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Eilig machten wir uns alle zusammen auf den Weg, denn wie gewöhnlich waren wir spät dran. Das intensive Licht der Morgendämmerung hatte sich in ungeheure Morgenhitze verwandelt. Amenmose saß auf meinen Schultern, klatschte in die Hände und johlte vor Aufregung. Ich schob mich durch die Menschenmassen, indem ich die Leute anschrie, uns Platz zu machen. Dabei schienen meine offiziellen Insignien der Medjai weniger hilfreich zu sein als Thots Brüllen; er half uns, eine Schneise durch den aufgeregten Pulk zu schlagen, in dem verschwitzte Leiber einander im Kampf um mehr Platz und Luft anrempelten und die engen Gassen und Wege verstopften, die sich in Richtung des Großen Flusses wanden. Die Musik von Saiteninstrumenten und Trompeten versuchte die Schreie, Gesänge und Rufe von Männern zu übertönen, die laut kommunizierten, entweder, um einander fröhlich zu begrüßen, oder aber, um einander heftig zu beschimpfen. Angebundene Affen brabbelten, und in Käfigen eingesperrte Vögel kreischten vor sich hin. Straßenverkäufer priesen grölend ihre Waren und ihre Imbisse an und pochten auf die perfekte Qualität ihres Angebots. Ein Wahnsinniger mit ausgemergeltem Gesicht suchte mit wildem Blick den Himmel ab und verkündete dabei das Kommen der Götter und das Ende der Welt. Ich liebte das Ganze genauso wie mein Sohn.

Die Mädchen liefen hinter uns, trugen ihre feinsten Gewänder, und ihre Haare glänzten und dufteten nach Behen- und Lotosöl. Tanefert bildete das Schlusslicht, um sicherzustellen, dass uns keiner verloren ging und auch keiner versuchte, uns zu nahe zu kommen. Meine Mädchen werden allmählich Frauen. Wie werde ich mich fühlen, wenn die drei Prachtstücke meines Lebens mich verlassen und ihr eigenes Leben führen? Ich habe jede von ihnen geliebt, bevor sie den ersten Atemzug auf dieser Welt tat und auf ihren Namen reagierte, indem sie laut losbrüllte. Als die Erkenntnis, dass sie mich verlassen werden, zu schmerzen begann, drehte ich mich nach ihnen um. Sekhmet, die Älteste, lächelte sanft; sie ist die Gelehrte in unserer Familie und behauptet, sie könne mich denken hören, was eine beängstigende Vorstellung ist, wenn man bedenkt, über welchen Blödsinn ich mir meist den Kopf zerbreche.

»Vater, wir sollten uns beeilen.«

Damit hatte sie recht, wie immer. Der Augenblick, da die Götter eintrafen, nahte.

Wir fanden Sitzplätze auf den offiziellen Tribünen im Schatten der Bäume am Fluss. Am gesamten Ostufer hatte man Opferstände und Schreine aufgestellt, und gewaltige Menschenmengen hatten sich eingefunden, die erwartungsvoll der Ankunft des Schiffes harrten. Ich nickte diversen Leuten zu, die ich kannte. Unter uns scheiterten junge Medjai kläglich an der Aufgabe, Ordnung in der Menge herzustellen, aber das war während des Festes immer schon so gewesen. Ich schaute mich um. Die Anzahl an Soldaten war erstaunlich hoch, aber Sicherheit ist heutzutage zur Besessenheit geworden.

Im nächsten Moment schrie Thuju auf und zeigte mit dem Finger auf das erste der Ruderboote, das im Norden in Sicht kam; zugleich erhaschten wir einen ersten Blick auf die Bootsschlepper, die sich am Ufer damit abplagten, die Große Barke des Gottes Amun, die Userhat, zu ziehen. Aus der Ferne war der berühmte und uralte schwimmende Tempel aus Gold nur ein Schimmer auf dem glitzernden Wasser. Doch als er näher kam und sich zum Ufer drehte, wurden die Widderköpfe an Bug und Heck deutlich sichtbar, und die gebündelte Pracht der Sonne schlug auf die glänzenden Sonnenscheiben darüber ein und sandte ein blendendes, funkelndes Licht über das breite grüne und braune Wasser, das blitzend in die Menschenmengen schoss. Die Mädchen schnappten nach Luft und standen auf, winkten und johlten. Am Fahnenmast des Schiffes und am Ruder im Heck flatterten bunte Flaggen. Und mitten auf der Barke stand der goldene Schrein mit dem verborgenen Gott, den man die kurze Strecke von der Anlegestelle zum Tempeleingang in feierlicher Prozession durch die Menge tragen würde.

Die Ruderer im Heck des Schiffes und die Schlepper am Ufer zogen die Barke gekonnt an den steinernen Pier. Jetzt konnten wir den Schutzfries der Kobras über dem Schrein erkennen, die Kronen auf den Köpfen der Widder und die goldenen Falken auf ihren Pfählen. Amenmose war völlig still, und das Mündchen stand ihm weit offen, so staunte er über dieses Bild aus einer anderen Welt. Im nächsten Moment wurde der Trageschrein des Gottes zu gewaltigem und ohrenbetäubendem Getöse, das dafür sorgte, dass mein Sohn sich ängstlich an mich presste, auf die Schultern der Priester gehoben. Sie hatten Mühe, das Gleichgewicht zu halten unter der Last von so viel purem Gold, und balancierten langsam und vorsichtig über den Anlegesteg auf dem Pier. Die Menschenmassen schoben und drückten sich gegen die Soldaten, die mit verschränkten Armen eine Absperrlinie bildeten. Würdenträger, Priester und Herrscher aus dem Ausland knieten nieder und entboten ihre Opfergaben.

Der Tempel lag nur ein kurzes Stück vom Flussufer entfernt. Auf dem Weg befand sich eine Stelle, an der der Schrein kurz haltmachen würde, damit der verborgene Gott Opfergaben entgegennehmen konnte, bevor man ihn über das offene Gelände zu den Toren des Tempels trug.

Wenn wir die Ankunft des Trageschreins gut sehen wollten, wurde es Zeit, dass wir uns in Bewegung setzten.

3

Wir schoben und drückten uns durch die Menschenmenge zu Nachts großartigem Stadthaus, das nördlich des Tempeleingangs und ganz in der Nähe der Straße der Sphingen steht. Hier befinden sich ausschließlich die Villen der reichsten und mächtigsten Familien der Stadt, und mein alter Freund Nacht gehört zu diesen Auserwählten, obwohl er als Mensch so ganz und gar nichts von dem Hochmut und der Arroganz der grotesken Figuren an sich hat, die das Gros unserer sogenannten Eliteschicht ausmachen. Einmal mehr fiel mir auf, welch heftige Verachtung ich für diese Leute empfand, und ich versuchte, mich auf die unvermeidlichen Demütigungen einzustimmen, die diese Party mit sich bringen würde.

Nacht stand in seinem feinsten Leinengewand an der großen Eingangstür, um seine vielen reichen und berühmten Gäste willkommen zu heißen. Sein Gesicht besticht mit feinen, markanten Zügen, die sich mit der Zeit stärker ausgeprägt haben, und mit ungewöhnlich gesprenkelten, topasfarbenen Augen, die das Leben und die Menschen so zu beobachten scheinen, als seien sie zwar ein faszinierender, aber in der Ferne stattfindender Festzug. Er ist der intelligenteste Mensch, der mir je begegnet ist, und intellektuelles Denken und rationales Hinterfragen der Geheimnisse der Welt bedeuten ihm alles. Er hat keine Lebensgefährtin und scheint auch keine zu brauchen, denn sein Leben ist ausgefüllt mit guter Gesellschaft und Dingen, für die er sich interessiert. Er hat seit jeher etwas von einem Habicht an sich, ganz so, als hocke er zwar hier auf Erden, sei aber jederzeit bereit, mit einem kurzen Aufflackern seines imposanten Verstands in den Himmel aufzusteigen. Ich weiß nicht genau, warum wir Freunde sind, doch er scheint meine Gesellschaft stets zu genießen. Und meine Familie liebt er von ganzem Herzen. Als er die Kinder erblickte, nahm sein Gesicht einen entzückten Ausdruck an. Sie vergöttern ihn nämlich. Er umarmte sie, küsste Tanefert – die ihn meines Erachtens etwas zu sehr vergöttert –, und dann schaffte er uns rasch in die Stille seines prächtigen Gartens voller ungewöhnlicher Pflanzen und Vögel.

»Lasst uns nach oben auf die Terrasse gehen«, sagte er und reichte jedem der Kinder spezielle Süßigkeiten, die es immer nur zum Fest gibt – wie ein gütiger Zauberer. »Ihr seid schon fast zu spät, und ich will nicht, dass ihr irgendetwas verpasst an diesem besonderen Tag.« Er nahm die begeisterte Nedjmet auf den Arm, und die beiden älteren Mädchen folgten ihnen artig über die breite Treppe nach oben auf seine ungewöhnlich weitläufige Dachterrasse. Im Gegensatz zu den meisten anderen Leuten, die das winzige bisschen Platz auf ihrem Dach dazu nutzen, Obst und Gemüse zum Trocknen auszulegen und Wäsche aufzuhängen, verfolgt Nacht auf seinem wesentlich größeren Areal sehr viel glamourösere Ambitionen: So beobachtet er dort beispielsweise die Bewegungen der Sterne am Nachthimmel, denn dieses Mysterium ist seine größte Passion. Und er nutzt den Platz für seine berühmten Feste, zu denen er Menschen aus allen Schichten einlädt. Heute tummelte sich hier eine große Gesellschaft, trank von seinem hervorragenden Wein, aß die fantastischen Speisen, die uns in Häppchen überall auf Tabletts auf Ständern erwarteten, und plauderte munter unter dem Schutz der wundervoll bestickten Sonnensegel und der Schirme, die von geduldigen, schwitzenden Dienern gehalten wurden.