»Meine Kinder! Hier ist der Herr Marschall de la Meilleraie, an dessen Gesinnungen Ihr Euch geirrt habt, und der sich verbindlich macht, daß er, wenn er nach dem Palais-Royal zurückkehrt, in Eurem Namen von der Königin die Freilassung unseres Broussel verlangt. Herr Marschall, macht Ihr Euch hierzu verbindlich?« fügte Gondy hinzu, und wandte sich zu dem Gefragten.
»Morbleu!« rief dieser, »ich will es meinen, daß ich mich hierzu verbindlich mache; ich hoffte nicht, so wohlfeilen Preises davonzukommen.«
»Er gibt Euch sein Edelmannswort.« rief Gondy. Der Marschall hob die Hand empor zum Zeichen der Einwilligung.
»Es lebe der Koadjutor!« schrie die Menge. Einige Stimmen fügten noch bei: »Es lebe der Marschall!« Doch alle begannen wieder im Chor: »Nieder mit Mazarin!«
Wie schon gesagt, befand sich Mazarin während dieser Zeit in seinem Kabinett und ordnete seine Angelegenheiten. Er hatte d'Artagnan berufen lassen, da aber d'Artagnan nicht den Dienst hatte, so hoffte er ihn mitten unter diesem Getümmel nicht zu sehen. Indes erschien der Leutnant nach zehn Minuten doch an der Schwelle, und zwar in Begleitung Porthos', »Ah, kommt, Herr d'Artagnan, kommt!« rief der Kardinal, »und seid mir mit Eurem Freunde willkommen. Doch was geht denn vor in diesem verdammten Paris?«
»Was vorgeht, gnädigster Herr? Nichts Gutes,« erwiderte d'Artagnan kopfschüttelnd, »die Stadt ist in vollem Aufstande, und als ich eben mit Herrn du Ballon, der ganz Ihr Diener ist, durch die Straße Montorgueil ging, zwang man uns trotz meiner Uniform, und vielleicht wegen meiner Uniform, zu rufen: »Es lebe Broussel!« und soll ich es sagen, gnädigster Herr, was wir noch hätten rufen sollen?«
»Sagt, sagt es.«
»Nieder mit Mazarin! - Meiner Treu, so waren die Worte.« Mazarin lächelte, doch wurde er blaß.
»Und habt Ihr auch gerufen?« fragte er.
»Meiner Seele, nein,« erwiderte d'Artagnan, »ich war nicht bei Stimme; Herr du Ballon ist heiser und rief gleichfalls nicht. Hier, gnädigster Herr!«
»Hier, was?« fragte Mazarin.
»Betrachten Sie meinen Hut und meinen Mantel.« D'Artagnan zeigte ihm vier Löcher von Kugeln in seinem Mantel und zwei in seinem Hute. Was Porthos' Anzug betrifft, so hatte ihn ein Hellebardenstoß an der Seite aufgeschlitzt und ein Pistolenschuß seine Feder fortgerissen.
»Pest!« rief der Kardinal tiefsinnig und die zwei Freunde mit treuherziger Bewunderung anblickend, »ich hätte gerufen.«
In diesem Momente drang das Getümmel näher. Mazarin trocknete sich die Stirne und blickte um sich. Er wäre gern ans Fenster getreten, doch getraute er sich nicht. Er sagte: »Seht nach, d'Artagnan, was da unten vorgeht.« D'Artagnan trat mit seiner gewöhnlichen Ruhe an das Fenster. »Ho, ho!« rief er, »was ist das? Der Marschall de la Meilleraie kehrt ohne Hut zurück, Fontrailles trägt einen Arm in der Schlinge, verwundete Garden, ganz mit Blut bedeckte Pferde. - Doch halt, was tun denn die Schildwachen, sie schlagen an, um zu feuern.«
»Man hat ihnen Befehl gegeben, auf das Volk zu feuern,« sagte Mazarin, »wenn es sich dem Palais-Royal nähern würde.«
»Wenn sie aber schießen,« rief d'Artagnan, »so ist alles verloren.«
»Wir haben die Gitter.«
»Die Gitter - ha, die Gitter sind nur für fünf Minuten. Man wird sie aus den Fugen schütteln, verdrehen, durchbrechen. Bei Gott! Feuert nicht!« rief d'Artagnan, das Fenster öffnend. Ungeachtet dieses Zurufes, der bei dem Getöse nicht gehört werden konnte, fielen drei bis vier Musketenschüsse; darauf erfolgte ein entsetzliches Gewehrfeuer; man hörte die Kugeln an der Fassade des Palais-Royal anprallen, und eine derselben fuhr unter d'Artagnans Arm hindurch und zerschmetterte einen Spiegel, worin sich eben Porthos selbstgefällig betrachtete. »Ho, ho!« rief der Kardinal, »ein venetianischer Spiegel.«
»Ach, gnädiger Herr,« versetzte d'Artagnan, ruhig das Fenster schließend, »klagen Sie doch nicht, das verlohnt sich nicht der Mühe, denn in einer Stunde wird wahrscheinlich im Palais-Royal kein Spiegel mehr übrig sein, er sei nun von Venedig oder von Paris.«
»Was ist dann aber Euer Rat?« fragte Mazarin.
»Nun, bei Gott, Broussel herausgeben, da sie ihn verlangen. Was tun Sie auch mit einem Parlamentsrate? Das nützt nichts.«
»Und. ist das auch Euere Ansicht, Herr du Ballon, was würdet Ihr tun?«
»Ich würde Broussel herausgeben,« entgegnete Porthos.
»Kommt, meine Herren, kommt, ich will darüber mit der Königin sprechen.« Am Ausgange des Korridors hielt er an und sagte: »Nicht wahr, meine Herren, ich kann auf Euch rechnen?«
»Wir verkaufen uns nicht zweimal,« erwiderte d'Artagnan, »wir haben uns Ihnen verkauft, befehlen Sie, wir werden Folge leisten.«
»Wohlan,« rief Mazarin, »tretet in dies Zimmer und wartet.«
Der Aufstand wird zur Empörung
Das Kabinett, in welches man d'Artagnan und Porthos eintreten ließ, war von dem Salon, worin sich die Königin befand, nur durch Tapetentürvorhänge getrennt. Da nun die Scheidewand so dünn war, konnte man alles hören, was vorging, während man auch durch die Öffnung, die zwischen den zwei Vorhängen war, blicken konnte. Die Königin stand im Salon, ganz blaß vor Zorn, doch wußte sie, sich so viel zu beherrschen, daß man glauben konnte, ihr Inneres wäre ganz und gar nicht aufgeregt. Hinter ihr standen Comminges, Villequier und Guitaut, und hinter den Männern die Frauen. Vor ihr berichtete der Kanzler Seguier, daß man seine Kutsche erbrochen und ihm nachgesetzt habe, daß er nach dem Hotel d'O ... geflohen, und daß dieses Hotel allsogleich erstürmt, ausgeplündert und verwüstet worden sei; zum Glücke habe er noch Zeit gefunden, in ein hinter der Tapete verborgenes Kabinett zu schlüpfen, worin eine alte Frau mit seinem Bruder, dem Bischöfe von Meaux, sich befand. Dort sei die Gefahr so bedrohlich gewesen, die Wütenden haben sich diesem Gemache so ungestüm genähert, daß der Kanzler meinte, seine letzte Stunde wäre schon gekommen, und er habe seinem Bruder gebeichtet, um für den Fall der Entdeckung zum Sterben bereit zu sein. Zum Glücke habe man ihn nicht entdeckt; das Volk, welches wähnte, er habe sich durch eine Hintertüre geflüchtet, zerstreute sich und ließ ihm freien Rückzug. Nun steckte er sich in die Kleider des Marquis d'O ... und verließ das Hotel, indem er über die Leichen einer Stadtwache und zweier Gardisten schritt, die bei der Verteidigung des Straßentores gefallen waren.
Während dieser Erzählung war Mazarin eingetreten, stellte sich, ohne Aufsehen zu erregen, neben die Königin und hörte zu. »Nun,« fragte die Königin, als der Kanzlei geendet hatte, »was haltet Ihr von all dem?«
»Madame, ich halte die Sache für sehr ernst.«
»Und welchen Rat gebt Ihr mir?«
»Ich würde Ihrer Majestät wohl raten, allein ich wage es nicht.«
»Wagt es immerhin, Herr,« sprach die Königin mit bitterem Lächeln, »Ihr habt wohl anderes schon gewagt.« Der Kanzler wurde rot und stammelte ein paar Worte. »Es handelt sich nicht um die Vergangenheit, sondern um die Gegenwart. Ihr sagtet, daß Ihr mir einen Rat zu erteilen hättet; worin besteht also derselbe?«
»Madame,« erwiderte der Kanzler zaudernd, »er bestände darin, Broussel freizulassen.« Die Königin wurde noch blässer, als sie war, und ihr Gesicht zog sich krampfhaft zusammen.
In diesem Moment vernahm man Tritte im Vorgemach, und der Marschall de la Meilleraie trat, ohne angemeldet zu werden, an die Türschwelle.
»Ah, Marschall, Ihr seid hier!« rief die Königin erfreut. »Ihr habt doch das Gesindel zur Vernunft gebracht, wie ich hoffe.«