»Was wollt Ihr?« fragte ihn der König.
»Ich möchte wissen,« entgegnete der Ankömmling, »ob Karl Stuart seine Andacht beschlossen habe.« »Was kümmert Euch das,« erwiderte der König, »wir sind nicht eines Glaubens.«
»Alle Menschen sind Brüder,« versetzte der Puritaner; «einer meiner Brüder wird sterben, und ich will ihn zum Tode ermutigen.«
»Genug!« rief Parry, «der König verlangt nach Eurer Ermutigung nicht.«
»Sire,« flüsterte Aramis, »schont seiner, er ist sicher ein Kundschafter.«
»Nach dem ehrwürdigen Doktor-Bischof,« sprach der König zu ihm, »will ich Euch, mein Herr, mit Vergnügen anhören.« Der Mann mit schielendem Blicke ging fort, nachdem er Juxon mit einer Bedächtigkeit beobachtet hatte, die dem Könige nicht entging.
»Chevalier,« sprach er, als die Türe wieder geschlossen war, »ich denke, Ihr hattet recht, dieser Mann kam in schlimmer Absicht hierher; habt acht, daß Euch beim Fortgehen kein Unglück begegne.«
»Sire!« entgegnete Aramis, »ich danke Eurer Majestät, doch beruhigen Sie sich, ich trage einen Panzer und Dolch unter diesem Gewande.«
»So geht denn, unser Herr und Gott nehme Euch in seinen heiligen Schutz, wie ich zu sagen pflegte, als ich noch König war.«
Aramis entfernte sich: Karl begleitete ihn bis an die Schwelle. Dann schritt Aramis majestätisch durch die mit Wachen und Soldaten angefüllten Vorzimmer, stieg wieder in seinen Wagen, wohin ihm seine zwei Wachen folgten, und ließ sich nach dem bischöflichen Palaste führen, wo sie von ihm weggingen. Juxon erwartete ihn schon voll Angst.
»Nun,« sprach er, als er Aramis kommen sah.
»Nun,« antwortete dieser, »es fiel mir alles nach Wunsch aus; Kundschafter, Wachen und Trabanten hielten mich für Euch, und der König segnet Euch, erwartend, daß Ihr ihn wieder segnet.«
»Gott beschütze Euch, mein Sohn, denn Euer Beispiel hat mir zugleich Hoffnung und Mut eingeflößt.« Aramis zog seine Kleider und seinen Mantel wieder an und ging fort, indem er Juxon bedeutete, er würde seine Zuflucht noch einmal zu ihm nehmen. Er war in der Straße noch kaum zehn Schritte weit gegangen, als er bemerkte, daß ihm ein Mann folge, der in einen weiten Mantel gehüllt war; er legte die Hand an seinen Dolch und blieb stehen. Der Mann ging gerade auf ihn zu - es war Porthos.
»Lieber Freund!« rief Aramis und reichte ihm die Hand.
»Ihr seht, mein Lieber,« entgegnete Porthos, »jeder von uns hatte seine Sendung; die meinige war, über Euch zu wachen, was ich denn auch getan habe. Habt Ihr den König gesehen?«
»Ja, und alles geht gut.«
»Nun, wo sind unsere Freunde?«
»Unsere Verabredung war, daß wir um elf Uhr im Gasthause zusammenkommen.«
»Dann haben wir keine Zeit mehr zu verlieren,« sagte Aramis. Da schlug es wirklich elf Uhr auf der St.-Pauls-Kirche. Da sich aber die zwei Freunde beeilten, so trafen sie zuerst ein. Nach ihnen kam Athos und sprach, ehe ihn noch seine Freunde zu befragen Zeit hatten:
»Es geht alles gut.«
»Was habt Ihr getan?« fragte Aramis.
»Ich habe eine kleine Feluke gemietet, schmal wie ein Kahn und leicht wie eine Schwalbe. Sie erwartet uns in Greenwich, der Hundeinsel gegenüber; sie ist mit einem Lotsen und vier Matrosen bemannt, welche sich gegen 50 Pfund Sterling drei Nächte hindurch ganz zu unserer Verfügung stellen werden. Sollte ich umkommen, so wisset, der Kapitän heißt Roger und die Feluke >Blitz<. Damit werdet Ihr den einen wie die andere finden. Das Erkennungszeichen ist ein Taschentuch, an den vier Ecken mit Knoten versehen.«
Einen Augenblick darauf kam d'Artagnan. »Wendet Eure Taschen,« rief er, »und leert sie bis auf hundert Pfund Sterling; was die meinigen betrifft, so sind sie bereits ausgeleert.« Die Summe war in einer Sekunde beisammen; d'Artagnan ging hinaus, kehrte aber sogleich zurück und sagte: »So, das ist abgetan; o, es war nicht ohne Mühseligkeit.«
»Hat der Scharfrichter London verlassen?« fragte Athos.
»Jawohl, allein das war noch nicht sicher genug, er konnte ja durch das eine Tor hinausgehen und durch das andere wieder zurückkommen.«
»Wo ist er nun?« fragte Athos.
»Im Keller.«
»In welchem Keller?«
»Im Keller unseres Wirtes. Mousqueton sitzt an der Schwelle und hier ist unser Schlüssel.«
»Bravo!« rief Aramis; »wie habt Ihr aber diesen Mann bewogen, zu verschwinden?«
»Wie man hienieden alles durchsetzt, mit Geld; das kostete mich viel, doch hat er sich herbeigelassen.«
»Freund,« sprach Athos, »wieviel hat es Euch gekostet? Ihr seht wohl ein, da wir jetzt nicht mehr ganz arme Musketiere ohne Dach und Fach sind, so müssen die Ausgaben gemeinschaftlich sein.«
»Das hat mich zwölftausend Livres gekostet,« versetzte d'Artagnan.
»Wo habt Ihr sie denn gefunden?« fragte Athos; »besaßet Ihr denn diese Summe?«
»Nun, der berühmte Diamant der Königin,« entgegnete d'Artagnan.
»Nichtig,« sagte Aramis, »ich habe ihn an Eurem Finger erkannt.«
»Somit habt Ihr ihn von Herrn des Effarts zurückerkauft?« fragte Porthos.
»O mein Gott, ja,« erwiderte d'Artagnan, »doch steht es da oben geschrieben, daß ich ihn nicht behalten konnte. Je nun, man muß annehmen, daß die Diamanten ihre Sympathien und ihre Antipathien haben, wie die Menschen, und dieser hier scheint mich zu hassen.«
»Doch,« sprach Athos, »in Hinsicht des Scharfrichters geht es gut; aber zum Unglück hat jeder Scharfrichter seinen Gehilfen, seinen Knecht.«
»Auch dieser hatte den seinigen, allein wir haben Glück.«
»Wieso?«
»In dem Momente, wo ich dachte, ich würde einen zweiten Handel abzuschließen haben, brachte man meinen Schlingel mit einem gebrochenen Bein nach Hause. Er hatte aus einem übertriebenen Eifer die Balken und das Zimmerwerk bis unter das Fenster des Königs geführt, da fiel ein Balken herab und zerschmetterte ihm den Schenkel.«
»Ha!« rief Aramis, »er war es also, der den Schrei ausstieß, den ich im Zimmer des Königs gehört habe?«
»Das ist wahrscheinlich,« versetzte d'Artagnan, »doch wie er ein denkender Mensch ist, so versprach er im Fortgehen, vier erfahrene und kundige Gesellen an seiner Statt zu schicken, um denen zu helfen, welche bereits am Werte sind, und als er zu seinem Herrn zurückkam, so hat er ungeachtet seiner Verwundung sogleich einem seiner Freunde, dem Zimmermeister Tom Lowe, geschrieben, er solle sich nach White-Hall begeben, um sein Versprechen zu erfüllen. Hier ist der Brief, welchen er mit einem eigenen Boten überschickte und den er für zehn Pence überbringen sollte, den ich ihm jedoch für einen Louisdor abgekauft habe.«
»Was Teufel wollt Ihr denn tun mit diesem Briefe?« fragte Athos. »Erratet Ihr das nicht?« sagte d'Artagnan. »Nein, bei meiner Seele!«
»Nun, lieber Athos, Ihr, der Ihr englisch sprecht, wie John Bull selbst, Ihr seid Meister Tom Lowe und wir, wir sind Eure drei Gesellen. Versteht Ihr jetzt?« Athos erhob ein Geschrei des Entzückens und der Bewunderung, stürzte in ein Kabinett, holte Handwerkerkleider hervor, welche die vier Freunde allsogleich anzogen, wonach sie, Athos eine Säge, Porthos ein Brecheisen, Aramis ein Beil, d'Artagnan einen Hammer mit Nägeln nahmen und sich entfernten. Der Brief des Scharfrichtergehilfen bekräftigte dem Zimmermeister, daß sie in der Tat diejenigen seien, welche man erwartete.
Die Handwerker
Gegen Mitternacht vernahm Karl ein starkes Geräusch unter seinem Fenster, das waren die Hammerschläge und Beilhiebe, das Scharren des Brecheisens und das Knarren der Säge. Da er ganz angekleidet auf seinem Bette lag, und eben anfing einzuschlummern, so erweckte ihn dieses Getöse plötzlich, und da dieser Lärm nebst seinem materiellen Widerhalle auch ein moralisches und furchtbares Echo hatte, so bemächtigten sich seiner abermals die schrecklichen Gedanken vom gestrigen Abend. Er befand sich einsam in der Finsternis und Absonderung und hatte nicht die Kraft, die neue Qual zu ertragen, welche nicht in dem Programm seiner Hinrichtung stand, und so schickte er Parry ab, der Schildwache zu sagen, sie möchte die Arbeiter angehen, daß sie weniger stark klopfen und Mitleid mit dem letzten Schlummer desjenigen haben sollten, der vordem ihr König war. Die Schildwache wollte von ihrem Platze nicht weichen, ließ aber Parry hinaus. Nachdem nun Parry um den Palast herumgegangen war, und zu dem Fenster kam, sah er ein großes, noch unvollendetes Schafott, das mit dem Balkon, von dem man das Geländer wegbrach, gleichstand, und worüber man eben einen Behang von schwarzem Zeuge nagelte. Dieses Blutgerüst, das bis zur Fensterhöhe, das ist etwa zwanzig Fuß hoch, aufgerichtet ward, hatte zwei untere Stockwerke. Wie verhaßt auch Parry dieser Anblick war, so suchte er doch unter den acht bis zehn Arbeitern, welche diese traurige Maschine aufführten, diejenigen aus, deren Geräusch dem König am widerlichsten fallen mußte, und so bemerkte er im zweiten Stockwerke zwei Männer, welche mittels eines Brecheisens die letzten Zapfen des eisernen Ballons ausbrachen; der eine von ihnen, ein wahrhafter Koloß, versah den Dienst des antiken Widders, der darin bestand, die Mauern einzustoßen. Bei jedem Stoße seines Instrumentes zerstob der Stein in Stücke. Der andere lag auf den Knien und zog die gesprengten Steine heraus. Die waren es augenscheinlich, welche den Lärm verursachten, über den der König Klage führte. Parry stieg über die Leiter und kam zu ihnen.