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„Es ist wirklich unglaublich, Tante Jaina“, erklärte er. „Da geschieht gerade so viel in der Welt, das ich verändern möchte – aber ich weiß, dass ich hierbleiben muss. Fast jeden Tag lerne ich etwas Neues. Es quält mich zwar, dass ich nicht helfen kann, aber …“

„Die Aufgabe, uns eine Zukunft zu sichern, in der du glücklich aufwachsen kannst, obliegt nicht dir, Anduin“, unterbrach ihn Jaina. „Dein Schicksal ist es, genau das zu tun, was du jetzt tust – also streng dich an! Lerne fleißig! Du hast aber recht: Du musst dortbleiben, denn dort gehörst du jetzt hin.“

Er verlagerte das Gewicht von einem Fuß auf den anderen, und plötzlich wirkte er wieder viel jünger. „Ich weiß“, seufzte er. „Ich weiß. Nur ist es eben manchmal … schwierig.“

„Die Zeit wird kommen, da du wehmütig an diese einfacheren, ruhigeren Tage zurückdenkst“, sagte Jaina. Kurz musste sie an ihre eigene Jugend denken. Geliebt von ihrem Vater und ihrem Bruder, sicher in der Obhut ihrer Gouvernanten und Lehrer, war ihr Leben trotz der militärischen Prägung ihrer Familie von der Freude am Lernen und den Pflichten einer jungen Lady erfüllt gewesen. Damals hatte sie sich gegen diese Lektionen gesträubt, aber nun erschienen ihr die Erinnerungen daran so süß und lieblich wie Blütenblätter.

Anduin verdrehte in gespielter Verzweiflung die Augen. „Richte Thrall schöne Grüße von mir aus“, sagte er.

„Das wäre ziemlich töricht“, entgegnete Jaina, lächelte jedoch, während sie sprach. Anschließend schob sie sich die Kapuze des Umhangs über das goldene Haar. „Alles Gute, Anduin! Es war schön zu hören, wie es dir geht.“

„Ich komme schon zurecht, Tante Jaina. Sei du lieber vorsichtig!“ Sein Bild verschwand, und Jaina, die gerade versucht hatte, die Kapuze zuzubinden, hielt mitten in der Bewegung inne. Sei du lieber vorsichtig! Oh ja, er wurde wirklich erwachsen!

Wie schon so oft in der Vergangenheit machte sie sich allein auf den Weg, wobei sie, ganz wie Anduin es gewünscht hatte, Vorsicht walten ließ und darauf achtete, dass ihr niemand folgte. Sie paddelte mit ihrem Boot nach Südwesten, zwischen den kleinen Inseln hindurch, die das als Tidenbucht bekannte Gebiet sprenkelten. Hin und wieder schnappten Matschpanzerklacker wütend mit ihren Zangen nach ihr, doch davon abgesehen wurde sie auf ihrer Reise durch die Gewässer nicht gestört.

Am Treffpunkt bugsierte Jaina das Boot an Land, überrascht, dass Thrall nicht bereits eingetroffen war. Ein leichtes Gefühl der Unruhe überkam sie. So viel hatte sich verändert: Er hatte die Führung der Horde an Garrosh abgetreten, die Welt war aufgebrochen wie ein Ei und würde nie wieder dieselbe sein, und dann war da noch dieses gewaltige Übel gewesen, das verzehrt von Hass und Wahnsinn über das Angesicht von Azeroth gewütet hatte, bis man es schließlich besiegte.

Der Wind drehte sich. Er streichelte ihr Gesicht und wehte ihr die Kapuze vom Kopf, obwohl sie sie unter ihrem Kinn zugebunden hatte. Ihr Umhang blähte sich hinter ihrer zierlichen Gestalt auf, und plötzlich musste Jaina lächeln. Es war eine warme Brise, vom Geruch von Apfelblüten geschwängert, und ehe sie sichs versah, hob dieser Windstoß sie aus dem Boot, als wäre er eine große, sanfte Hand. Sie wehrte sich nicht; sie wusste, dass sie völlig sicher war. Die Brise wiegte sie und setzte sie mit derselben Behutsamkeit am Ufer ab, mit der sie sie zuvor in die Luft emporgehoben hatte. Nicht ein einziger Tropfen des schlammigen Wassers hatte ihre Stiefelspitzen berührt.

Einen Moment später trat er hinter einem Fels hervor, und Jaina erkannte einmal mehr, dass sie sich noch immer nicht an seine neue Erscheinung gewöhnt hatte. Anstatt seiner Rüstung trug Thrall, der Sohn von Durotan, schlichte Roben und eine Kette aus roten Gebetsperlen um den Hals, dazu eine einfache Kapuze, die seinen großen Kopf mit dem schwarzen Haar bedeckte. Die Roben entblößten einen Teil seiner breiten grünen Brust, und seine Arme waren nackt. Kein Zweifel, jetzt war er wirklich ein Schamane und kein Kriegshäuptling mehr. Allein der Schicksalshammer, den er sich hinter den Rücken geschnallt hatte, erinnerte sie noch an den alten Thrall.

Er streckte die Hände aus, und Jaina ergriff sie.

„Lady Prachtmeer“, sagte er, während seine blauen Augen in einem freudigen blauen Schein strahlten. „Es ist lange her, seit wir uns das letzte Mal so getroffen haben.“

„Ja, in der Tat, Thrall“, stimmte sie zu. „Vielleicht zu lange.“

„Ich bin jetzt Go’el“, erinnerte er sie sanft. Sie nickte, wenn auch ein wenig zerknirscht.

„Entschuldige! Dann also Go’el.“ Jaina blickte sich um. „Wo ist Etrigg?“

„Er ist beim Kriegshäuptling, wo er hingehört“, antwortete Go’el. „Ich bin jetzt der Anführer des Irdenen Ringes, dem ich demütig diene. Ich halte mich nicht für besser oder mächtiger als irgendein anderes Mitglied des Bundes.“

Der Hauch eines amüsierten Lächelns umspielte ihre Lippen. „Es gibt nur wenige, die einen ganz normalen Schamanen in dir sehen würden“, meinte sie. „Und ich gehöre nicht dazu. Oder sind die Geschichten, dass du dich mit vier Drachen-Aspekten verbündet hast, um Todesschwinge zu besiegen, nur Märchen?“

„Es war eine Ehre und eine Lektion in Demut, der Welt so zu dienen“, entgegnete Go’el. Bei jedem anderen wären diese Worte nichts als höfliche Bescheidenheit gewesen, aber Jaina wusste, dass er es tatsächlich so meinte. „Ich habe lediglich den Platz des Erdwächters eingenommen. Wir alle, die wir gemeinsam gekämpft haben – die Drachen ebenso wie die tapferen Vertreter aller anderen Rassen dieser Welt – haben den Sieg errungen. Der Tod dieses gewaltigen Monsters ist das Verdienst vieler.“

Sie suchte seinen Blick. „Dann bist du also mit allen Entscheidungen, die du getroffen hast, zufrieden.“

„Das bin ich“, sagte er. „Hätte ich mich nicht zurückgezogen, um dem Irdenen Ring beizutreten, ich wäre nicht bereit gewesen, zu tun, was das Schicksal von mir verlangte.“

Sie dachte an Anduin und seine Ausbildung, die ihn weit von seiner Familie und seinen Lieben fortgeführt hatte. Da geschieht gerade so viel in der Welt, woran ich teilhaben möchte – aber ich weiß, dass ich hierbleiben muss. Fast jeden Tag lerne ich etwas Neues.

Und ihm hatte sie gesagt, dass er genau da war, wo er sein sollte. Jetzt sagte Go’el mehr oder weniger dasselbe, und ein Teil von ihr wollte ihm auch zustimmen. Die Welt war ganz sicher ein besserer Ort, ohne dass Todesschwinge und der Zwielichtkult das Land verwüsteten und terrorisierten! Und dennoch …

„Alles hat seinen Preis, Go’el“, meinte sie. „Du hast einen Preis gezahlt, um dein Wissen und deine Fähigkeiten zu erwerben. Der … der Orc, dem du deinen Platz auf dem Thron überlassen hast, richtete in deiner Abwesenheit großen Schaden an. Ich habe gehört, was in Orgrimmar und Eschental vor sich geht, und ich bin sicher, du ebenfalls!“

Seine Miene, die bislang so friedlich gewesen war, verdüsterte sich nun. „Natürlich habe ich davon gehört.“

„Und … du willst nichts unternehmen?“

„Früher bin ich einem anderen Pfad gefolgt“, erklärte Go’el. „Du hast ja gesehen, wohin dieser Pfad geführt hat. Ich habe eine Gefahr heraufbeschworen, die …“

„Go’el, ich weiß das, aber diese Herausforderung liegt nun hinter uns. Garrosh versucht, einen Streit zwischen der Allianz und der Horde zu schüren – einen Streit, den er allein heraufbeschworen hat. Ich kann schon verstehen, dass du ihn nicht öffentlich bloßstellen möchtest, aber – vielleicht können wir beide zusammenarbeiten. Wir könnten eine Art Gipfel einberufen. Bitte Baine, sich uns anzuschließen; ich weiß, dass er nicht mit Garroshs Plänen einverstanden ist. Und ich könnte mit Varian sprechen. In jüngster Zeit scheint er viel zugänglicher geworden zu sein. Jeder kennt und respektiert dich, selbst in der Allianz, Go’el. Du hast dir diesen Respekt durch dein Handeln verdient. Garrosh hingegen hat bis jetzt nichts außer Misstrauen und Hass erworben.“