In diesem Momente öffnete man die Türe, die junge Henriette trat ein, und die Königin drückte mit der erhabenen Kraft, welche den Heldenmut der Mutter ausdrückte, ihre Tränen auf den Grund ihres Herzens zurück, und gab de Winter einen Wink, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben. Allein wie mächtig auch diese Gegenwirkung war, so entging sie doch den Augen der jungen Prinzessin nicht; sie blieb an der Schwelle stehen, stieß einen Seufzer aus, wandte sich an die Königin und fragte: »Weshalb weinst du denn immer ohne mich, meine Mutter?« Die Königin lächelte, und statt ihr eine Antwort zu geben, sprach sie: »Nun, de Winter, ich habe dabei wenigstens das gewonnen, daß ich nur noch zur Hälfte Königin bin, daß nämlich meine Kinder noch Mutter zu mir sagen, statt mich Madame zu nennen.« Und zu ihrer Tochter umgewendet fuhr sie fort: »Was willst du mir, Henriette?« »Es kam eben ein Kavalier in den Louvre, meine Mutter,« erwiderte die junge Prinzessin, »der Ihrer Majestät seine Ehrerbietung zu bezeugen wünscht; er kommt von dem Heere, und wie er sagte, so hat er dir einen Brief, ich glaube von dem Marschall von Grammont, einzuhändigen.« »Ach!« rief die Königin zu de Winter, »das ist einer meiner Getreuen; allein bemerkt Ihr nicht, Mylord, wie armselig wir bedient sind, indem meine Tochter sogar das Anmeldeamt versehen muß?« »Erbarmen Sie sich meiner, Madame,« sagte de Winter, »Sie brechen mir das Herz.« »Und wer ist dieser Edelmann, Henriette?« fragte die Königin. »Ich habe ihn durch das Fenster gesehen, es ist ein junger Mann, der kaum sechzehn Jahre zu zählen scheint, und den man Vicomte von Bragelonne nennt.«
Die Königin winkte lächelnd mit dem Kopfe, die junge Prinzessin öffnete wieder die Türe und Rudolf erschien auf der Schwelle. Er machte drei Schritte gegen die Königin und kniete nieder. »Madame,« sprach er, »ich überbringe Ihrer Majestät einen Brief meines Freundes, des Herrn Grafen von Guiche, der, wie er mir sagte, die Ehre hat, Ihr Diener zu sein; dieser Brief enthält eine wichtige Nachricht und den Ausdruck seiner Ergebenheit.« Bei dem Namen des Grafen von Guiche flog eine Röte an die Wangen der jungen Prinzessin; die Königin blickte mit einem gewissen Ernste auf sie und sagte: »Du hast mir aber gemeldet, Henriette, daß der Brief von dem Marschall von Grammont käme.« »Ich glaubte das, Madame.« stammelte das junge Mädchen. »Daran bin ich schuld, Madame,« versetzte Rudolf; »ich meldete mich in der Tat, als käme ich von dem Marschall von Grammont; da er aber am rechten Arm verwundet wurde, so konnte er nicht schreiben, und der Graf von Guiche diente ihm als Sekretär.« »Hat man sich also geschlagen?« fragte die Königin, und gab Rudolf ein Zeichen, sich zu erheben. »Ja, Madame,« antwortete der junge Mann, indem er den Brief de Winter überreichte, welcher sich genähert hatte, um ihn zu empfangen, und der ihn sodann der Königin übergab.
Bei der Nachricht, daß eine Schlacht stattgefunden, öffnete die Prinzessin den Mund, um eine Frage zu stellen, die sie ohne Zweifel interessierte; allein ihr Mund schloß sich wieder, ohne ein Wort ausgesprochen zu haben, während die Röte ihrer Wangen nach und nach wieder verblich. Die Königin bemerkte alle diese Erscheinungen, und sicher erklärte sie sich ihr mütterliches Herz, denn sie wandte sich abermals an Rudolf und sprach: »Und ist dem jungen Grafen von Guiche kein Unfall begegnet? er ist ja nicht bloß unser Diener, sondern er gehört auch noch zu unsern Freunden.« »Nein, Madame,« erwiderte Rudolf; »im Gegenteil hatte er an diesem Tage einen glänzenden Ruhm erworben und die Ehre gehabt, daß ihn der Prinz auf dem Schlachtfeld umarmte.« Die junge Prinzessin klatschte mit den Händen; jedoch ganz beschämt, daß sie sich zu einer solchen Äußerung ihres Entzückens hinreißen ließ, wandte sie sich halb ab und neigte sich zu einer Vase voll Rosen, als ob sie ihren Duft einatmen wollte. »Sehen wir nun, was der Graf uns schreibt,« sprach die Königin. »Ich hatte bereits die Ehre, Ihrer Majestät zu sagen, daß er in seines Vaters Namen geschrieben hat.« »Ja, mein Herr.« Die Königin erbrach und las den Brief.
»Madame und Königin! Da ich einer Wunde wegen, die ich an der rechten Hand erhalten, nicht die Ehre haben kann, selber zu schreiben, so lasse ich Ihnen durch meinen Sohn, den Herrn Grafen von Guiche, schreiben, welchen Sie, wie seinen Vater, als Ihren Diener kennen, um Ihnen zu melden, daß wir die Schlacht bei Lens gewonnen, und daß dieser Sieg notwendig dem Kardinal Mazarin und der Königin eine große Macht über die Angelegenheiten Europas verschaffen muß. Möge somit Ihre Majestät, wenn Sie meinem Rate folgen will, diesen Moment nützen, um bei der Regierung des Königs zugunsten Ihres erlauchten Gemahls Schritte zu tun. Der Herr Vicomte von Bragelonne, der die Ehre haben wird, Ihnen diesen Brief zu überbringen, ist der Freund meines Sohnes, dem er nach aller Wahrscheinlichkeit das Leben gerettet hat; er ist ein Kavalier, dem Ihre Majestät gänzlich vertrauen kann, falls Sie mir irgendeinen mündlichen oder schriftlichen Auftrag wollen zukommen lassen. Ich habe die Ehre mit Ergebenheit zu sein
Marschall von Grammont.«
In dem Momente, wo die Rede von dem Dienste war, welchen Rudolf dem Grafen leistete, konnte er nicht umhin, den Kopf nach der jungen Prinzessin zu wenden, und da sah er denn, daß sich ihre Augen mit einem Ausdrucke der innigsten Dankbarkeit gegen ihn erfüllten. Es war außer allem Zweifel, daß die Tochter des Königs Karl I. seinen Freund liebte.
»Die Schlacht von Lens gewonnen!« rief die Königin. »O, hier sind sie glücklich, da sie Schlachten gewinnen. Ja, der Marschall von Grammont hat recht, das wird die Gestalt ihrer Angelegenheiten verändern; allein mir bangt sehr, daß es nichts für uns beiträgt, wenn es uns etwa nicht gar noch Nachteil bringt. Diese Nachricht ist neu, mein Herr,« fuhr die Königin fort: »ich danke Euch, daß Ihr Euch so beeilt habt, sie mir zu überbringen; ohne Euch hätte ich sie erst morgen, vielleicht übermorgen als die letzte von ganz Paris erfahren.«