.« »Und wo sind diese vier Männer?« »Ah, das weiß ich nicht. Ich habe sie seit etwa zwanzig Jahren aus den Augen verloren, und doch dachte ich bei jeder Gelegenheit an sie. wo ich den König in Gefahr schweben sah. »Und waren diese vier Männer Eure Freunde?« »Der eine von ihnen hatte mein Leben in seiner Gewalt, und hat es mir bewahrt; ich weiß nicht, ob er mein Freund geblieben ist, allein ich blieb wenigstens immer der seinige.« «Und befinden sich diese Männer in Frankreich, Mylord?« »Ich glaube.« »Nennt ihre Namen, vielleicht hörte ich sie einmal nennen und könnte Euch bei Euren Nachforschungen behilflich sein.« »Der eine von ihnen nannte sich Chevalier d'Artagnan.« »O, Mylord, wenn ich nicht irre, so ist dieser Chevalier d'Artagnan Leutnant bei den Garden; doch gebt acht, denn ich fürchte, dieser Mann ist ganz dem Kardinal ergeben.« »In diesem Falle wäre das ein letztes Unglück, und ich fange an zu glauben, daß wir wahrhaft verflucht seien.« »Allein die andern,« sprach die Königin welche sich an diese letzte Hoffnung klammerte wie ein Schiffbrüchiger an die Trümmer seines Schiffes, »die andern, Mylord?« »Der zweite - ich hörte diesen Namen nur zufällig aussprechen, denn ehe sich diese Edelleute mit uns schlugen, nannten sie uns ihre Namen - der zweite nannte sich Graf de la Fere. Was die zwei anderen betrifft, so habe ich ihre wahren Namen vergessen, weil ich gewohnt war, sie nur bei ihren angenommenen Namen zu nennen.«
»Ach, mein Gott! es wäre doch ungemein vonnöten, sie wieder aufzufinden,« sprach die Königin, »da Ihr glaubt, diese würdigen Edelleute könnten dem Könige so nützlich sein.« »O ja,« entgegnete de Winter, »denn es sind dieselben, Madame, beachten Sie wohl und sammeln Sie alle Ihre Erinnerungen; hörten Sie nicht erzählen, daß die Königin Anna einmal aus der größten Gefahr gerettet wurde, in die je eine Königin geraten kann?« »Ja, zur Zeit ihres Abenteuers mit Buckingham und ich weiß nicht betreffs welcher diamantenen Nestelstifte.« »Wohl, ganz richtig, Madame; diese Männer sind dieselben, welche sie retteten, und ich lächle vor Mitleid bei dem Gedanken, daß, wenn Ihnen diese Namen nicht bekannt sind, dieses seinen Grund darin hat, weil sie die Königin vergaß, indes sie dieselben zu den ersten Würdenträgern des Reiches hätte erheben sollen.« »Gut, Mylord, man muß sie aufsuchen. Allein was vermögen vier - oder vielmehr nur drei Männer auszurichten, denn ich sage Euch, auf Herrn d'Artagnan dürfen wir nicht zählen.« »Da wäre dann ein wackerer Degen weniger, Madame, indes bleiben noch andere drei übrig, ohne den meinigen zu rechnen; nun würden aber vier treue Männer rings um den König genügen, um ihn vor seinen Feinden zu behüten, in der Schlacht zu beschützen, im Rate zu unterstützen, bei seiner Flucht zu schirmen, nicht damit sie den König zum Sieger machten, wohl aber, daß sie ihn retten, wenn er besiegt würde, und ihm beistehen bei seiner Fahrt über das Meer. Und was auch Mazarin darüber sagen mag, wäre einmal Ihr königlicher Gemahl an Frankreichs Küsten, so fände er daselbst so viele Verstecke und Zufluchtsorte, als die Vögel des Meeres zur Zeit der Stürme finden.« »Sucht, Mylord, sucht diese Edelleute auf, und wenn Ihr sie wiederfindet und wenn sie mit Euch nach England zu gehen einwilligen, so will ich jedem von ihnen ein Herzogtum an dem Tage verleihen, da wir wieder unsern Thron einnehmen, und überdies so viel Geld, als man brauchte, um damit den Palast von Whitehall zu pflastern. Sucht also, Mylord, sucht, ich beschwöre Euch!« »Ich würde sie wohl aufsuchen, Madame,« entgegnete de Winter, »und sie zweifelsohne auch finden, allein es gebricht mir hierzu an Zeit. Vergißt Ihre Majestät, daß der König Ihre Antwort erwartet, und zwar mit banger Sehnsucht?« »So sind wir denn verloren!« rief die Königin mit dem Tone eines gebrochenen Herzens.