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Über all dies lachte ich am liebsten, doch verspüre ich großes Unbehagen. Und in meiner Seele die Kälte einer plötzlichen Krankheit. Mir fehlt es an der Kraft, mich gegen eine solche Absurdität aufzulehnen. Welchem Fenster zu welchem Geheimnis Gottes könnte ich mich ungewollt genähert haben? Wohin führt das Schaufenster vor dem Treppenabsatz? Was hat es auf sich mit den Augen auf dem Farbdruck? Mich fröstelt fast. Unwillkürlich sehe ich auf zu der Ecke im Büro, wo der echte Farbdruck hängt. Ich kann meinen Blick nicht mehr lösen von dort.

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Jeder Gemütsbewegung eine Persönlichkeit zuordnen, jedem Seelenzustand eine Seele.

Sie kamen um die Wegbiegung, eine Schar junger Mädchen. Singend gingen sie dahin, und ihre Stimmen klangen glücklich. Wer sie waren, weiß ich nicht. Ich hörte ihnen eine Zeitlang von weitem zu, ohne selbst etwas zu empfinden. Doch Kummer ergriff mein Herz.

War es ihre Zukunft? Ihre Unbewußtheit? Waren wirklich sie es?, oder – wer weiß – vielleicht nur ich?

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Literatur, eine mit dem Denken vermählte Kunst und eine Verwirklichung ohne den Makel der Wirklichkeit, scheint mir das Ziel, dem alles menschliche Bestreben gelten sollte, wenn es denn wahrhaft menschlich und nicht allzu tierhaft wäre. Ich glaube, eine Sache in Worte fassen heißt ihr die Kraft bewahren und den Schrecken nehmen. Felder sind grüner in der Beschreibung als in ihrem Grün. Beschreibt man Blumen mit Sätzen, die sie im Bereich des Imaginären definieren, sind ihre Farben von einer Dauer, die ihr zelluläres Leben nicht hergibt.

Sich bewegen heißt leben, sich in Worte fassen heißt überleben. Nichts im Leben ist weniger wirklich, weil es gut beschrieben wurde. Kleinkarierte Kritiker pflegen zu betonen, ein Gedicht in hymnischen Rhythmen besage letztlich doch nur, daß der Tag schön ist. Doch in Worte fassen, daß der Tag schön ist, ist schwierig, zudem vergeht auch der schöne Tag. Mithin müssen wir den schönen Tag in einem wortreichen, blühenden Gedächtnis bewahren und auf diese Weise die Felder oder Himmel der leeren, vergänglichen äußeren Welt mit neuen Blumen oder neuen Sternen übersäen.

Alles ist, was wir sind, und alles wird für jene, die in der Vielfalt der Zeit nach uns kommen, so sein, wie wir es uns intensiv vorgestellt haben, das heißt wie wir es, unsere Vorstellungskraft verkörpernd, wahrhaft gewesen sein werden. Ich glaube nicht, daß die Geschichte mit ihrem großen verblichenen Panorama mehr ist als eine Abfolge von Deutungen, ein verworrener Konsens geistesabwesender Zeugen. Romanciers sind wir alle, und wir erzählen, wenn wir sehen, denn sehen ist so komplex wie alles übrige.

Ich habe in diesem Augenblick so viele grundlegende Gedanken, so viele wahrhaft metaphysische Dinge zu sagen, daß ich mich mit einem Male müde fühle und beschließe, nicht weiterzuschreiben, nicht weiterzudenken, sondern geschehen zu lassen, daß mir das Wortfieber Schlaf schenkt und ich mit geschlossenen Augen alles, was ich gesagt haben könnte, wie eine Katze streichele.

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Ein Hauch von Musik oder Traum, irgend etwas, das beinahe fühlen läßt, irgend etwas, das kein Denken erlaubt.

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Nachdem die letzten Regentropfen nur noch zögernd von den Dächern fielen und das Blau des Himmels sich zusehends auf der gepflasterten Straßenmitte spiegelte, klangen die Fahrzeuge mit einem Mal anders, höher und fröhlicher, und das Aufgehen der Fenster hin zum Nicht-Vergessen der Sonne war vernehmbar. An der nächsten Ecke der schmalen Straße ertönte der laute Lockruf des ersten Losverkäufers, und die Schläge, mit denen man die Nägel in die Kisten aus dem Laden gegenüber trieb, hallten durch den lichten Raum.

Es war ein unklarer Feiertag, gesetzlich, aber kaum beachtet. Ruhe und Arbeit lagen eng beieinander, und ich hatte nichts zu tun. Ich war früh aufgestanden und ließ mir Zeit, mich für das Dasein zu rüsten. Ich ging im Zimmer auf und ab und träumte hoch, zusammenhanglose, unverwirklichbare Dinge – Gesten, die ich unterlassen, unmögliche Vorhaben, die ich blindlings ausgeführt hatte, lange, intensive Gespräche, die stattgefunden hätten, hätten sie denn stattgefunden. Und in dieser Träumerei ohne Größe noch Ruhe, in diesem Verweilen ohne Hoffnung noch Zweck vergeudeten meine Schritte den freien Vormittag, und meine lauten leisen Worte hallten vielfach wider im Kloster meiner kargen Abgeschiedenheit.

Betrachtete ich meine menschliche Gestalt mit Abstand, war sie lächerlich wie alles Menschliche, dem man näherkommt. Ich trug – über der schlichten Kleidung des aufgegebenen Schlafes – einen alten Überzieher, der mir für diese morgendlichen Nachtwachen dient. Meine alten Pantoffeln waren löchrig, insbesondere der linke. Die Hände in den Taschen dieses postumen Aufzugs durchmaß ich die Avenida meines winzigen Zimmers mit langen, entschiedenen Schritten und erfüllte mir mit meiner nutzlosen Träumerei einen Traum, wie ihn alle hegen.

Durch die offene Frische meines einzigen Fensters hörte ich noch immer die von den Dächern fallenden regenschweren Tropfen. Der Regen war abgezogen, und ein Hauch Frische war geblieben. Der Himmel war von einnehmender Bläue, und die Wolken, die der besiegte oder erschöpfte Regen zurückgelassen hatte, gaben bei ihrem Rückzug Richtung Castelo de São Jorge die rechtmäßigen Wege des gesamten Himmels frei.

Dies war die Gelegenheit, fröhlich zu sein. Doch etwas bedrückte mich, eine unbekannte Sehnsucht, ein unbestimmtes, nicht einmal schwaches Verlangen. Vielleicht brauchte es seine Zeit, um sich lebendig zu fühlen. Und als ich mich hoch oben zum Fenster hinauslehnte und auf die Straße sah, ohne die Straße zu sehen, fühlte ich mich plötzlich wie einer dieser nassen Lappen, mit denen man Schmutz beseitigt und die man anschließend zum Trocknen ans Fenster legt, dann aber zusammengeknäuelt auf der Fensterbank vergißt, die sie ihrerseits zusehends beschmutzen.

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Ich gestehe, traurig oder auch nicht, daß ich ein trockenherziger Mensch bin. Ein Adjektiv bedeutet mir mehr als ein wirkliches Weinen der Seele. Mein Meister Vieira[6]   [ …]

Doch bisweilen bin ich ein anderer, dann weine ich Tränen, heiße Tränen wie Menschen, die keine Mutter haben und nie hatten; und meine Augen, die von diesen toten Tränen brennen, brennen im Innern meines Herzens.

Ich entsinne mich nicht meiner Mutter. Sie starb, als ich ein Jahr alt war.[7]   Alles Harte und Zerrissene meines Gemüts rührt von dem Fehlen dieser Wärme und von der nutzlosen Sehnsucht nach Küssen, an die ich mich nicht erinnere. Ich bin ein künstliches Wesen. Ich erwachte immer an fremden Brüsten, auf Umwegen gezärtelt.

Ach, die Sehnsucht nach dem Anderen, der ich hätte sein können, zerreißt und erschreckt mich! Welch ein Anderer wäre ich wohl, hätte man mir jene Zärtlichkeit gegeben, die aus dem Bauch kommt und in Küssen Ausdruck findet auf einem Kindergesichtchen?

Vielleicht hat der Schmerz, kein Sohn gewesen zu sein, wesentlich Anteil an meiner emotionalen Gleichgültigkeit. Wer mich als Kind an sein Gesicht drückte, konnte mich nicht an sein Herz drücken. Bis auf sie, die fern war, in einem Grab – sie, die mir gehört hätte, hätte es das Schicksal gewollt.

Später erzählte man mir, meine Mutter sei hübsch gewesen, und es heißt, als man dies erzählte, hätte ich nichts darauf erwidert. Ich war schon reif an Körper und Seele, doch auf Gefühle verstand ich mich nicht, und ihr Ausdruck ließ mich noch nicht an andere, schwer vorstellbare Seiten denken.