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„Wie konnte das nur geschehen?“

„Wir hätten mehr Drachen losschicken sollen; ich hatte doch gesagt, wir hätten mehr Drachen losschicken sollen!“

„Das war von Anfang an eine närrische Idee. Wäre die Iris hiergeblieben, wir hätten sie jede Sekunde bewachen können!“

Kalecgos donnerte seinen Schwanz auf den Boden. „Ruhe!“, brüllte er, und das Wort hallte durch den Raum.

Die Drachen verstummten abrupt, und nun richtete sich jeder Kopf auf den Anführer des Schwarms. In einigen Gesichtern sah Kalec das schwache Schimmern der Hoffnung, es werde sich hier gewiss nur um ein Missverständnis handeln, das er irgendwie aufklären könnte. Andere starrten ihn aus wütenden, missmutigen Augen an; ohne Zweifel gaben sie ihm die Schuld für das, was geschehen war.

Sobald er ihre volle Aufmerksamkeit hatte, begann Kalecgos zu sprechen. „Bevor wir uns in wilden Spekulationen ergehen, sollten wir erst einmal überlegen, was wir wirklich wissen“, erklärte er. „Der blaue Schwarm zittert nicht vor Ängsten, die allein einer fiebrigen Fantasie entstammen.“

Einige der Drachen senkten bei diesen Worten die Köpfe, während ihre Ohren beschämt nach unten sackten. Ein paar andere aber zuckten empört hoch. Um sie würde sich Kalec später kümmern. Jetzt musste er erst einmal die Fakten in Erfahrung bringen.

„Ich habe es zuerst gespürt“, sagte Teralygos. Er war einer der Ältesten des blauen Schwarms, der entschieden hatte hierzubleiben. Einst hatte er sich auf die Seite von Kalecs Rivalen Arygos gestellt, doch seitdem dieser als Verräter enttarnt und anschließend getötet worden war, hatte Teralygos gemeinsam mit den meisten anderen Kalec die Treue gehalten, auch noch, nachdem er seine Aspekt-Fähigkeiten eingebüßt hatte.

„Du bist schon seit Langem ein Wächter unseres Heimes, Teralygos; und groß ist der Dank, den wir dir alle schulden“, erwiderte Kalec, die Stimme voller Respekt. „Was hast du gespürt?“

„Der Pfad, den Veragos und die anderen nehmen sollten, war nicht der direkteste Weg“, erklärte Teralygos. Kalec nickte. Man hatte beschlossen, dass es zu riskant wäre, wenn jemand eine Gruppe von blauen Drachen zu sehen bekäme, die kerzengerade auf ihr Ziel zuflogen, noch dazu mit einem rätselhaften Gegenstand. Stattdessen war die Gruppe in Form zweibeiniger Gestalten aufgebrochen. Das ließ die Reise zwar länger und umständlicher werden, aber so würden sie wesentlich weniger Aufmerksamkeit erregen, sollten feindlich gesonnene Augen sie entdecken. Falls sie tatsächlich auf dem Boden angegriffen worden waren, dann hätten sie eigentlich in Sekundenschnelle ihre menschenähnliche Gestalt ablegen und ihre wirkliche annehmen können. Fünf Drachen sollten es mit jedem aufnehmen können, der in der Ödnis lauerte und hoffte, eine kleine Karawane ausrauben zu können.

Dennoch …

„Ich kenne sämtliche Biegungen auf dieser Route“, fuhr Teralygos fort. „Ich und die anderen – Alagosa und Banagos –, wir haben jeden Schritt unserer Brüder und Schwestern verfolgt. Und bis vor ungefähr einer Stunde war noch alles in Ordnung.“

Teralygos’ Stimme klang rau vom Alter, und bei dem letzten Wort bebte sie. Kalec behielt den Blick fest auf den Drachen gerichtet, doch er spürte, wie Kirygosas Kopf in einer Geste der Unterstützung an seiner Schulter entlangstreifte.

„Was ist dann geschehen?“

„Dann sind sie stehen geblieben. Bis zu diesem Moment waren sie marschiert, ohne auch nur eine Sekunde haltzumachen. Nach einer kurzen Pause bewegte sich die Iris zwar wieder, nun aber nicht mehr nach Westen, nicht auf die Gefrorene See zu … sondern nach Südwesten, und zwar viel schneller, als Veragos und die anderen sie zuvor transportiert hatten.“

„Wo haben die Träger haltgemacht?“

„An der Küste des Meeres. Inzwischen befindet sich die Iris schon weit im Süden. Und je weiter sie sich von mir entfernt“, schloss Teralygos niedergeschlagen, „desto schwächer wird die Verbindung.“

Kalecgos blickte Kirygosa an. „Nimm ein paar Drachen mit und flieg zur Küste! Seid aber vorsichtig! Findet heraus, was dort geschehen ist!“

Sie nickte, dann wandte sie sich an Banagos und Alagosa, und einen Moment später hoben die drei schon ab und flogen mit mächtigen Flügelschlägen aus dem Nexus. Auf dem Luftweg war es nicht weit bis zum Meer; sie würden bald wieder zurückkehren.

Zumindest hoffte Kalec dies.

„Oh nein!“, wisperte Kirygosa. Sie zögerte einen Moment und verharrte dann schwebend über dem Boden, während sie versuchte, eine Bedrohung in der Nähe aufzuspüren. Doch sie konnte nichts spüren. Die Feinde waren schon lange fort; zurückgeblieben war nur, was sie hier angerichtet hatten.

Sie faltete ihre Flügel zusammen und ließ sich grazil auf den Boden fallen, dann beugte sie traurig den geschmeidigen Hals.

Vor gar nicht allzu langer Zeit war diese Stelle nur ein unauffälliger, wenngleich unwirtlicher Streifen Schnee gewesen – pur, rein und in seiner Schlichtheit beruhigend. Wäre hier jemand vorbeigekommen, er hätte eine weiße Weite gesehen, unterbrochen allein vom gelegentlichen Braun oder Grau eines Felsens. Hier und da gab es auch Streifen gelblichen Sandes, die sich dem hungrigen, kalten Ozean furchtlos entgegenstreckten.

Nun hatte sich der Schnee in einen roten Matsch verwandelt, in dem ein paar gezackte schwarze Krater klafften, die aussahen, als wären Blitzschläge in den gefrorenen Boden gefahren, den der weiße Schnee einst bedeckt hatte. Felsbrocken waren vom Boden empor- oder von den Steilwänden abgerissen und in die Ferne geschleudert worden, und sogar an einigen dieser Steinblöcke klebte trocknendes Rot. Als Kirygosa und die anderen in der Luft schnüffelten, nahmen sie den kupfernen Geruch von Blut wahr, aber auch den nachwirkenden Gestank dämonischer Aktivität und das einzigartige, unbeschreibliche Odeur von einer Milliarde anderer Zauber.

Doch die Angreifer hatten auch herkömmliche Waffen verwendet; ihre scharfen Augen entdeckten Wunden in der Erde, die das Werk von Speeren waren. Einige Pfeile hatten sich bis zur Fiederung in den Boden gebohrt.

„Die niederen Rassen“, grollte Banagos. Ihr Herz schmerzte zu sehr, andernfalls hätte ihn Kirygosa für solch beleidigende Worte getadelt. Doch das änderte nichts an der Tatsache, dass er recht hatte, auch wenn es natürlich unmöglich schien, genau zu sagen, welche Rasse für dieses Blutbad verantwortlich war oder welchem Bündnis die Angreifer angehörten.

Kirygosa verwandelte sich in ihre menschliche Gestalt, und nachdem sie sich eine Locke langen blauschwarzen Haares hinter das Ohr gestrichen hatte, näherte sie sich respektvoll den Leichen ihrer gefallenen Schwarmbrüder. Fünf von ihnen waren einmal aufgebrochen, um die Fokussierende Iris zu schützen, und fünf waren bei dem Versuch gestorben, diese Aufgabe zu erfüllen. Der sanftmütige und weise Veragos, der älter als die anderen und der Anführer der Gruppe gewesen war. Rulagos und Rulagosa, Lebensgefährten, die in menschlicher Gestalt wie Zwillinge aussahen. Die beiden waren gemeinsam gestorben, dicht nebeneinander und in derselben Haltung, ihre Hälse von Pfeilen durchbohrt – im Tod waren sie sich ebenso ähnlich gewesen wie zuvor im Leben. Tränen füllten Kirygosas Augen, als sie sich umdrehte und zu Pelagosa hinabblickte. Man konnte sie nur noch anhand ihrer zierlichen Gestalt erkennen; Pelagosa hatte schon immer zu den Kleinsten des blauen Schwarms gehört, und obwohl sie noch jung gewesen war (nach den Maßstäben der Drachen zumindest), war sie im Umgang mit dem Arkanen weit über ihr Alter hinaus erfahren gewesen. Wer auch immer sie niedergestreckt haben mochte, er musste ebenfalls mit Magie gekämpft haben, denn sie war bis zur Unkenntlichkeit verbrannt.

Lurugos hatte vermutlich die meiste Gegenwehr geleistet, lag seine Leiche doch ein Stück abseits der anderen. Versengt, steif gefroren, teilweise unter dem Wasser am Strand verborgen, gespickt mit Pfeilen, die wie Stacheln aus seinen Schultern und Beinen ragten; doch er hatte nicht aufgegeben, und Kirygosa war überzeugt, dass sein Körper sogar dann noch ein oder zwei Herzschläge weitergekämpft hatte, als man ihm mit einem präzisen Hieb einer scharfen Waffe bereits den Kopf von den Schultern gehackt hatte.