»Ja, den schriftlichen Befehl,« versetzte Porthos, der in d'Artagnans Absichten einzugehen anfing; »man fordert von Euch nichts weiter.« Mordaunt beschloß, nicht bloß den Befehl, sondern auch noch die zweitausend Pistolen zu holen, den Preis nämlich, zu dem er selbst die zwei Gefangenen geschätzt hatte. Mordaunt schwang sich nun wieder auf das Pferd, empfahl dem Sergeanten, gute Wache zu halten, wandte sich um und sprengte von hinnen. »Gut,« sprach d'Artagnan, »eine Viertelstunde, um nach dem Gezelte zu kommen, eine Viertelstunde, um zurückzukehren, das ist mehr, als wir bedürfen.« Dann wandte er sich wieder zu Porthos, ohne daß sein Gesicht die geringste Gemütsbewegung kundgab, so daß die, welche ihn belauschten, glauben konnten, er setze dieselbe Unterredung fort, und indem er ihm fest in das Gesicht blickte, sprach er zu ihm: »Freund Porthos, höret wohl auf mich. Redet fürs erste nicht eine Silbe mit unseren Freunden von dem, was Ihr eben gehört habt, sie brauchen den Dienst, welchen wir ihnen erweisen, nicht zu kennen.«
»Wohl,« versetzte Porthos, »ich verstehe.«
»Geht von hier weg in den Stall, dort findet Ihr Mousqueton, sattelt die Pferde, steckt die Pistolen in die Halftern, führt sie heraus auf die Straße, dort, daß man nur aufzusitzen braucht; das übrige betrifft dann mich.« Porthos tat nicht den geringsten Einspruch und folgte mit der großen Zuversicht, die er zu seinem Freunde hegte. »Ich gehe,« sprach er; »soll ich aber in das Zimmer treten, worin sich diese Herren befinden?«
»Nein, es ist nicht nötig.«
»Nun, so seid so gefällig und steckt die Börse ein, welche ich auf dem Kamine liegen ließ.«
»Seid ruhig.« Porthos schritt nun in seiner ruhigen und gelassenen Haltung nach dem Stalle, und ging mitten durch die Soldaten, welche, ob er auch Franzose war, nicht umhin konnten, seine hohe Gestalt und seine kräftigen Glieder zu bewundern. An der Straßenecke begegnete er Mousqueton, und nahm ihn mit. D'Artagnan pfiff nun eine kleine Arie, die er bei Porthos' Fortgehen angefangen hatte, und kehrte in das Zimmer zurück. »Lieber Athos,« sprach er, »ich habe über Eure Gründe nachgedacht, und sie haben mich überzeugt: ich bedauere wahrlich, daß ich an dieser Angelegenheit teilhabe. Wie Ihr gesagt habt, so ist Mazarin geizig: Ich bin somit entschlossen, mit Euch zu fliehen, haltet Euch ohne alle Bedenklichkeit bereit, Eure Schwerter stehen dort im Winkel, vergesset sie nicht, das ist ein Werkzeug, das uns unter den gegenwärtigen Umständen sehr ersprießlich sein wird; das gemahnt mich an Porthos' Börse: wohl, da liegt sie.« Und d'Artagnan steckte die Börse in seine Tasche, die beiden Freunde sahen ihm verwunderungsvoll zu. »Nun,« fragte d'Artagnan, »was gibt es denn da zu verwundern? Ich war blind, Athos ließ mich sehen, das ist alles. Kommt hierher.« Die zwei Freunde traten zu ihm. »Seht Ihr dort die Straße,« sagte d'Artagnan, »dort werden die Pferde sein; Ihr geht da durch die Türe hinaus, wendet Euch links, schwingt Euch in den Sattel, und alles wird unbekümmert sein. Besorget Such um nichts, sondern horcht genau auf das Losungswort, und dieses wird sein 'Jesus, mein Herr!'«
»Doch werdet Ihr auf Euer Wort kommen, d'Artagnan?« fragte Athos. »Ich schwöre es bei Gott.«
»So ist es abgemacht,« versetzte Aramis. »Bei dem Rufe: Jesus, mein Herr! verlassen wir das Zimmer, werfen alles nieder, was sich uns widersetzt, eilen zu unseren Pferden, sitzen auf und sprengen fort. Nicht so?«
»Vollkommen.«
»Hört, Aramis,« sprach Athos, »ich sagte es immer, daß d'Artagnan der Beste von uns allen ist.«
»Gut!« rief d'Artagnan, »das sind Komplimente, ich gehe. Gott befohlen.«
»Und Ihr entflieht mit uns, nicht wahr?«
»Das will ich meinen; vergesset nicht das Losungswort: Jesus, mein Herr!« D'Artagnan berief den Sergeanten. »Lieber Herr,« sprach er zu ihm, »der General Cromwell ließ mich durch Herrn Mordaunt rufen; ich bitte, wachet gut über die Gefangenen.« Der Sergeant machte ein Zeichen, daß er nicht französisch verstehe. D'Artagnan versuchte, ihm nun das durch Gebärden begreiflich zu machen, was er durch Worte nicht begriffen hatte. Der Sergeant winkte, daß es gut sei. Sonach ging d'Artagnan in die Ställe und fand die fünf Pferde gesattelt, das seinige so gut wie die anderen. »Nehmt nun jeder ein Pferd zur Hand,« sprach er zu Porthos und Mousqueton, »und wendet Euch links hin, damit Euch Athos und Aramis vom Fenster aus gut sehen.«
»Sie werden also kommen?« fragte Porthos. »Im Augenblicke.«
»Habt Ihr auch meine Börse nicht vergessen?«
»Nein, seid unbekümmert.«
»Wohl!« Porthos und Mousqueton verfügten sich an ihren Posten, während jeder ein Pferd an der Hand nachzog. Als nun d'Artagnan allein war, schlug er Feuer, zündete ein etwa zwei Linsen großes Stück Schwamm an, stieg zu Pferde und hielt der Türe gegenüber mitten unter den Soldaten an. Hier steckte er dem Tiere, indem er es mit der Hand streichelte, jenes kleine Stück glühenden Schwammes in das Ohr. Man mußte ein vortrefflicher Reiter sein wie d'Artagnan, um ein solches Mittel zu wagen, denn das Tier empfand noch kaum den glimmenden Brand, so erhob es ein schmerzvolles Wiehern, bäumte sich und sprang, als wäre es toll geworden. Die Soldaten, die es zu zermalmen drohte, liefen schnell davon. »Zu Hilfe! zu Hilfe!« schrie d'Artagnan, »haltet mein Pferd, es hat den Koller, haltet mein Pferd!« Und wirklich schien ihm augenblicklich das Blut aus den Augen zu dringen, und es wurde weiß von Schaum. »Zu Hilfe!« schrie d'Artagnan ununterbrochen; die Soldaten wagten aber nicht, ihm beizustehen. »Zu Hilfe! wollt Ihr mich denn umkommen lassen? - Jesus, mein Herr!« D'Artagnan hatte diesen Ruf kaum ausgesprochen, so ging die Türe auf, und Athos und Aramis, das Schwert in der Hand, stürzten hervor. Dank der List d'Artagnans war frei der Weg. »Die Gefangenen entfliehen! die Gefangenen entfliehen!« schrie der Sergeant. »Halt! halt!« rief d'Artagnan und ließ seinem Pferde die Zügel schießen, wonach es ein paar Mann niederrannte und fortsprengte. »Stop! stop!« liefen die Soldaten und eilten zu ihren Waffen. Allein, die Gefangenen saßen schon im Sattel, und so verloren sie keine Zeit mehr, sondern sprengten dem nächsten Tore zu. Mitten in der Straße erblickten sie Grimaud und Blaifois, welche zurückkehrten und ihre Herren aufsuchten. Athos verständigte sich durch einen Wink mit Grimaud, der sich sogleich der kleinen Schar anschloß, die einem Wirbelwinde glich, und durch den Zuruf d'Artagnans, der hinterher kam, noch mehr angestachelt wurde. Sie sprengten wie Gespenster durch die Tore, ohne daß es den Wachen nur einfiel, sie aufzuhalten, und waren alsbald im Freien. Mittlerweile riefen die Soldaten noch immer: »Stop! Stop!« und der Sergeant, der nun zu merken anfing, daß er überlistet worden sei, riß sich die Haare aus. Inzwischen sah man einen Reiter herankommen mit einem Papiere in der Hand. Das war Mordaunt, der mit dem Befehle zurückkam. »Die Gefangenen!« rief er, indem er vom Pferde sprang. Der Sergeant vermochte nicht zu antworten, er zeigte nach der offenen Türe und dem leeren Zimmer hin. Mordaunt stürzte nach den Stufen, erriet alles, und mit einem Schrei, als hätte man ihm die Eingeweide zerrissen, sank er ohnmächtig auf den Stein nieder.
Wo bewiesen wird, daß große Herzen in den schwierigsten Lagen nie den Mut, und gute Mägen nie den Appetit verlieren