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«Pfingstrosen sind rätselhafte Pflanzen», sagte Miss Marple, als sie die Tafel aufhoben. «Entweder gedeihen sie – oder nicht. Aber wenn sie einmal eingewurzelt sind, begleiten sie dich praktisch durchs ganze Leben, und heutzutage gibt es wirklich die herrlichsten Arten.»

Sie machten es sich wieder am Kamin gemütlich, Miss Marple holte zwei alte Waterford-Gläser aus einem Eckschrank und zauberte aus einem anderen Schrank eine Flasche hervor.

«Du bekommst heute Abend keinen Kaffee, Elspeth», sagte sie. «Du bist überreizt (und wer wäre das nicht?) und liegst sonst die ganze Nacht wach. Ich verordne dir daher ein Glas von meinem Schlüsselblumenwein und später vielleicht noch ein Tässchen Kamillentee.»

Mrs. McGillicuddy fügte sich diesen Anordnungen, und Miss Marple schenkte den Wein ein.

«Jane», sagte Mrs. McGillicuddy, nachdem sie anerkennend daran genippt hatte, «du glaubst doch hoffentlich nicht, ich hätte alles bloß geträumt oder es mir eingebildet?»

«Beileibe nicht», sagte Miss Marple herzlich.

Mrs. McGillicuddy seufzte erleichtert auf.

«Der Schaffner hat mir nämlich kein Wort geglaubt», sagte sie. «Er war sehr höflich, aber trotzdem –»

«Ich fürchte, unter diesen Umständen kann man ihm das nicht verübeln, Elspeth. Es klingt wie – und war ja auch – eine äußerst unwahrscheinliche Geschichte. Und du warst ihm wildfremd. Nein, ich habe nicht den geringsten Zweifel daran, dass du alles so gesehen hast, wie du es schilderst. Es ist sehr außergewöhnlich – aber keineswegs unmöglich. Ich erinnere mich an meine eigene Faszination, als mal ein Zug neben meinem langfuhr, und wie lebhaft und nah alles war, was in den ein oder zwei Abteilen vor sich ging. Ich weiß noch, ein kleines Mädchen spielte mit einem Teddybär, und auf einmal bewarf sie damit einen dicken Mann, der in der Ecke saß und schlief, und er schreckte hoch und war ganz empört, und alle anderen Reisenden mussten schmunzeln. Ich sehe das alles heute noch vor mir und hätte hinterher genau beschreiben können, wie jeder Einzelne aussah und was er anhatte.»

Mrs. McGillicuddy nickte dankbar.

«Genau so war es.»

«Der Mann kehrte dir den Rücken zu, sagst du. Du hast sein Gesicht also nicht gesehen?»

«Nein.»

«Und die Frau? Kannst du die beschreiben? War sie jung oder alt?»

«Eher jung. Zwischen dreißig und fünfunddreißig, schätze ich. Genauer kann ich es nicht sagen.»

«Hübsch?»

«Auch das weiß ich nicht. Ihr Gesicht war ja ganz verzerrt und – »

Miss Marple unterbrach sie schnelclass="underline"

«Natürlich, das kann ich mir denken. Was hatte sie an?»

«Sie trug irgendeinen Pelzmantel, einen hellen Pelz. Keinen Hut. Und sie hatte blonde Haare.»

«Und du kannst dich an kein auffälliges Merkmal des Mannes erinnern?»

Mrs. McGillicuddy überlegte sorgfältig, bevor sie antwortete.

«Er war groß gewachsen – und dunkel, glaube ich. Er trug einen dicken Wintermantel, so dass ich seine Statur nicht recht beurteilen kann.» Niedergeschlagen fügte sie hinzu: «Eine große Hilfe ist das nicht gerade.»

«Es ist besser als nichts», sagte Miss Marple. Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: «Und du bist überzeugt davon, dass das Mädchen wirklich – tot war?»

«Ja, da bin ich ganz sicher. Ihre Zunge trat heraus und – ich möchte lieber nicht darüber sprechen…»

«Natürlich nicht, natürlich nicht», sagte Miss Marple hastig. «Morgen früh sind wir sicher klüger.»

«Morgen früh?»

«Es steht bestimmt in der Zeitung. Nach dem Angriff und der anschließenden Ermordung hatte der Mann eine Leiche am Hals. Was wird er getan haben? Wahrscheinlich hat er den Zug so schnell wie möglich verlassen – ach, hast du zufällig gesehen, ob es ein D-Zug-Wagen mit Seitengang war?»

«Nein, war es nicht.»

«Das deutet auf einen Nahverkehrszug hin. Der wird mit ziemlicher Sicherheit in Brackhampton gehalten haben. Nehmen wir an, der Mann steigt in Brackhampton aus, nachdem er die Leiche auf einen Eckplatz gelehnt und vielleicht noch den Pelzkragen hochgeschlagen hat, um ihr Gesicht zu verdecken. Ja – so könnte es gewesen sein. Trotzdem müsste die Leiche natürlich nach kurzer Zeit entdeckt worden sein – daher bin ich sicher, dass die Nachricht, man habe in einem Zug eine ermordete Frau entdeckt, morgen in der Zeitung stehen wird – wir werden sehen.»

II

Aber in der Morgenzeitung stand nichts.

Nachdem sich Miss Marple und Mrs. McGillicuddy davon überzeugt hatten, aßen sie schweigend ihr Frühstück. Beide dachten nach.

Nach dem Frühstück machten sie einen Rundgang durch den Garten. Sonst war das für beide ein fesselnder Zeitvertreib, aber heute waren sie nur mit halbem Herzen bei der Sache. Miss Marple wies zwar auf einige neue und seltene Pflanzen hin, die sie für ihren Steingarten erworben hatte, tat dies aber auf fast zerstreute Weise. Und Mrs. McGillicuddy konterte nicht mit einer Liste ihrer eigenen Neuerwerbungen in jüngster Zeit, wie es sonst ihre Art war.

«Der Garten ist nicht mehr, was er einmal war», sagte Miss Marple, immer noch geistesabwesend. «Dr. Haydock hat mir das Bücken oder Knien ausdrücklich untersagt – und was kann man ohne Bücken oder Knien schon erledigen? Gewiss, ich habe den alten Edwards – aber der ist so rechthaberisch. Und die ganzen Gelegenheitsarbeiter kommen nur auf dumme Gedanken, trinken eine Tasse Tee nach der anderen und rühren keinen Finger – kein Mensch weiß mehr, was echte Arbeit ist.»

«Wem sagst du das?», sagte Mrs. McGillicuddy. «Es ist mir zwar nicht direkt verboten, mich zu bücken, aber ehrlich gesagt, besonders nach dem Essen – und seit ich zugenommen habe» – sie sah an ihren üppigen Proportionen hinab – «bekomme ich davon immer Sodbrennen.»

Beide schwiegen, dann blieb Mrs. McGillicuddy stehen und baute sich vor ihrer Freundin auf.

«Nun?», fragte sie.

Es war nur ein geringfügiges Wörtchen, aber Mrs. McGillicuddys Betonung verlieh ihm eine Bedeutung, die Miss Marple genau verstand.

«Ich weiß», sagte sie.

Die beiden Damen sahen sich an.

«Ich glaube, wir sollten zur Polizeiwache hinuntergehen und Sergeant Cornish verständigen», sagte Miss Marple. «Er ist intelligent und geduldig, und wir kennen uns sehr gut. Ich glaube, er wird uns anhören und die Information an die zuständigen Stellen weiterleiten.»

Und so unterhielten sich Miss Marple und Mrs. McGillicuddy eine gute Dreiviertelstunde später mit einem aufgeweckten und ernsten Mann zwischen dreißig und vierzig, der sich aufmerksam anhörte, was sie zu sagen hatten.

Frank Cornish empfing Miss Marple zuvorkommend und sogar respektvoll. Er rückte den beiden Damen die Stühle zurecht und fragte: «Nun, was können wir für Sie tun, Miss Marple?»

«Ich möchte Sie bitten, sich die Geschichte meiner Freundin Mrs. McGillicuddy anzuhören», sagte Miss Marple.

Und Sergeant Cornish hatte zugehört. Nach dem Ende der Schilderung schwieg er einige Augenblicke.

Dann sagte er:

«Das ist ja eine ungeheuerliche Geschichte.» Während Mrs. McGillicuddys Darstellung hatte er sie unauffällig in Augenschein genommen.

Insgesamt war er angenehm überrascht. Eine vernünftige Frau, die einen Vorgang zusammenhängend wiedergeben konnte; soweit er bislang beurteilen konnte, keine Frau, die zur Hysterie neigte oder zu viel Phantasie hatte. Außerdem schien Miss Marple daran zu glauben, dass ihre Freundin die Ereignisse wahrheitsgetreu wiedergab, und er kannte Miss Marple nur zu gut. Jedermann in St. Mary Mead kannte Miss Marple; auf den ersten Blick verhuscht und flatterig, aber in Wirklichkeit mit allen Wassern gewaschen.