Der Anblick des maskierten Mannes verursachte ein Gemurmel, das lang anhielt. Jeder brannte, zu wissen, wer dieser unbekannte Scharfrichter sei, der sich so zu rechter Zeit gemeldet hatte, damit das dem Volke versprochene entsetzliche Schauspiel stattfinden könnte, während das Volk der Meinung war, dieses Schauspiel wäre für den nächsten Tag verschoben. Darum verschlang ihn auch jedermann mit den Augen; doch alles, was man sehen konnte, war, daß er ein Mann von mittlerer Größe und schwarz gekleidet wäre, der bereits ein gewisses Alter zu haben schien, denn es hing ein grauer Bart unter der Maske herab, die ihm das Antlitz bedeckte. Jedoch bei dem Anblick des so ruhigen, so edlen und würdigen Königs war die Stille sogleich wieder eingetreten, so daß jeder den Wunsch hören konnte, den er geäußert, zu dem Volke zu sprechen. Zweifelsohne hatte derjenige, an welchen er diesen Wunsch gerichtet, mit einem bejahenden Zeichen geantwortet, denn der König fing an mit so fester und klangvoller Stimme zu sprechen, daß es Athos bis auf den Grund des Herzens widerhallte. Er erklärte dem Volke seine Handlungsweise und gab ihm Ratschläge für die Wohlfahrt Englands. »O,« sprach Athos bei sich, »ist es denn möglich, daß ich höre, und daß ich sehe, was ich da sehe? Ist es möglich, daß Gott seinen Stellvertreter hienieden derart aufgegeben hat, daß er ihn auf so bejammernswerte Weise sterben lasse? - Und ich, der ich ihn nicht gesehen, der ich ihm kein Lebewohl gesagt habe ...!« Da ließ sich ein Geräusch vernehmen, welches dem ähnlich war, welches das auf dem Block bewegte Todeswerkzeug hatte machen können. Der König hielt inne, dann sprach er wieder: »Rühret das Beil nicht an.« Hierauf fuhr er in der Rede da fort, wo er innegehalten hatte.
Als die Rede zu Ende war, entstand eine schauerliche Stille über dem Haupte des Grafen. Er hielt die Hand an seine Stirn, und zwischen seiner Hand und der Stirn peilten Schweißtropfen nieder, wiewohl die Luft eiskalt war. Tiefes Schweigen zeigte die letzten Vorbereitungen an. Nach beendigter Rede warf der König einen mitleidsvollen Blick auf die Menge, nahm den Orden ab, welchen er trug, denselben diamantenen Stern, welchen ihm die Königin geschenkt hatte, und übergab ihn dem Priester, welcher Juxon begleitete. Hierauf zog er aus seinem Busen ein diamantenes Kreuz, welches gleichfalls, wie der Stern, von der Königin Henriette gekommen war. Er wandte sich zu dem Priester, welcher Juxon begleitete, und sprach zu ihm: »Mein Herr, ich werde dieses Kreuz bis zu meinem letzten Atemzuge in der Hand behalten und dann, wenn ich tot bin, nehmt es mit.«
»Ja, Sire,« entgegnete eine Stimme, welche Athos für die von Aramis erkannte. Karl, der bis jetzt mit bedecktem Haupte geblieben war, nahm nun seinen Hut ab und legte ihn neben sich, sodann öffnete er die Knöpfe seines Wamses, zog es aus und warf es neben den Hut. Da es kalt war, so verlangte er seinen Schlafrock, der ihm auch gebracht wurde. Alle diese Vorkehrungen fanden mit einer schauerlichen Ruhe statt. Man hätte sagen können, der König wolle sich in sein Bett und nicht in seinen Sarg legen. Endlich erhob er seine Haare mit der Hand und sprach zum Scharfrichter: »Sind sie Euch im Wege, Herr? Wenn das ist, so kann man sie mit einer Schnur aufbinden.« Karl begleitete diese Worte mit einem Blicke, der unter die Larve des Unbekannten dringen zu wollen schien. Dieser so edle, ruhige und sichere Blick bewog diesen Mann, den Kopf wegzuwenden; doch hinter dem forschenden Blicke des Königs traf er Aramis' stechenden Blick. Als der König sah, daß er nicht antworte, wiederholte er die Frage. »Es ist hinreichend,« versetze der Mann mit dumpfer Stimme, »daß Ihr sie zu beiden Seiten des Halses zurückschlaget.« Der König teilte die Haare mit beiden Händen, betrachtete den Block und sagte: »Dieser Block ist sehr niedrig; ist kein höherer vorhanden?«
»Es ist der gewöhnliche Block,« erwiderte der maskierte Mann. »Glaubt Ihr, mir den Kopf mit einem einzigen Streiche abzuhauen?« fragte der König. »Ich hoffe das,« entgegnete der Scharfrichter. In den Worten: »Ich hoffe das!« lag eine so seltsame Betonung, daß jedermann schauderte, der König ausgenommen. »Gut,« sprach der König, »und nun höre mich, Scharfrichter.« Der vermummte Mann trat einen Schritt näher zum König und stützte sich auf sein Beil. »Ich will nicht, daß du mich überraschest,« sprach Karl, »ich werde niederknien, um zu beten, aber dann schlage noch nicht.«
»Wann soll ich denn schlagen?« fragte der maskierte Mann. »Wenn ich den Hals auf den Bock lege, die Arme ausstrecke und sage: Remember! Denkt daran., so schlage kühn zu.« Der vermummte Mann verneigte sich leicht.
»Nun ist der Augenblick gekommen, aus dieser Welt zu scheiden,« sprach der König zu denen, welche ihn umgaben. »Meine Herren, ich verlasse Euch inmitten des Sturmes und gehe Euch voran in jenes Heimatland, daß nichts von Stürmen weiß. Lebet wohl!« Er blickte Aramis an, machte ihm ein eigentümliches Zeichen mit dem Kopfe und fuhr dann fort: »Jetzt entfernt Euch, ich bitte, und lasset mich im stillen mein Gebet verrichten. Zieh auch du dich zurück,« sprach er zu dem maskierten Manne, »es ist nur für einen Augenblick, und ich weiß, daß ich dir angehöre; doch erinnere dich, daß du nur auf mein Signal schlagest.« Karl kniete nunmehr nieder, machte das Zeichen des Kreuzes, näherte seinen Mund dem Boden, als wollte er das Schafott küssen, stützte sich dann mit der einen Hand auf den Fußboden, mit der andern auf den Block und sagte französisch: »Graf de la Fere, seid Ihr da und kann ich reden?« Diese Worte trafen Athos mitten ins Herz und durchbohrten es wie kaltes Eisen. »Ja, Majestät,« sprach er zitternd. »Getreuer Freund, edles Herz,« sagte der König, »ich konnte durch dich nicht gerettet werden und sollte es nicht sein, ob ich nun auch eine Sünde begehe, so sage ich dir doch: ja, ich habe zu den Menschen geredet, ich habe zu Gott geredet und spreche mit dir zuletzt. Um eine Sache zu behaupten, die ich für geheiligt hielt, verlor ich den Thron meiner Väter und entzog meinen Kindern das Erbe. Eine Million in Gold bleibt mir, die ich in den Kellern von Newcastle in dem Momente vergrub, wo ich diese Stadt verließ. Du allein weißt von dem Vorhandensein dieses Geldes; mach' davon Gebrauch, wenn du glaubst, daß es für die Wohlfahrt meines ältesten Sohnes Zeit sein wird; und jetzt, Graf de la Fere, nehmt von mir Abschied.«
»Gott befohlen, heilige, dem Märtyrertum geweihte Majestät,« stammelte Athos, von Entsetzen erstarrt.
Es trat nun ein kurzes Stillschweigen ein, während dessen es Athos schien, als richte sich der König empor und nehme eine andere Haltung an. Sonach rief der König mit starker, klangvoller Stimme, daß man ihn nicht bloß auf dem Schafott, sondern auch auf dem Platze vernahm: »Remember!« Er hatte dieses Wort kaum ausgesprochen, als ein furchtbarer Schlag den Fußboden des Schafotts erschütterte; Staub wirbelte vom Tuche empor und blendete den unglücklichen Edelmann. Dann erhob er auf einmal, gleichsam maschinenartig, die Augen und den Kopf und ein warmer Tropfen fiel ihm auf die Stirne. Athos wich mit schaudervollem Entsetzen zurück, und in diesem Momente verwandelte sich der Tropfen in eine dunkle Kaskade, die auf dem Boden zurückprallte. Athos war von selbst auf die Knie gesunken und blieb da einige Augenblicke wie von Wahnsinn und Ohnmacht übermannt. Bald nachher bemerkte er an dem abnehmenden Getöse, daß sich die Menge entferne; er blieb noch ein Weilchen bewegungslos, stumm und niedergeschlagen. Hierauf wandte er sich um und tauchte den Zipfel seines Sacktuches in das Blut des Märtyrerkönigs, und als sich die Volksmenge mehr und mehr verlor, stieg er hinab, teilte das Tuch, schlüpfte zwischen zwei Pferden hindurch, mengte sich unter das Volk, dessen Anzug er hatte, und kam zuerst im Gasthause an. Da ging er in sein Zimmer, betrachtete sich in einem Spiegel, sah seine Stirne mit einem breiten Blutmal bezeichnet, bewegte die Hand danach, zog sie, voll vom Blute des Königs, zurück und wurde ohnmächtig.