»Schickt diesen Nichtswürdigen fort, Rudolf,« versetzte d'Artagnan, »denn als Memme wird er früher oder später sich ehrlos machen.«
»Der gnädigste Herr nennt mich einen Feigherzigen,« klagte Olivain, »weil, er sich neulich mit einem Standartenträger des Regiments Grammont schlagen wollte und ich mich ihn zu begleiten weigerte.«
»Meister Olibain,« rief d'Artagnan mit Strenge, »ein Bedienter soll nie den Gehorsam verweigern.« Dann zog er ihn beiseite und sagte:
»Du hast recht getan, wenn dein Herr unrecht hatte; hier hast du einen Taler; wenn er aber je beleidigt wird, und du läßt dich nicht für ihn in Stücke hauen, so schneide ich dir die Zunge aus dem Halse und wasche dir damit das Gesicht ab. Merke dir das gut.« Olivain verneigte sich und steckte den Taler ein.
»Freund Rudolf,« sprach d'Artagnan, »nun reisen wir, ich und Herr du Ballon, als Gesandte ab. Ich kann Euch nicht sagen, zu welchem Endzweck; habt Ihr aber irgend etwas vonnöten, so schreibt an Magdalena Tiquetonne und behebt Geld auf diese Kasse wie auf die eines Wechslers, nur mit Schonung, denn ich sage Euch im voraus, daß sie nicht so sehr gefüllt ist wie die des Herrn d'Emerie.« Er umarmte sein einstweiliges Mündel und ließ ihn sodann in Porthos' Arme übergehen, die ihn vom Boden aufhoben und ein Weilchen an dem edlen Herzen des furchtbaren Riesen schwebend hielten.
»Auf!« rief nun d'Artagnan, »auf den Weg!« Sie reisten weiter nach Boulogne, wo sie gegen Abend ihre von Schweiß und Schaum bedeckten Pferde anhielten. Zehn Schritte weit von der Stelle, wo sie stille hielten, ehe sie in die Stadt hineinritten, stand ein schwarzgekleideter junger Mann, der auf jemanden zu warten schien, und der von dem Momente an, wo er sie kommen sah, die Augen nicht mehr von ihnen abwandte. D'Artagnan näherte sich ihm, und da er sah, daß ihn sein Blick nicht verließ, sprach er:
»Holla, Freund, ich lasse mich nicht gerne messen.«
»Mein Herr,« sprach der junge Mann, ohne auf d'Artagnans Anrede zu antworten, »kommt Ihr nicht von Paris?« D'Artagnan dachte, es wäre ein Neugieriger, der Nachrichten aus der Hauptstadt zu haben wünschte.
»Ja, Herr,« entgegnete er in etwas freundlicherem Tone.
»Sollt Ihr nicht im >Wappen von England< logieren?«
»Ja, mein Herr.«
»Wenn das ist, so bin ich es, mit dem Ihr zu tun habt; ich bin Herr Mordaunt.«
»Mein Herr,« erwiderte d'Artagnan. »wir stellen uns zu Eurer Verfügung.«
»Nun gut, meine Herren,« sagte Mordaunt, »so reisen wir unverzüglich ab, denn heute ist der letzte Tag der Frist, welche der Kardinal von mir gefordert hat. Mein Schiff steht bereit, und wäret Ihr nicht gekommen, so war ich entschlossen, ohne Euch abzusegeln; denn der General Oliver Cromwell muß auf meine Zurückkunft schon ungeduldig warten.«
»Ah, ah!« rief d'Artagnan, »also an den General Oliver Cromwell werden wir abgeschickt.«
»Habt Ihr keinen Brief für ihn?« fragte der junge Mann. »Wohl habe ich einen Brief, von dem ich den doppelten Umschlag erst in London wegbrechen soll; da Ihr mir aber sagt, an wen er adressiert ist, so brauche ich nicht bis dahin zu warten.« D'Artagnan riß nun den Umschlag des Briefes auf. Er trug wirklich die Aufschrift: «An Herrn Oliver Cromwell, General der Truppen der englischen Nation.«
»Ha,« sprach d'Artagnan, »der Auftrag ist sonderbar.«
»Wer ist dieser Herr Oliver Cromwell?« fragte Porthos leise. »Ein vormaliger Bierbrauer,« antwortete d'Artagnan.
»Schnell, schnell,« rief Mordaunt, «laßt uns abreisen, meine Herren.«
»He doch,« entgegnete Porthos, «ohne zu Abend zu speisen? Kann denn Herr Cromwell nicht ein bißchen warten?«
»Ja, allein ich,« versetzte Mordaunt.
»Nun Ihr, was?« fragte Porthos.
»Ich habe es eilig.«
»O, wenn das Euretwegen geschieht,« sagte Porthos, »so geht mich die Sache nichts an, und ich will essen mit und ohne Eure Erlaubnis.« Der unsichere Blick des jungen Mannes entzündete sich und er schien einen Blitz schleudern zu wollen, doch faßte et sich.
»Mein Herr,« versetzte d'Artagnan, »Ihr müsset ausgehungerte Reisende entschuldigen. Überdies wird Euch unser Abendmahl nicht sehr aufhalten, wir wollen nach dem Gasthause reiten. Geht zu Fuß nach dem Hafen, wir essen ein bißchen, und werden zur selben Zeit wie Ihr dort eintreffen.«
»Was Euch beliebt, meine Herren, wenn wir nur abreisen,« erwiderte Mordaunt.
»Das ist recht schön,« murmelte Porthos.
»Der Name des Schiffes?« fragte d'Artagnan.
»Standard.«
»Wohl, in einer halben Stunde werden wir uns an Bord befinden.« Beide gaben ihren Pferden die Sporen, und ritten nach dem bezeichneten Gasthause.
»Was sagt Ihr zu diesem jungen Manne?« fragte d'Artagnan während des Reitens.
»Ich sage,« erwiderte Porthos, »daß er mir ganz und gar nicht behagt, und daß es mich gewaltig kitzelte, den Rat von Aramis zu befolgen.«
»Seid auf Eurer Hut, Porthos, dieser Mann ist ein Abgeordneter des Generals Cromwell, und wenn wir anzeigten, daß wir seinem Vertrauten den Hals umgedreht haben, so wäre das, glaube ich, zu unserem Empfange eine armselige Weise.«
»Gleichviel,« entgegnete Porthos, »ich habe stets bemerkt, daß Aramis ein guter Ratgeber war.«
»Hört,« sprach d'Artagnan, »wenn unsere Gesandtschaft zu Ende ist ...«
»Nun, dann?«
»Wenn er uns nach Frankreich zurückführt ...«
»Nun, so werden wir sehen.« Mittlerweile erreichten die zwei Freunde das Wirtshaus zu dem »Wappen von England«, wo sie mit großem Appetit zu Abend speisten, und sich dann ungesäumt nach dem Hafen begaben. Eine Brigg war schon segelfertig, und auf dem Verdecke derselben erkannten sie Mordaunt, der ungeduldig auf und nieder schritt. »Es ist unglaublich,« sprach d'Artagnan, während ihn das Boot an Bord des »Standard« führte, »es ist erstaunenswert, wie ähnlich dieser junge Mann jemandem ist, doch kann ich nicht angeben wem.« Sie kamen zur Treppe, und bald darauf waren sie eingeschifft.
Der Schotte hält auf seinen Eidschwur wenig,verkauft für einen Heller seinen König
Nun müssen wir unsere Leser den »Standard« - nicht nach London, wohin d'Artagnan und Porthos zu steuern glaubten, sondern nach Durham ruhig segeln lassen, wohin Mordaunt zufolge der Briefe gehen mußte, welche er während seines Aufenthaltes in Boulogne erhalten, und müssen uns in das royalistische Lager begeben, welches sich diesseits der Tyne nahe der Stadt Newcastle befand. Dort standen zwischen zwei Flüssen, an Schottlands Grenze, jedoch auf Englands Boden, die Gezelte eines kleinen Heeres. Es war bereits Mitternacht. Männer, welche man an ihren nackten Beinen, kurzen Röcken, buntgewürfelten Plaids und an der Feder auf ihrer Mühe als Hochländer erkennen konnte, versahen sorglos die Wache. Der Mond, welcher zwischen dichtem Gewölke dahinglitt, erleuchtete auf jedem Zwischenraume seiner Bahn die Gewehrläufe der Schildwachen, und ließ kräftig die Mauern, Dächer und Türme der Stadt hervortreten, welche Karl I. den Truppen des Parlamentes übergeben hatte, während ihm Oxford und Newcastle, in der Hoffnung eines Vergleiches, noch anhingen. An dem einen Ende dieses Lagers, neben einem ungeheuren Gezelte, das voll schottischer Offiziere war, die unter dem Vorsitze ihres Anführers des Grafen von Lewen, eine Art Rat hielten, schlief ein Mann, im Kavalieranzuge, auf dem Rasen und hatte die rechte Hand auf seinem Schwerte ausgestreckt. Fünfzig Schritte weit entfernt besprach sich ein anderer Mann, gleichfalls im Kavalieranzug, mit einer schottischen Schildwache, und vermöge der Übung, die er in der englischen Sprache zu haben schien, konnte er, obwohl ein Fremder, die Antworten verstehen, die ihm der Angeredete in der Mundart von Perth erteilte. Als es in der Stadt Newcastle ein Uhr morgens schlug, wurde der Schläfer wach, und als er alle Bewegungen eines Menschen gemacht hatte, der nach einem tiefen Schlafe die Augen öffnet, sah er forschend um sich, und als er bemerkte, daß er sich allein befand, stand er auf und ging, einen Umweg machend, bei dem Kavalier vorbei, der sich mit der Schildwache unterredete. Dieser hatte ohne Zweifel seine Fragen beendigt, denn gleich darauf trennte er sich von diesem Manne, und begab sich, ohne daß es auffiel, auf denselben Weg wie der erste Kavalier, den wir vorbeikommen sahen. Der andere erwartete ihn am Wege im Schatten eines Gezeltes.