»Was tut er in England?«
»Er ist einer der eifrigsten Anhänger des Oliver Cromwell.«
»Nun errate ich alles; er kommt als Abgeordneter Cromwells.«
»An wen?«
»An Mazarin, und die Königin hat richtig geraten, man ist uns zuvorgekommen. Jetzt wird mir alles klar; lebt wohl, Graf, auf morgen.«
»Allein die Nacht ist finster,« bemerkte Athos, als er Lord Winter von einer viel lebhafteren Besorgnis erschüttert sah, als er zeigen wollte, »und Ihr habt vielleicht keine Diener?«
»Ich habe Tony, der wohl gut, aber unerfahren ist.«
»Holla! Olivain, Grimaud, Blaisois! nehmt das Gewehr und ruft den Vicomte.«
Blaisois war jener große Mensch, halb Diener, halb Landmann, den wir auf dem Schlosse Bragelonne sahen, als er meldete, daß das Mittagsmahl aufgetragen sei, und dem Athos den Namen seiner Provinz beigelegt hatte. Fünf Minuten nach Erteilung jenes Auftrages erschien Rudolf. »Vicomte,« sprach Athos zu ihm, »begleitet Mylord bis zu seinem Gasthause und lasset niemand sich ihm nähern.«
»Auf morgen, Graf,« rief Lord Winter. »Ja, Mylord.«
Der kleine Zug bewegte sich nach der Straße Saint-Louis, Olivain zitternd wie Sofia bei jedem Schimmer zweideutigen Lichtes; Blaisois ziemlich fest, weil er nicht wußte, daß man in irgendeiner Gefahr schwebe, Tony links und rechts spähend, ohne ein Wort zu sprechen, da er nicht Französisch verstand. Lord Winter und Rudolf schritten nebeneinander und unterredeten sich. Grimaud, der dem Befehle Athos' zufolge die Fackel in der einen, das Gewehr in der andern Hand dem Zuge vorangeschritten war, gelangte vor das Gasthaus Lord Winters, schlug mit der Faust an das Tor, und als es geöffnet war, verneigte er sich vor Lord Winter, ohne etwas zu sprechen.
Abermals eine Königin, welche Hilfe anspricht
Athos ließ sogleich am Morgen Aramis in Kenntnis setzen und übergab seinen Brief Blaisois, dem einzigen Diener, der ihm geblieben war. Blaisois traf Bazin, wie er eben sein Küsterkleid anzog, da er an diesem Tage den Dienst in Notre-Dame hatte. Athos trug Blaisois auf, er möchte Aramis selbst zu sprechen suchen, Blaisois fragte nach Herrn d'Herblay und bestand ungeachtet der Versicherungen Bazins, daß er nicht zu Hause sei, so fest darauf, daß er Bazin ungemein in Zorn brachte. In diesem Momente und bei dem ungewöhnlichen Geräusch kam Aramis herbei und öffnete behutsam und halb die Türe seines Schlafgemaches. Blaisois nahm seinen Brief aus der Tasche und reichte ihn Aramis. »Vom Grafen de la Fere?« fragte Aramis, »es ist gut.« Somit kehrte er in sein Zimmer zurück, ohne daß er nach der Veranlassung dieses Lärmes gefragt hätte.
Um zehn Uhr hatte sich Athos bei gewohnter Pünktlichkeit auf der Louvrebrücke eingefunden. Hier traf er den Lord Winter, der in demselben Augenblicke ankam. Sie warteten beiläufig zehn Minuten lang. Lord Winter begann schon zu fürchten, Aramis möchte nicht kommen. »Geduld,« rief Athos, der seine Augen gegen die Straße du Bac gerichtet hielt; »Geduld, dort kommt einer, das muß Aramis sein.« Er war es in der Tat.
Wie sich wohl erraten läßt, so umarmten sich Aramis und Lord Winter aufs zärtlichste. »Wohin gehen wir?« fragte Aramis. »Schlägt man sich vielleicht? Potz Wetter, ich habe diesen Morgen kein Schwert, und muß wieder nach Hause gehen, um eines zu holen.« »Nein,« versetzte Lord Winter, »wir wollen Ihrer Majestät der Königin von England einen Besuch abstatten.« »O recht schön!« rief Aramis. »Und aus welcher Ursache machen wir diesen Besuch?« fuhr er fort, und neigte sich zu Athos' Ohr.« »Meiner Treue, das weiß ich nicht; vielleicht fordert man von uns irgendein Zeugnis.« »Wäre es etwa jener verwünschten Geschichte wegen?« fragte Aramis, »In diesem Falle läge mir wenig daran, hinzugehen, denn es geschähe, um, irgendeinen Verweis zu holen; aber seit ich deren andern gebe, mag ich selbst nicht gern welche einstecken.« »Wenn das so wäre, so würde uns Lord Winter nicht zu Ihrer Majestät führen, denn auch er hätte seinen Teil daran, da er einer der Unsrigen war.« »Ach ja, es ist wahr. So gehen wir also.«
Als sie im Louvre ankamen, schritt Lord Winter voraus; übrigens hütete nur ein Pförtner die Türe. Beim Tageslichte schienen Athos, Aramis und selbst der Engländer die auffallende Armseligkeit der Wohnung wahrzunehmen, die eine hartherzige Großmut der unglücklichen Königin einräumte. Große Säle, ganz von Möbeln entblößt, beschädigte Wände, an welchen hier und da noch beschädigte Gesimse glänzten, die der Fahrlässigkeit trotzten, Fenster, die sich nicht mehr schlossen, und worin die Scheiben fehlten; kein Teppich, keine Wachen, kein Diener, das fiel Athos schon anfangs auf und darauf machte er auch seine Begleiter aufmerksam, indem er sie mit dem Ellbogen anstieß und auf dieses Elend mit den Augen hinwies. »Mazarin wohnt besser,« bemerkte Aramis. »Mazarin ist beinahe König,« versetzte Athos, »und Madame Henriette ist beinahe nicht mehr Königin.«
Die Königin schien schon ungeduldig zu warten, denn auf die erste Bewegung, die sie in ihrem Vorgemach hörte, trat sie selber an die Schwelle, um da die Höflinge ihres Unglücks zu empfangen. »Tretet ein und seid mir willkommen, meine Herren,« sprach sie. Die Edelleute traten ein und blieben anfangs stehen, doch auf einen Wink der Königin, Platz zu nehmen, gab Athos das Beispiel des Gehorsams. Er war ernst und ruhig, Armins hingegen war entrüstet, da ihn diese königliche Not so sehr erbitterte; seine Augen forschten nach jeder bemerkbaren Spur von Dürftigkeit. »Ihr prüfet meinen Luxus,« sprach die Königin Henriette, indem sie ihren Blick trübselig herumwarf. »Madame,« versetzte Aramis, »ich bitte Ihre Majestät um Verzeihung, allein ich kann meine Entrüstung nicht verhehlen, daß die Tochter Heinrichs IV. dergestalt am Hofe Frankreichs behandelt werde.« »Ist dieser Herr kein Kavalier?« fragte die Königin Lord Winter. »Es ist der Herr d'Herblay,« erwiderte dieser. Aramis errötete und sagte: »Ich widme mich wohl dem geistlichen Stande, Madame, nichtsdestoweniger bin ich stets bereit, wieder Musketier zu werden. Da ich nicht wußte, daß mir die Ehre zuteil würde, Ihre Majestät zu sehen, so zog ich diesen Morgen das priesterliche Kleid an, darum bin ich aber nicht minder der Mann, den Ihre Majestät am getreuesten in Ihrem Dienste finden wird, was sie auch geruhen wolle, mir zu befehlen.« »Der Herr Chevalier d'Herblay,« sagte Lord Winter, »ist einer jener tapferen Musketiere Sr. Majestät des Königs Ludwigs XIII., von denen ich Ihrer Majestät erzählt habe.« Dann wandte er sich zu Athos und fuhr fort: »Dieser Herr hier ist der edle Graf de la Fere, dessen erhabener Ruf Ihrer Majestät Wohl bekannt ist.« »Meine Herren,« sprach die Königin, »ich hatte vor wenigen Jahren, Edelleute, Reichtümer und Herren um mich her versammelt, auf einen Wink meiner Hand stand mir alles das zu Diensten. Allein jetzt, blickt nur um mich, und es wird Euch wahrlich befremden, jetzt habe ich zur Ausführung eines Planes, der mir das Leben retten soll, nur Lord Winter, einen zwanzigjährigen Freund, und Euch, meine Herren, die ich zum ersten Male sehe, und die ich nur als meine Landsleute kenne.« »Es ist hinreichend.« versetzte Athos mit einer tiefen Verneigung, »wenn das Leben dreier Männer das Ihrige zu erhalten vermag.« »Dank, meine Herren, allein höret mich an,« fuhr sie fort, »ich bin nicht bloß die ärmste der Königinnen, sondern bin auch noch die unglücklichste der Mütter, die verzweiflungsvollste der Gattinnen, Meine Kinder, wenigstens zwei davon, der Herzog von York und die Prinzessin Charlotte, sind fern von mir und den Streichen von Ehrsüchtigen und Feinden ausgesetzt; der König, mein Gatte, führt in England ein so armseliges Leben, daß ich wenig sage, wenn ich Euch versichere, daß er den Tod als etwas Wünschenswertes sucht. Seht, meine Herren, hier ist der Brief, welchen er mir durch Mylord Winter geschickt hat; leset ihn.« Athos und Aramis weigerten sich. »Leset ihn,« sprach die Königin. Athos las nun mit lauter Stimme den Brief, welchen wir bereits kennen.