»Nun?« fragte Athos, als er diesen Brief gelesen. »Nun,« entgegnete die Königin, »er hat es abgeschlagen.« Die zwei Freunde tauschten ein Lächeln der Verachtung aus. »Und was haben wir jetzt zu tun?« fragte Athos. »Fühlt Ihr einiges Mitleid für so viel Unglück?« sprach die Königin bewegt. »Ich hatte die Ehre, Ihre Majestät zu fragen, was Sie wünsche, daß der Chevalier d'Herblay und ich für Ihren Dienst tun sollen, wir stehen bereit.« »Ha, mein Herr! Ihr seid wahrhaft ein edles Herz,« rief die Königin mit dankerfüllter Stimme aus, indes sie Lord Winter mit einer Miene anblickte, womit er zu sagen schien: »Habe ich nicht für sie Bürgschaft geleistet?« »Doch Ihr, mein Herr?« fragte die Königin Aramis. »Madame,« entgegnete dieser, »ich folge dem Herrn Grafen überall, wohin er geht, ohne zu fragen, und ginge er in den Tod; wenn es sich aber um den Dienst Ihrer Majestät handelt,« fügte er bei, die Königin mit der ganzen Anmut der Jugend anblickend, »so will ich dem Herrn Grafen noch voranschreiten.« »Nun denn, meine Herren,« sprach die Königin, »so hört, um welchen Dienst es sich für mich handelt: Der König befindet sich allein mit wenig Edelleuten, welche er täglich zu verlieren fürchtet, unter Schottländern, welchen er nicht traut, wiewohl er selbst Schotte ist. Nun, ich fordere vielleicht zu viel, da ich zu fordern durchaus kein Recht habe: Reiset nach England zu dem Könige, seid seine Freunde, seid seine Hüter, zieht an seiner Seite in die Schlacht, bleibt im Innern seines Hauses um ihn, wo man täglich weit gefährlichere Schlingen für ihn legt, als alle Gefahren des Krieges sind, und gegen diese Opfer, meine Herren, die Ihr mir bringen werdet, verspreche ich Euch nicht eine Belohnung, aus Furcht, dieses Wort könnte Euch verletzen, sondern ich gelobe, Euch wie eine Schwester zu lieben und Euch allem vorzuziehen, was nicht mein Gatte, was nicht meine Kinder sind - das beschwöre ich vor Gott.« »Wann sollen wir aufbrechen, Madame?« fragte Athos. »Ihr willigt also ein?« rief die Königin voll Entzücken. »Ja, Madame, nur glaube ich, Ihre Majestät tut zu viel, indem Sie uns eine Freundschaft zusichert, welche so weit über unsere Verdienste geht. Wir dienen Gott, Madame, indem wir einem so unglücklichen Fürsten und einer so tugendhaften Königin dienen. Madame, wir sind Ihrer Majestät mit Leib und Seele ergeben!« »O, meine Herren,« rief die Königin, bis zu Tränen bewegt, »das ist der erste Augenblick der Wonne und der Hoffnung, den ich seit fünf Jahren empfand. Ja, Ihr dienet Gott, und da meine Macht zu beschränkt ist, um einen solchen Dienst anzuerkennen, so wird er es Euch vergelten, er, der in meinem Heizen all dasjenige liebt, was ich an Erkenntlichkeit für ihn und für Euch empfinde. Rettet meinen Gatten, rettet den König, und obschon Euch der Lohn nicht anspornt, der Euch hienieden für diese schöne Tat zuteil werden kann, so laßt mir doch die Hoffnung des Wiedersehens, damit ich Euch selber danke. Mittlerweile bleibe ich hier. Habt Ihr an mich irgendein Anliegen? Ich bin von nun an Eure Freundin, und da Ihr meine Angelegenheiten besorgt, so muß ich mich um die Eurigen bekümmern.« »Madame,« sprach Athos, »ich habe Ihre Majestät nur um Ihre Gebete zu bitten.« »Und ich,« sagte Aramis, »ich stehe allein da auf Erden, und habe Ihrer Majestät nur zu dienen.« Die Königin bot ihnen ihre Hand zum Kusse und sprach dann leise zu Lord Winter: »Gebricht es Euch am Geld, Mylord, so säumt leinen Augenblick und zerschlagt die Schmucksachen, die ich Euch gegeben, nehmt daraus die Diamanten und verkauft sie. Ihr werdet fünfzig- bis sechzigtausend Livres dafür bekommen; gebt sie aus, wenn es vonnöten ist, und sorgt dafür, daß diese Edelleute nach Gebühr, das heißt königlich, behandelt werden.«
Die Königin hatte zwei Briefe in Bereitschaft; der eine war von ihr selbst, der andere von der Prinzessin Henriette, ihrer Tochter, geschrieben. Den einen davon übergab sie Athos, den andern Aramis, damit sie sich, falls sie ein Unfall trennte, dem Könige zu erkennen geben könnten, dann gingen sie weg. Unten an der Treppe hielt Lord Winter an und sagte: »Meine Herren, Ihr ziehet Euren Weg und ich den meinigen, um keinen Argwohn zu erregen, und heute abend um neun Uhr kommen wir bei dem Tore Saint-Denis zusammen. Die drei Edelleute drückten sich die Hand; Lord Winter bog in die Straße Saint-Honore ein, Athos und Aramis blieben beisammen.
Als sie allein waren, sagte Aramis: »Nun, lieber Graf, was haltet Ihr von der Sache?« »Sie steht schlimm,« erwiderte Athos, sehr schlimm.« »Doch habt Ihr sie mit Enthusiasmus angenommen!« »So wie ich stets die Verteidigung eines großen Prinzips annehmen werde, lieber d'Herblay. Die Könige können nur stark sein durch den Adel, allein der Adel kann nur groß sein durch die Könige. Laßt uns also die Monarchie aufrecht erhalten, das ist, uns selbst aufrecht erhalten.« »Wir werden uns dort töten lassen,« entgegnete Aramis. »Ich hasse die Engländer, da sie grobe Biertrinker sind.« »Wäre es etwa besser, hier zu bleiben,« versetzte Athos, »und uns ein bißchen mit der
Bastille oder dem Schloßturme von Vincennes dafür vertraut zu machen, daß wir zur Flucht des Herrn von Beaufort beigetragen haben? Ha, meiner Seele, Aramis, glaubt mir, wir haben nicht Ursache, es zu bedauern. Wir weichen dem Gefängnisse aus und handeln als Helden. Das ist eine leichte Wahl.« »Das ist wohl wahr, mein Lieber; aber wir müssen in jeder Hinsicht auf den ersten Punkt zurückkommen, der, ich weiß es, sehr einfältig, aber sehr nötig ist - habt Ihr Geld?« »Ungefähr hundert Pistolen, die mir mein Pächter am Tage vor meiner Abreise von Bragelonne geschickt hat. Indes muß ich davon fünfzig für Rudolf zurücklassen; ein junger Edelmann soll stets auf würdige Weise leben. Somit habe ich etwa nur noch fünfzig Pistolen. Und Ihr?« »Ich? - o ich bin überzeugt, wenn, ich alle meine Taschen umkehre und meine Schubladen öffne, daß ich nicht zehn Louisdors zu Hause finde. Zum Glück ist Lord Winter reich.« »Lord Winter ist für den Augenblick zu Grunde gerichtet, da ihm Cromwell alle Einkünfte entzieht.« »Nun wäre der Baron Porthos gut,« bemerkte Aramis. »Jetzt beklage ich d'Artagnan,« versetzte Athos. »Welch eine vollgepfropfte Börse!« »Was für ein Degen!« »Laßt sie uns anwerben.« »Das ist nicht unser Geheimnis, Aramis; glaubt mir also und lasset uns niemanden ins Vertrauen ziehen. Machten wir einen solchen Schritt, so würden wir an uns selbst zu zweifeln scheinen. Beklagen wir im Stillen, doch reden wir nichts.«
Wo bewiesen ist, daß die erste Regung stets die beste sei
Die drei Kavaliere begaben sich auf die, Straße nach der Normandie, diese Straße, die ihnen so wohlbekannt war, und die bei Athos und Aramis einige der bilderreichsten Erinnerungen erneuerte. Nach einer Reise von zwei Tagen und einer Nacht gelangten sie endlich bei herrlichem Wetter abends nach Boulogne, einer damals fast öden Stadt, die ganz auf der Höhe erbaut war; die sogenannte untere Stadt bestand noch nicht; Boulogne war ein furchtbar befestigter Ort. Als sie bei den Toren der Stadt ankamen, sprach Lord Winter: »Meine Herren, machen wir es hier wie in Paris; trennen wir uns, um Argwohn zu vermeiden. Ich habe ein Gasthaus, welches wenig besucht und dessen Wirt mir ergeben ist. Dort will ich einkehren, da auch dort Briefe für mich liegen müssen. Ihr kehrt im ersten Gasthofe der Stadt ein, >beim Schwert des großen Heinrich< - erquickt Euch dort, und nach zwei Stunden begebt Euch an den Strand, wo unsere Barke schon warten muß.« So wurde nun die Sache abgemacht, Lord Winter setzte seinen Weg längs des äußeren Bollwerkes fort, um durch ein anderes Tor zu reiten, indes die zwei Freunde durch jenes in die Stadt ritten, vor dem sie eben waren nachdem sie etwa zweihundert Schritte zurückgelegt, kamen sie zu dem Gasthause. Athos und Aramis gingen hinab zu dem Hafen. Diese zwei Freunde erregten durch ihre staubbedeckten Kleider und durch eine gewisse ungezwungene Haltung, die stets den an das Reisen gewohnten Mann bekundet, die Aufmerksamkeit einiger Spaziergänger. Insbesondere fiel ihnen einer derselben auf, der schon bei ihrer Ankunft ihr Augenmerk auf sich gezogen hatte. Dieser Mann wandelte trübselig am Ufer auf und nieder, und als er sie sah, hörte er nicht auf, sie gleichfalls anzublicken, und schien große Lust zu haben, sie anzusprechen. Als nun Athos und Aramis auf dem Strande ankamen, blieben sie stehen, um ein kleines Schiff zu betrachten, das an einem Pfahle befestigt und ganz ausgestattet war, als ob es schon warte. »Das ist zweifelsohne das unsrige,« sagte Athos. »Ja, entgegnete Aramis, »und die Schaluppe, welche dort steuert, sieht ganz so aus, als wäre sie es, die uns nach unserem Ziele führen soll; wenn nur Lord Winter nicht auf sich warten läßt,« fuhr er fort. »Es ist hier nicht angenehm zu weilen, da keine einzige Dame vorbeigeht.« »Still.« sprach Athos, »man belauscht uns.«