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Bevor ich elegant verschwinden konnte, stellte er mich einer Gruppe von Männern mittleren Alters vor, die sich unter dem Sonnensegel miteinander unterhielten. Sie waren alle hochwertig gekleidet in Gewänder und Juwelen feinster Qualität. Jeder Einzelne von ihnen nahm mich neugierig in Augenschein wie ein auf merkwürdige Weise interessantes Objekt, das man zum Schnäppchenpreis unter Umständen kaufen würde.

»Das hier ist Rahotep, einer meiner ältesten Freunde. Er ist der Leiter der hiesigen Medjai-Abteilung, die auf Morde und ungelöste Fälle spezialisiert ist! Einige von uns sind der Ansicht, dass er Chef der thebanischen Medjai hätte werden sollen, als die Stelle das letzte Mal neu besetzt wurde.«

Ich bemühte mich, diese öffentliche Schmeichelei so ruhig wie möglich hinzunehmen, obwohl ich so was hasse – wie Nacht sehr wohl wusste.

»Wie Euch allen bekannt sein dürfte, ist mein lieber Freund berühmt für seine Redekunst. Damit kann er Lehm in Gold verwandeln.«

Sie nickten alle gleichzeitig und schienen entzückt über diesen Kommentar.

»Die Redekunst ist eine gefährliche Gabe. Sie manipuliert den Unterschied, man könnte auch sagen die Kluft, zwischen der Wahrheit und dem, was sich als solche ausgibt«, sagte ein kleiner dicker Mann. Sein Gesicht sah aus wie ein Kissen, auf dem jemand gesessen hatte, seine blauen Augen blickten ebenso verwundert drein wie die eines Babys, und er hielt einen Becher in der Hand, der bereits leer war.

»Und in unserer Zeit ist diese Kluft das Mittel geworden, mit dem Macht ausgeübt wird«, entgegnete Nacht.

Dem folgte ein leicht betretenes Schweigen.

»Meine Herren, diese Versammlung scheint ja geradezu subversiv zu sein«, erklärte ich, um das Ganze etwas aufzulockern.

»Aber war sie das denn nicht immer schon?«, meinte ein anderer. »Die Redekunst ist Überredungskunst, seit der Mensch das Sprechen lernte und anfing, seinen Feind davon zu überzeugen, dass er eigentlich sein Freund sei …«

Alle lachten sie leise vor sich hin.

»Wie wahr. Aber heute ist das ja alles sehr viel raffinierter geworden! Eje und seine Mannen verkaufen uns Worte, als seien sie die Wahrheit. Aber Worte sind heimtückisch, ihnen ist nicht zu trauen. Ich muss das wissen!«, erklärte der blauäugige Mann großspurig.

Einige begannen zu lachen, hoben ihre Hände und schwenkten drohend die eleganten Finger.

»Hor ist Dichter«, klärte Nacht mich auf.

»Dann seid Ihr also ein Meister der mehrdeutigen Worte. Ihr kennt ihre verborgene Bedeutung. Das ist heutzutage eine sehr nützliche Gabe«, sagte ich.

Verzückt johlend klatschte er in die Hände. Ich stellte fest, dass er angetrunken war.

»Stimmt, denn wir leben in Zeiten, in denen keiner mehr sagen darf, was er wirklich meint. Nacht, mein Freund, wo hast du diesen bemerkenswerten Menschen gefunden? Einen Medjai, der Poesie versteht! Was kommt als Nächstes? Tanzende Soldaten?«

Die Gruppe lachte noch lauter, entschlossen, den Ton leicht und locker zu halten.

»Ich bin überzeugt, dass es Rahotep nichts ausmachen wird, wenn ich euch verrate, dass er selbst Poesie geschrieben hat, als er noch jünger war«, erklärte Nacht, als wolle er damit die Haarrisse kitten, die sich allmählich in der Unterhaltung auftaten.

»Ungemein schlechte Poesie«, führte ich weiter aus. »Und es ist nichts davon für die Nachwelt erhalten.«

»Aber was ist denn passiert?«, fragte der Dichter besorgt. »Warum habt Ihr aufgegeben?«

»Ich weiß es nicht mehr. Ich schätze mal, die Realität hat Besitz von mir ergriffen.«

Belustigt und mit großen Augen wandte sich der Dichter an die anderen.

»›Die Realität hat Besitz von mir ergriffen‹, das ist ein guter Spruch, den borge ich mir möglicherweise.«

Die anderen nickten ihm nachsichtig zu.

»Seid vorsichtig, Rahotep, ich kenne diese Schriftsteller; die sagen zwar ›borgen‹, meinen damit aber ›stehlen‹. Bald werdet Ihr Eure Worte auf einer Schriftrolle mit neuen Versen wiederfinden, die überall die Runde machen«, warnte mich einer der Männer.

»Und wie ich Hor kenne, wird es sich bei dem Werk um eine bösartige kleine Satire handeln und nicht um ein Liebesgedicht«, meinte ein anderer.

»Von dem, was ich tue, gehört nur sehr wenig in ein Gedicht«, sagte ich.

»Und das, mein Freund, ist der Grund dafür, dass es interessant ist, denn andernfalls ist alles nur künstlich, und wie leicht ermüdet einen das Künstliche«, erwiderte der Dichter und hielt einer vorübereilenden Dienerin seinen leeren Becher hin. »Lass mich jeden Tag die Wahrheit schmecken«, sprach er weiter. Das Mädchen trat zu uns, schenkte uns nach, ging dann wieder und nahm ihr sanftes Lächeln und die Aufmerksamkeit vieler, aber nicht aller Männer mit. Ich dachte, wie wenig dieser Mann doch von der Realität wusste. Dann wurde die Unterhaltung fortgesetzt.

»Die Welt hat sich in den letzten Jahren ganz sicher enorm verändert«, meinte ein anderer der Männer.

»Und trotz der Fortschritte in unserer internationalen Vormachtstellung, trotz unserer großen neuen Bauwerke und trotz des Wohlstands, den viele von uns inzwischen genießen …«

»Bla, bla, bla«, höhnte der Dichter.

»… hat sich längst nicht alles zum Besseren gewendet«, pflichtete ein anderer ihm bei.

»Ich bin gegen Veränderungen«, tönte Hor. »Die werden überbewertet. Sie machen nichts besser.«

»Na komm«, rief Nacht. »Das ist eine absurde Ansicht, die widerspricht jeglicher Vernunft. Das ist lediglich ein Zeichen des Alters, denn wenn wir älter werden, glauben wir, die Welt würde schlechter, die Manieren würden nachlassen, die Standards von Moral und das Wissen würden untergraben und – …«

»Und die Politik wird mehr und mehr zu einer jämmerlichen Farce«, fiel der Dichter ihm ins Wort und leerte neuerlich seinen Becher.

»Mein Vater beschwert sich ständig über so was«, meinte ich, »und ich will dann mit ihm darüber streiten, stelle aber jedes Mal fest, dass ich das nicht kann.«

»Dann lasst uns wenigstens hier ehrlich miteinander sein. Das große Mysterium ist, dass wir in einer Zeit leben, in der wir von Männern regiert werden, deren Namen wir kaum kennen und die in Ämtern sitzen, die undurchschaubar bleiben, und der Führung eines alten Mannes unterstehen, eines Größenwahnsinnigen, der noch nicht einmal einen königlichen Namen trägt, seinen grausamen Schatten aber über die Welt geworfen zu haben scheint, solange ich mich zurückerinnern kann. Dank der ehrgeizigen Ambitionen des großen Generals Haremhab sind wir in einen langen und bislang fruchtlosen Krieg mit unseren uralten Feinden verwickelt, obwohl Diplomatie da sicher sehr viel mehr hätte ausrichten können und uns den endlosen Druck auf unsere Finanzen erspart hätte. Und was die beiden königlichen Kinder angeht, so sieht es ganz danach aus, als erlaube man ihnen nicht, jemals erwachsen zu werden und ihre rechtmäßigen Plätze im Herzen des Lebens der Beiden Länder einzunehmen. Wie konnte das passieren, und wie lange kann das noch so weitergehen?«

Hor hatte die unaussprechliche Wahrheit in Worte gekleidet. Wie es schien, hatte keiner den Mut, etwas darauf zu erwidern.

»Wenn wir uns selbst anschauen, müssen wir einräumen, dass es uns finanziell sehr gut geht und wir in unseren verschiedenen Bereichen gut vorankommen. Wir verfügen über Wohlstand und Arbeit, und wir besitzen elegante Häuser und haben Dienstboten. Für uns ist es vielleicht ein fairer Kompromiss. Ich kann mir aber vorstellen, dass Ihr eine ganz andere Seite des Lebens kennt, oder?« Dies fragte mich ein großgewachsener eleganter Herr, der sich mir mit einer kurzen Verbeugung als Nebi vorstellte und von Beruf Architekt war.

»Ja, vielleicht seht Ihr die schreckliche Realität der Dinge, von der wir, die wir ein so wohlbehütetes Leben in Wohlstand führen, verschont bleiben«, fügte der Dichter mit einem Anflug von Hochmut in der Stimme hinzu.