»Würde man ihn tot herausgeben, so wäre wohl alles abgetan, wie Sie sagen, Monseigneur, jedoch auf andere Weise, als Sie meinen.«
»Sagte ich: tot oder lebendig?« versetzte Mazarin. »Eine Redensart; Ihr wißt wohl, daß ich schlecht französisch verstehe, welches Ihr, Herr Koadjutor, so gut sprecht und schreibt.«
Der Koadjutor lieh den Sturm vorüberziehen und begann mit demselben Phlegma: »Madame, wenn der Vorschlag, den ich Ihrer Majestät unterbreite, nicht entspricht, so hat daß sicher seinen Grund darin, daß Sie deren bessere haben. Ich kenne zu sehr die Weisheit der Königin und ihrer Räte, um zu glauben, man werde die Hauptstadt lange in der Zerrüttung lassen, weiche einen Aufruhr erzeugen kann.«
»Nach Eurer Ansicht also,« entgegnete hohnlachend die Spanierin, die sich vor Ingrimm in die Lippen biß, »kann dieser Tumult von gestern, der heute schon eine Empörung ist, morgen zur Revolution werden?«
»Ja, Madame,« erwiderte der Koadjutor ernst. »Doch, wenn man Euch anhört, wäre das Volk schon zügellos.«
»Dieses Jahr ist schlimm für die Könige,« versetzte Gondy kopfschüttelnd. »Blicken Ihre Majestät auf England hin.« »Ja,« antwortete die Königin, »aber zum Glücke haben wir in Frankreich keinen Oliver Cromwell.«
»Wer weiß,« erwiderte Gondy, »solche Männer gleichen dem Blitze; man kennt sie nicht, ehe sie treffen.«
Alle schauderten und es trat ein kurzes Stillschweigen ein. Mittlerweile hatte die Königin ihre beiden Hände auf die Brust gedrückt; man sah, daß sie das heftige Pochen ihres Herzens zurückpreßte. »Ihre Majestät wird sonach die geeigneten Maßregeln ergreifen,« fuhr der Koadjutor unbarmherzig fort; »allein ich sehe voraus, daß sie schreckvoll und der Art sein werden, daß sie die Anstifter noch mehr aufreizen. »Nun,« erwiderte die Königin spöttisch, »so werdet Ihr, Herr Koadjutor, der Ihr so viel Macht über sie habt und unser Freund seid, sie besänftigen.«
»Das dürfte vielleicht schon zu spät sein,« antwortete Gondy stets frostig, »und vielleicht habe ich selbst schon allen Einfluß verloren, indes Ihre Majestät, wenn Sie Broussel freiläßt, dem Aufruhr jede Wurzel abschneidet und das Recht erlangt, jeden neuen Versuch zum Aufstand grausam zu bestrafen.«
»Besitze ich denn nicht dieses Recht?« fragte die Königin. »Wenn Sie es besitzen, so üben Sie es aus,« entgegnete Gondy.
Die Königin entließ mit einem Wink den Hof mit Ausnahme Mazarins. Gondy verneigte sich und wollte gleich den übrigen fortgehen. »Bleibt, mein Herr,« sprach die Königin. »Wohl,« sagte Gondy bei sich, »sie wird nachgeben.«
»Sie wird ihn töten lassen,« sprach d'Artagnan zu Porthos, »doch geschieht das jedenfalls nicht durch mich. Ich schwöre es bei Gott, daß ich mich, wenn man über ihn herfällt, auf die Angreifenden stürzen werde.«
»Ich gleichfalls,« versetzte Porthos.
»Schön,« murmelte Mazarin, indem er einen Stuhl nahm, »wir werden etwas Neues sehen.«
»Sagt an,« sprach die Königin, indem sie endlich stehen blieb, »da wir nun allein sind, Herr Koadjutor, sagt und wiederholt Euren Rat.«
»Nun, Madame tun, als ob Ihre Majestät nachgedacht hätte, öffentlich einen Irrtum anerkennen, was die Stärke kräftiger Regierungen ist, Broussel aus der Haft entlassen und dem Volke wieder zurückgeben!«
»O,«rief die Königin Anna,»mich derart zu demütigen! Bin ich Königin, oder bin ich es nicht? Ist all das Gesindel, welches da kreischt, die Mehrzahl meiner Untertanen? Habe ich Freunde, Garden? O, bei unserer Frau, wie die Königin Katharina sprach,« fuhr sie fort, durch ihre eigenen Worte sich anstachelnd, »eher würde ich Broussel mit eigenen Händen erwürgen, als den Schändlichen herausgeben!« Und sie schritt mit geballten Händen auf Gondy zu, den sie in diesem Moment gewiß ebenso haßte wie Broussel. Gondy blieb unbeweglich, und es zuckte nicht eine Sehne seines Gesichtes. »Madame,« rief der Kardinal, indem er die Königin am Arme faßte und zurückzog, «Madame, was tun Sie denn?« Dann fügte er noch auf spanisch hinzu: »Madame, sind Sie außer sich? Anna! Sie, eine Königin, zanken hier wie eine bürgerliche Frau, und sehen Sie nicht, daß Sie in der Person dieses Mannes die ganze Bevölkerung von Paris vor sich haben, den zu beleidigen in diesem Momente gefährlich ist, und daß Sie, wenn er es will, in einer Stunde keine Krone mehr tragen? O, lassen Sie ab, später, bei einer anderen Gelegenheit werden Sie sich fest und kräftig widersetzen, heute aber schmeicheln und liebkosen Sie, oder sie sind nichts mehr, als eine gewöhnliche Frau.«
D'Artagnan hatte schon bei den ersten Worten dieser Anrede Porthos am Arme gefaßt und stets mehr und mehr gedrückt; als dann Mazarin schwieg, sprach er leise: »Porthos, sagt ja nie in Mazarins Gegenwart, daß ich spanisch verstehe, oder ich bin ein verlorener Mann und Ihr mit mir.« »Wohl,« entgegnete Porthos. Die hart angegangene Königin ward auf einmal besänftigt, sie ließ sozusagen die Glut aus ihren Augen, das Blut von den Wangen, den wortreichen Zorn von den Lippen verschwinden. Sie setzte sich, ließ ihre ermatteten Arme zur Seite niedergleiten und sprach mit einer von Tränen begleiteten Stimme: »Vergebt, Herr Koadjutor, und schreibt diese Heftigkeit nur dem zu, was ich leide. Frau, und somit den Schwachheiten meines Geschlechtes verfallen, schaudere ich vor den Folgen eines Bürgerkrieges; Königin, und gewohnt, daß man mir gehorche, werde ich heftig bei der ersten Widersetzlichkeit.«
»Madame,« entgegnete Gondy mit einer Verneigung, »Ihre Majestät ist im Irrtum, wenn Sie meine aufrichtige Meinung für Widersetzlichkeit hält. Ihre Majestät hat nur gehorsame und ehrerbietige Untertanen. Das Volk will nicht an die Königin, es ruft nur Broussel, weiter nichts, und ist unter den Gesetzen Ihrer Majestät glücklich, wenn ihm Broussel zurückgegeben wird,« fügte Gondy lächelnd hinzu.
Mazarin hatte bei den Worten: »Das Volk will nicht an die Königin« -schon die Ohren gespannt, da er besorgte, der Koadjutor möchte des Rufes erwähnen: »Nieder mit Mazarin!« und da wußte er Gondy Dank für diese Auslassung und sprach mit seiner schmeichelhaftesten Stimme und seinem freundlichsten Gesichte:
»Madame, glauben Sie dem Koadjutor, er ist einer unserer gewandtesten Staatsmänner; der erste Kardinalshut, der frei wird, scheint wie geschaffen für sein edles Haupt.
»Und was wird er uns an dem Tage versprechen,« flüsterte d'Artagnan, »wo man ihm nach dem Leben strebt? Wetter, wenn er die Hüte so vergibt, Porthos, so bereiten wir uns vor und laßt uns morgen schon jeder ein Regiment von ihm fordern. Sapperlot! Der Bürgerkrieg dauere nur ein Jahr lang und ich lasse für mich das Schwert als Konnetabel neu vergolden.«
»Und ich?« fragte Porthos.
»Du? - dir will ich den Marschallsstab des Herrn de la Meilleraie geben lassen, denn mich dünkt, er steht jetzt nicht gar sehr in Gunst.«
»Sonach fürchtet Ihr im Ernst die Volksaufregung, mein Herr?« fragte die Königin. »Im Ernste, Madame,« entgegnete Gondy, betroffen, daß er noch nicht weiter sei; »ich fürchte, wenn der Strom einmal, den Damm durchbrochen hat, so wird er große Verwüstungen anrichten.«
»Ich denke aber,« versetzte die Königin, »man sollte ihm für diesen Fall nun Dämme entgegensehen. Geht, ich will darüber nachdenken. Gondy blickte Mazarin mit erstaunter Miene an. Mazarin näherte sich wieder der Königin, um mit ihr zu sprechen; in diesem Moment vernahm man vom Platze des Palais-Royal ein schreckliches Getöse. Gondy lächelte, der Blick der Königin entflammte sich, Mazarin erblaßte.
In diesem Augenblicke stürzte Comminges in den Saal und sprach bei seinem Eintritt zu der Königin:
»Um Vergebung, Madame, allein das Volk hat die Schildwachen am Gitter niedergemacht und schlägt eben die Tore ein. Was ist Ihr Befehl?«
»Hören Sie, Madame?« sagte Gondy. Das Brausen der Wogen, das Rollen des Donners, das Geräusch eines tosenden Vulkans lassen sich nicht vergleichen mit dem Sturmgeheul, das in diesem Augenblicke zum Himmel erschallte.