»Ha!« rief d'Artagnan.
»Gebt mir also gefälligst diese Depesche zurück.« D'Artagnan gehorchte, Mazarin überzeugte sich, daß das Siegel noch unverletzt sei, dann sagte er: »Ich brauche Euch diesen Abend; kommt in zwei Stunden wieder. »Gnädigster Herr,« entgegnete d'Artagnan, »in zwei Stunden habe ich ein Rendezvous, wobei ich nicht fehlen darf.« »Seid deshalb unbekümmert,« sagte Mazarin, »es ist das nämliche.« »Wohl,« dachte d'Artagnan, »ich ahnte das.« »Kommt somit um fünf Uhr wieder, und bringt den lieben Herrn du Vallon mit, laßt ihn aber im Vorgemach, da ich mit Euch allein sprechen will.« D'Artagnan verneigte sich. Währenddessen dachte er bei sich selber: »Alle beide den nämlichen Befehl - zu derselben Stunde - im Palais-Royal -o, ich errate. O, dieses Geheimnis hätte Herr von Gondy mit hunderttausend Livres bezahlt.« »Ihr besinnt Euch?« fragte Mazarin bekümmert. »Ja, ich fragte mich, ob wir bewaffnet sein sollen oder nicht?« »Vollkommen bewaffnet,« versetzte Mazarin. »Wohl, gnädigster Herr, es wird geschehen.« D'Artagnan verneigte sich, ging fort, und eilte, um seinem Freunde die schmeichelhaften Verheißungen Mazarins zu wiederholen, die Porthos in unbeschreibliches Entzücken versetzten.
Die Flucht
Ungeachtet sich in der Stadt Zeichen von Aufregung bemerkbar machten, so bot doch das Palais-Royal, als sich d'Artagnan um fünf Uhr dahin begab, ein sehr fröhliches Schauspiel dar. Das war nicht zu verwundern, da die Königin Broussel und Blancmesnil dem Volke zurückgegeben hatte. Die Königin hatte sonach in der Tat nichts mehr zu fürchten, weil das Voll nichts mehr zu fordern hatte. Sein Tumult war ein Überrest von Aufregung, der man Zeit gönnen mußte, um sich zu legen, gleich wie nach einem Sturme oft mehrere Tage nötig sind, um die hohen Meeresfluten wieder zu glätten. Es gab im Palais-Royal eine große Festlichkeit, wozu die Siege von Lens zum Vorwand genommen wurden. Die Prinzen und Prinzessinnen waren geladen, und ihre Staatskarossen erfüllten schon seit Mittag die Hofräume. Nach dem Festmahl sollte Spiel bei der Königin sein. Die Königin Anna war an diesem Tage voll Anmut, Huld und Witz, man hatte sie noch nie so frohmütig gesehen. Lachlust strahlte aus ihren Augen, machte die Lippen beben. Als man vom Tische aufstand, schlüpfte Mazarin hinweg. D'Artagnan stand bereits auf seinem Posten, und wartete auf ihn im Vorgemach. Der Kardinal kam mit lachender Miene dahin, faßte ihn bei der Hand und führte ihn in sein Kabinett, wo er sich niederließ und zu ihm sprach: »Lieber Herr d'Artagnan, ich will Euch den sprechendsten Beweis meines Zutrauens geben, den nur ein Minister einem Offizier geben kann.« D'Artagnan verneigte sich und sagte:
»Ich hoffe, Ew. Eminenz wird ihn mir ohne Rückhalt und mit der Überzeugung geben, daß ich seiner würdig bin.«
»Ihr seid der Würdigste von allen, an die ich mich wende, lieber Freund.« »Jawohl, gnädigster Herr,« versetzte d'Artagnan, »ich bekenne, daß ich schon seit langem auf eine solche Gelegenheit wartete. Sagen Sie mir somit schnell, was Sie mir mitzuteilen haben.« »Lieber Herr d'Artagnan,« erwiderte Mazarin, »Ihr werdet diesen Abend das Wohl des Staates in Euren Händen haben.« Er hielt inne. »Gnädigster Herr, erklären Sie sich, ich erwarte ...« »Die Königin hat beschlossen, mit dem König eine kleine Reife nach Saint-Germain zu machen.« »Ah, ah!« rief d'Artagnan, »die Königin will nämlich Paris verlassen.« »Ihr seht, es ist Frauenlaune.« »Ja, das sehe ich,« erwiderte d'Artagnan. »Deshalb berief sie Euch diesen Morgen und sagte, daß Ihr um fünf Uhr wiederkommen sollet.« »Seid Ihr etwa mit dieser kleinen Reise nicht einverstanden, lieber d'Artagnan?« fragte Mazarin bekümmert. »Ich, gnädiger Herr?« antwortete d'Artagnan, »und warum?« »Weil Ihr die Achseln zuckt.« »Das pflege ich so in Gedanken zu tun, gnädigster Herr.« »Ihr seid also mit dieser Reise einverstanden?« »Ich billige ebensoviel, als ich mißbillige, gnädigster Herr; ich erwarte Ihre Befehle.« »Wohl, Ihr seid es nun, auf den ich mein Augenmerk richtete, daß er den König und die Königin nach Saint-Germain bringe.« »Doppelt schlauer Fuchs,« dachte d'Artagnan. »Ihr seht sonach,« versetzte Mazarin, als er d'Artagnans Gleichgültigkeit sah, »daß das Wohl des Staates in Euren Händen liegt.« »Ja, gnädigster Herr, ich fühle die ganze Verantwortlichkeit eines solchen Befehles.« »Doch nehmt Ihr ihn an?« »Ich nehme ihn an.« »Ihr haltet die Sache für möglich?« »Alles ist möglich.« »Wird man Euch wohl unterwegs angreifen?« »Wahrscheinlich.« »Was wollt Ihr aber in diesem Falle tun?« »Ich will durch die, welche mich angreifen, hindurchschreiten.« »Wenn Ihr aber nicht hindurchkommt?« »Dann desto schlimmer für sie, da ich über sie wegschreiten werde.« »Und werdet Ihr die Königin und den König wohlerhalten nach Saint-Germain bringen?« »Ja.« »Bei Eurem Leben?« »Bei meinem Leben.« »Ihr seid ein Held, mein Lieber,« rief Mazarin und blickte voll Verwunderung auf den Musketier. D'Artagnan lächelte. »Und ich? -« fragte Mazarin nach kurzem Stillschweigen und d'Artagnan fest anblickend. »Wie doch, Sie, gnädigster Herr?«, »Ja, ich, wenn ich abreisen will?« »Das wird viel schwieriger sein.« »Wieso?« »Man kann Ew. Eminenz erkennen.« »Auch unter dieser Verkleidung?« fragte Mazarin. Er hob einen Mantel auf, der einen Lehnstuhl überdeckte, auf dem ein vollständiger, perlgrauer und granatfarbiger, ganz mit Silberborten verbrämter Kavalieranzug lag.« »Wenn sich Ew. Eminenz verkleidet, so wird es leichter sein.« »Ha,« rief Mazarin, Atem holend. »Doch muß Ew. Eminenz tun, was Sie neulich gesagt haben, das Sie an unserer Stelle getan hätten.« »Was soll ich denn tun?« »Rufen: »Nieder mit Mazarin!« »Ich will es rufen.« »Französisch und gut französisch, gnädigster Herr, achten Sie wohl auf den Akzent; man hat uns in Sizilien sechstausend Anjouer ermordet, weil sie das Italienische schlecht ausgesprochen haben. Haben Sie acht, daß die Franzosen wegen der sizilianischen Vesper nicht Wiedervergeltung nehmen.« »Ich will mein möglichstes tun.« »Es gibt auf den Straßen gar viele bewaffnete Leute.« begann d'Artagnan wieder. »Sind Sie versichert, daß niemand um den Plan der Königin weiß?« Mazarin sann nach. »Das wäre für einen Verräter ein schönes Geschäft, gnädigster Herr, das Sie mir da antragen; ein zufälliger Angriff würde alles entschuldigen.« Mazarin schauderte, dachte aber, daß ein Mann, der ihn warne, nicht auch die Absicht habe, ihn zu verraten. Er sprach: »Ich vertraue mich somit auch nicht jedem an, und der Beweis ist, daß ich Euch zu meiner Bedeckung auserwählte.« »Reisen Sie nicht zugleich mit der Königin?« »Nein,« erwiderte Mazarin. So reisen Sie erst nach der Königin ab?« »Nein,« sprach Mazarin abermals. »Ha,« rief d'Artagnan, der nun zu begreifen anfing. »Ja, ich habe meine Pläne,« fuhr der Kardinal fort. »Mit der Königin verdopple ich die möglichen Gefahren, die ihr drohen; nach der Königin verdoppelt ihre Abreise die Gefahr der meinigen; denn ist der Hof einmal gerettet, so kann man mich vergessen; die Großen sind undankbar.« »Das ist wahr,« entgegnete d'Artagnan und richtete unwillkürlich die Blicke auf den Diamant der Königin, welchen Mazarin am Finger trug. Mazarin folgte der Richtung seiner Blicke, und drehte den Stein des Ringes langsam nach innen. »Ich will sie also verhindern, gegen mich undankbar zu sein,« sprach Mazarin mit seinem feinen Lächeln. »Die christliche Liebe will, daß man seinen Nächsten nicht in Versuchung führe,« bemerkte d'Artagnan. »Eben deshalb will ich vor ihnen abreisen,« sprach Mazarin. D'Artagnan lächelte, da er schlau genug war, um diese Hinterlist zu verstehen. Mazarin bemerkte das Lächeln, nützte den Augenblick und sagt«: »Nicht wahr, lieber d'Artagnan, Ihr werdet nun damit anfangen, daß Ihr mich zuerst von Paris wegbringet?« »Gnädigster Herr, dieser Auftrag ist schwierig,« entgegnete d'Artagnan und nahm wieder seine ernste Miene an. »Aber,« sprach Mazarin und faßte ihn fest ins Auge, damit ihm kein Ausdruck seiner Züge entging, »aber Ihr habt nicht dasselbe in bezug auf den König und die Königin bemerkt.« »Der König und die Königin sind mein König und meine Königin,« erwiderte der Musketier; »mein Leben gehört ihnen, ich bin es ihnen schuldig. Sie sollen es von mir fordern, ich habe nichts dagegen zu fordern.« »Das ist wohl wahr,« murmelte Mazarin, »allein da dein Leben nicht mir gehört, so muß ich's von dir erkaufen, nicht so?« Er stieß dabei einen tiefen Seufzer aus, und drehte den Diamant seines Ringes wieder langsam nach außen. D'Artagnan lächelte. Diese zwei Männer verstanden sich in einem Punkte, in der Arglist. Hätten sie sich ebenso gut im Mute verstanden, so würde einer den andern große Dinge haben verrichten lassen. »Wenn ich Euch also um diesen Dienst ersuche,« begann Mazarin wieder, »so werdet Ihr wohl einsehen, daß ich dafür auch erkenntlich sein wolle.« »Hat Eure Eminenz diesen Gedanken?« fragte d'Artagnan. »Da seht und nehmt, lieber Herr d'Artagnan,« sprach Mazarin, indem er den Ring vom Finger zog, »das ist der Diamant, der Euch einst angehört hat, es ist gerecht, daß er Euch wieder zukomme, ich bitte Euch also, nehmt ihn.« D'Artagnan ließ nicht lange in sich dringen, er nahm den Stein, und als er sich von der Reinheit seines Wassers überzeugt, steckte er ihn mit einem unsäglichen Vergnügen an den Finger. »Ich habe sehr viel auf ihn gehalten,« sprach Mazarin, indem er ihm einen letzten Blick nachschickte, »aber gleichviel, ich gebe ihn Euch mit großem Vergnügen.« »Und ich, gnädigster Herr, ich nehme ihn an, wie er mir gegeben wird. - Lassen Sie uns nun von Ihren Angelegenheiten reden, Sie wollen vor allen andern abreisen?« »Ja, ich bin gesonnen, so zu tun.« »Um wieviel Uhr?« »Um zehn Uhr.« »Und wann will die Königin abreisen?« »Um Mitternacht.« »Sonach ist es möglich, ich bringe Sie aus Paris, lasse Sie vor der Barriere, und kehre zurück, um die Königin abzuholen.« »Recht schön, allein wie bringt Ihr mich aus Paris?« »O, in dem müssen Sie mich gewähren lassen.« »Ich gebe Euch alle Vollmacht, und nehmt eine Bedeckung, so stark Ihr sie haben wollet.« D'Artagnan schüttelte den Kopf. »Ich denke aber,« sagte Mazarin, »daß dies das sicherste Mittel wäre.« »Ja, gnädigster Herr, für Sie, allein nicht für die Königin.« Mazarin biß sich in die Lippen und sagte: »Was sollen wir also tun?« »Sie müssen mich gewähren lassen, gnädigster Herr.« ,Hm,« murmelte Mazarin. «Und Sie müssen mir die gänzliche Leitung dieses Unternehmens überlassen.« »Jedoch ...« »Oder dafür einen anderen suchen,« versetzte d'Artagnan und wandte ihm den Rücken zu. »Ha,« murmelte Mazarin. »ich glaube gar, er geht fort samt dem Diamant.« Er rief ihn zurück und sagte mit schmeichelnder Stimme: »Herr d'Artagnan, lieber Herr d'Artagnan!« »Gnädigster Herr?« »Bürgt Ihr mir für alles?« »Ich bürge für nichts, sondern will nur mein möglichstes tun.« »Euer möglichstes?« «Ja.« »Wohlan, so geht, ich will mich auf Euch verlassen.« »Das ist ein großes Glück,« dachte d'Artagnan bei sich. «Ihr werdet also um halb zehn Uhr hier sein?« Werde ich auch Ew. Eminenz bereit finden?« »Allerdings, ganz bereit.« »Somit ist die Sache abgemacht. Wollen mich nun Ew. Eminenz die Königin sehen lassen?« »Wozu?« »Ich wünsche die Befehle Ihrer Majestät aus ihrem eigenen Munde zu vernehmen.« »Sie beauftragte mich, sie Euch zu geben.« »Sie könnte aber irgendeinen Umstand vergessen haben.« »Besteht Ihr darauf, sie zu sehen?« »Gnädigster Herr, das ist unerläßlich.« Mazarin zögerte ein Weilchen; d'Artagnan blieb in seinem Willen unerschütterlich. »So wollen wir denn gehen,« sprach Mazarin, ich will Euch führen; doch sprecht kein Wort von unserer Unterredung.« »Was wir unter uns gesprochen haben, gnädigster Herr, das betrifft nur uns,« entgegnete d'Artagnan. »Ihr schwöret mir, zu schweigen?« »Gnädigster Herr, ich schwöre nie; ich sage Ja oder ich sage Nein und halte mein Wort, da ich Edelmann bin.« »Wohlan, ich sehe, daß ich mich Euch ohne Vorbehalt anvertrauen muß.« »Glauben Sie mir, gnädigster Herr, das wird am besten sein.« »Kommt!« rief Mazarin.