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»Was ich befehle?« fragte die Königin.

»Ja, die Zeit drängt.«

»Wieviel Mann liegen ungefähr im Palais-Royal?«

»Sechshundert Mann.«

»Stellet hundert Mann um den König und verjagt mit dem Reste den Pöbel.«

»Madame,« rief Mazarin, »was tun Sie?«

»Geht!« sprach die Königin, Comminges entfernte sich mit dem leidenden Gehorsam eines Soldaten. In diesem Moment vernahm man ein furchtbares Krachen; eines der Tore fing an, nachzugeben.

»Madame,« stammelte Mazarin, »Sie stürzen uns alle ins Verderben, den König, Sie und mich!« Auf diesen Schrei, welcher dem Kardinal aus der Seele drang, bekam auch die Königin Furcht; sie rief Comminges zurück. «Es ist zu spät,« ächzte Mazarin, sich die Haare ausraufend, »es ist zu spät!« Die Türe gab nach und man Hörte das Freudengeschrei des Pöbels. D'Artagnan griff nach dem Schwerte und winkte Porthos, das gleiche zu tun. »Rettet die Königin!« rief Mazarin, zum Koadjutor gewendet. Gondy eilte ans Fenster, machte es auf und bemerkte Louvieres an der Spitze von zwei- bis dreitausend Menschen. »Keinen Schritt mehr weiter!« rief er, »die Königin unterschreibt.«

»Was sagt Ihr?« sprach die Königin. »Die Wahrheit, Madame,« entgegnete Mazarin, und reichte ihr Feder und Papier - »es muß geschehen! Unterzeichnen Sie, ich bitte - ich will es.«

Die Königin sank auf einen Stuhl, nahm eine Feder und unterschrieb. - Das Volk hatte, von Louvieres zurückgehalten, wohl keinen Schritt weiter getan, doch wollte das furchtbare Murren nicht enden, womit die Menge ihren Grimm ausdrückt. Die Königin schrieb: »Der Gefängniswächter von Saint-Germain hat den Ratsherrn Broussel in Freiheit zu setzen.« - Und sie unterzeichnete. Der Koadjutor, der die geringste Bewegung mit den Augen verschlang, ergriff das Papier, sobald es unterfertigt war, kehrte damit zum Fenster zurück, schwenkte es in der Hand und rief: »Da ist der Befehl!« Ganz Paris schien ein Jubelgeschrei zu erheben; dann ertönten die Ausrufungen: »Es lebe Broussel! - Es lebe der Koadjutor!«

»Es lebe die Königin!« rief der Koadjutor. Man antwortete zwar seinem Rufe, allein schwach und nur einzeln. Vielleicht machte er ihn auch nur, um die Königin ihre Schwäche fühlen zu lassen. »Und nun Ihr das habt, was Ihr wollet,« sprach sie, »so geht, Herr Gondy.«

»Wenn die Königin mich brauchen wird,« versetzte der Koadjutor, »so weiß es Ihre Majestät, daß ich zu Befehl stehe.« Die Königin nickte mit dem Kopfe und Gondy ging hinweg. »Ha, verwünschter Mann!« rief die Königin und streckte ihre Hand nach der kaum zugeschlossenen Türe aus, »ich will dir eines Tages den Rest der Galle, die du mir heute eingeschenkt hast, zu trinken geben.« Mazarin wollte sich ihr nähern. »Laßt mich,« sprach sie, »Ihr seid kein Mann -« und sie entfernte sich. »Und Sie - kein Weib,« murmelte Mazarin.

Nachdem er dann ein Weilchen nachgedacht hatte, erinnerte er sich, daß d'Artagnan und Porthos hier seien, und folglich alles gesehen und gehört haben müssen. Er faltete die Stirn und ging geradeswegs auf den Türvorhang zu und hob ihn auf, allein das Kabinett war leer. Bei den letzten Worten der Königin hatte d'Artagnan Porthos an der Hand gefaßt und ihn nach der Galerie gezogen. Mazarin ging nun gleichfalls nach der Galerie und traf dort die zwei Freunde, wie sie eben auf und nieder schritten. »Weshalb seid Ihr vom Kabinett weggegangen, d'Artagnan?« fragte Mazarin. »Weil die Königin befohlen hat, daß sich jedermann zu entfernen habe,« entgegnete d'Artagnan, »weil ich dachte, daß dieser Befehl uns ebenso gut angehe als andere.«

»Ihr seid also hier seit—?«

»Etwa seit einer Viertelstunde,« erwiderte d'Artagnan und gab Porthos mit den Augen einen Wink, daß er ihn nicht Lügen strafe. Mazarin sah aber diesen Wink und war überzeugt, daß d'Artagnan alles gesehen und gehört habe, doch wußte er ihm Dank für die Lüge.

Das Unglück gibt Gedächtnis

Wie nun Broussel am nächsten Morgen in einer großen Kutsche seinen Einzug in Paris hielt, wo ihm sein Sohn Louvieres zur Seite saß, eilte das ganze Volk bewaffnet nach der Straße, durch welche er fuhr. Die Zurufungen: »Es lebe Broussel! Es lebe unser Vater!« ertönten von allen Seiten, und trugen den Ton an Mazarins Ohren. Von allen Seiten überbrachten die Kundschafter des Kardinals und der Königin unangenehme Botschaften, die der Minister sehr aufgeregt, die Königin aber sehr ruhig aufnahm. Die Königin schien in ihrem Geiste einen großartigen Entschluß zu nähren, und das vermehrte Mazarins Besorgnisse. Er kannte die stolze Frau und fürchtete ihre Entschlüsse. Der Koadjutor, mächtiger als der König, die Königin und der Kardinal, war in das Parlament zurückgekehrt. Auf seinen Ratschlag hatte ein Parlamentsedikt die Bürger aufgefordert, die Waffen wegzulegen und die Barrikaden niederzureißen: sie wußten nun, daß es nur einer Stunde bedürfe, um die Waffen wieder zu ergreifen, und nur einer Nacht, um die Barrikaden wieder aufzurichten. Planchet war in seine Kaufbude zurückgekehrt. Der Sieg veranlaßte eine Amnestie, sonach fürchtete sich Planchet nicht, gehenkt zu werden, und war überzeugt, daß, wenn man nur Miene machte, ihn gefangen zu nehmen, das Volk sich für ihn erheben würde, wie es für Broussel geschehen war. Rochefort hatte seine Chevauxlegers dem Chevalier d'Humieres zurückgegeben; beim Verlesen fehlten wohl zwei davon, allein der Chevalier, der von Herzen Frondeur war, wollte nichts wissen von Schadloshaltung.

Louvieres war stolz und zufrieden, er hatte sich gerächt an Mazarin, welchen er haßte, und viel zur Befreiung seines Vaters beigetragen; sein Name wurde mit Schrecken im Palais-Royal wiederholt, und er sprach lächelnd zu dem Ratsherrn, als er zu seiner Familie zurückkam: »Glaubst du wohl, Vater, wenn ich jetzt von der Königin eine Kompagnie fordern würde, sie würde mir dieselbe geben?« D'Artagnan nützte den Moment der Ruhe, um Rudolf wieder zu entlassen, welchen er während des Aufruhrs mühevoll eingeschlossen hielt, da er durchaus entweder für die eine oder die andere Partei das Schwert ziehen wollte. Rudolf machte wohl anfänglich einige Schwierigkeiten, allein d'Artagnan sprach im Namen des Grafen de la Fere. -Rudolf machte der Frau van Chevreuse einen Besuch, und brach dann auf, um sich wieder zum Heere zu begeben. Nur Rochefort fand, daß die Sache ziemlich schlecht beendigt wurde; er hatte dem Herzog von Beaufort geschrieben, zu kommen, der Herzog würde, wenn er käme, Paris ruhig antreffen. Er besuchte den Koadjutor, um ihn zu fragen, ob er nicht dem Prinzen melden sollte, daß er unterwegs anhalte, doch Gondy dachte ein Weilchen nach und sagte dann: »Lasset ihn seine Reise fortsetzen.«

»Ist also die Sache noch nicht zu Ende?« fragte Rochefort. »Wie doch, lieber Graf, wir sind ja erst beim Anfang.« »Woher glaubt Ihr das?« »Weil ich das Herz der Königin kenne; sie wird nicht geschlagen bleiben wollen.« »Hat sie irgend etwas in Bereitschaft?« »Ich hoffe das.« »Was wißt Ihr? Laßt hören.« »Ich weiß, daß sie an den Prinzen geschrieben hat, er möge in Eile vom Heere zurückkehren.« »Ah, ah!« rief Rochefort. »Ihr habt recht, man muß Herrn von Beaufort kommen lassen.«

An demselben Abend dieser Unterredung ging auch das Gerücht, der Prinz sei angekommen. Diese Neuigkeit war sehr einfach und natürlich, erregte aber dennoch ein ungeheures Aufsehen. Wie es hieß, so hatte Frau von Longueville, seine zärtliche Schwester, geplaudert, und ihm Nachrichten gegeben, wodurch unheilvolle Pläne von Seite der Königin enthüllt wurden. Noch am Abend der Ankunft des Prinzen gingen Bürger, Schöppen und Quartiervorsteher, die besser als die anderen unterrichtet waren, zu ihren Bekannten und sagten: »Warum versetzten wir den König nicht in das Stadthaus? Wir tun unrecht, daß wir ihn von unseren Feinden erziehen lassen, die ihm üble Ratschläge geben, indes er Volksgrundsätze in sich aufnehmen und das Volk lieben würde, wäre er zum Beispiel von dem Herrn Koadjutor geleitet.« Die Nacht war düster und unruhig; am nächsten Tage sah man abermals die schwarzen und die grauen Mäntel, die Patrouillen der Kaufleute und die Rotten der Bettler. Die Königin brachte die Nacht in Beratung mit dem Prinzen zu; er ward um Mitternacht in ihr Betzimmer geführt, und verließ es erst um fünf Uhr früh. Um fünf Uhr ging die Königin in das Kabinett des Kardinals, der schon aufgestanden war. Er setzte eine Antwort an Cromwell auf; es waren von den zehn Tagen, die er von Mordaunt verlangt hatte, bereits sechs verflossen.