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Im Krieg verschlimmert sich das Deutschlandbild noch einmal ganz erheblich.

Der Historiker John Headlam-Morley „weist“ in Schriften zwischen 1915 und 1918 anhand der Geschichte nach, daß

„der hochorganisierte Militärstaat Deutschland Europa mit totalitärer Alleinherrschaft bedrohe, das britische Weltreich zerstören wolle und schon lange vor dem Kriege den Plan zur Erringung der

Alleinherrschaft gehabt habe.“ 23

Hier wird an den Universitäten offensichtlich nachvollzogen, was in der politischen Elite Englands schon seit Jahren durch die Köpfe geistert. Es ist die Saat für den späteren Alleinschuldvorwurf von Versailles 1919 und den Weltherr-schaftsvorwurf von Nürnberg 1945.

In England krallt man sich inzwischen längst an einem „Feindbild Deutschland“ fest. Eine Vielzahl hinterlassener Schriften gibt davon Zeugnis. So schreibt der englische Botschafter Sir Francis Bertie am 11. Juni 1904 an einen Freund:

„Dein Brief vom 2ten atmet Mißtrauen gegen Deutschland und Du hast Recht. Deutschland hat nie etwas anderes getan als uns zu schröpfen. Es 20 Messerschmidt, Seite 60

21 Die Westgoten unter Alarich greifen 401 n.Chr. die Römer in Oberitalien an und werden geschlagen.

22 Messerschmidt, Seite 84

23 Messerschmidt, Seite 91

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ist falsch und habgierig. Deutschland ist in Wirklichkeit unser wirtschaftlicher und politischer Feind.“ 24

Der Unterstaatssekretär im Londoner Außenministerium Sir Charles Hardinge schreibt in einer Denkschrift vom 30. Oktober 1906:

„Man muß ganz allgemein zur Kenntnis nehmen, daß Deutschland infolge seiner ehrgeizigen Pläne für eine Weltpolitik, eine maritime Vorherrschaft und eine militärische Vorherrschaft in Europa der einzige Störfaktor ist.“ 25

Auch im Ausland wird die wachsende Feindschaft der Briten gegenüber ihren deutschen Vettern registriert. Der amerikanische Generalkonsul in München Gaffney notiert in Rückschau auf seine Aufenthalte in Großbritannien vor dem Ersten Weltkrieg:

„Bei meinen jährlichen Besuchen stellte ich erstaunt und amüsiert fest, wie die Feindschaft gegen Deutschland wuchs. Meine englischen Freunde zögerten nicht, mir mit völliger Offenheit und der üblichen englischen Anmaßung zu erklären, daß es nötig sei, Deutschland zu zerstören oder Großbritannien würde seine wirtschaftliche Vormachtstellung auf den Weltmärkten verlieren.“ 26

In der Biographie des ehemaligen US-Diplomaten Henry White ist ein Gespräch zwischen White und dem Führer der Konservativen Partei Englands und vorma-ligen Premierminister Lord Balfour überliefert, das beide im Jahre 1910 in London führten. Der Amerikaner White sieht Deutschland zu der Zeit offensichtlich in der gleichen Rolle eines aufstrebenden Landes wie die USA. Auch sein Land Amerika expandiert in Flottenbau und Handel.

Balfour: „ Wir sind wahrscheinlich töricht, daß wir keinen Grund finden, um Deutschland den Krieg zu erklären, ehe es zu viele Schiffe baut und uns unseren Handel wegnimmt.“

White: „Sie sind im Privatleben ein hochherziger Mann. Wie können Sie etwas politisch so Unmoralisches erwägen, wie einen Krieg gegen eine harmlose Nation zu provozieren, die genauso gut wie Sie das Recht hat, eine Flotte zu unterhalten? Wenn Sie mit dem deutschen Handel mithalten wollen, arbeiten Sie härter.“

Balfour: „Das würde bedeuten, daß wir unseren Lebensstandard senken müßten. Vielleicht wäre ein Krieg einfacher für uns.“

White: „Ich bin schockiert, daß Sie sich zu grundsätzlichen Fragen so äußern können.“

Balfour: „ Ist das eine Frage von Recht oder Unrecht? Vielleicht ist das aber eine Frage der Erhaltung unserer Vorherrschaft.“ 27

24 MGFA, Marine, Seite 267

25 MGFA, Marine, Seite 268

26 Gaffney, Seite 11

27 Nevis, Seite 257

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Am 19. April 1911 warnt der Stellvertreter des Unterstaatssekretärs Hardinge, Sir Arthur Nicolson, seinen Chef in einem Brief, sich außenpolitisch von Ruß-

land ab und Deutschland zuzuwenden:

„Es ist unmöglich, die Anhänger einer solchen Politik davon zu überzeugen, daß Deutschland keine Freundschaft auf gleicher Augenhöhe eingehen will. Wir werden uns in nicht allzu weiter Zukunft gezwungen sehen, uns in jeder neuen Frage nach deutschen Wünschen zu richten.“ 28

Gemessen an den Zielen deutscher Außenpolitik ist das Verfolgungswahn. Das Ziel Berliner Außenpolitik mit London vor dem Ersten Weltkrieg ist genau jene

„Freundschaft auf gleicher Augenhöhe“. Ansonsten versucht Berlin, den Ring der antideutschen Allianzen zu durchbrechen, den Frankreich, Rußland und Großbritannien zwischen 1904 und 1907 geschlossen haben. Daneben sind die Ziele deutscher Außenpolitik, dort Handelsrechte, Bergbau- und Erdölförderkonzessionen und Kolonien zu erwerben, wo dieses ohne Kriege möglich ist.

Auch das steht störend zwischen Großbritannien und Deutschland.

Die Marokkokrisen

Englands klare Position an Frankreichs Seite zeigt sich 1904 und 1911 in den sogenannten zwei Marokkokrisen. In beiden geht es darum, daß Paris versucht, seinen Einfluß auf Marokko auszudehnen, und daß es dabei einen Vertrag von 1880

bricht, in dem die Souveränitätsrechte des Sultans von Marokko und deutsche Handelskonzessionen festgeschrieben worden waren. Die Zweite Marokkokrise von 1911 – drei Jahre vor dem Ersten Weltkrieg – geht mit dem „Panthersprung“ in die Geschichte ein. Der Vorfall zeigt, daß Großbritannien schon jetzt bereit und willens ist, selbst um eine Nichtigkeit wie diese in einen Krieg mit Deutschland einzutreten. 1911 nimmt Paris den zweiten Anlauf innerhalb nur weniger Jahre, Marokko in sein Kolonialreich einzugliedern. Das Auswärtige Amt in Berlin, aus Angst, den deutschen Handel und die Bergbaukonzessionen in Marokko zu verlieren, weist ein deutsches Kriegsschiff namens Panther an, den Hafen von Agadir außerhalb der französischen Besatzungszone anzulaufen und dort zur Wahrung deutscher Interessen „Flagge“ zu zeigen. Die „Panther“, ein kleines Mehrzweckschiff zum Fluß- und Küstendienst in deutschen Kolonien, ist zu der Zeit reif zur Überholung und deshalb auf dem Rückweg von Westafrika zur Werft in Deutschland29. Es läuft Kurs Casablanca, um dort Kohlen für die Weiterfahrt zu bunkern, wird aber vorher umgeleitet. So legt die Panther fast ohne Treibstoff und reif für die Instandsetzung am 1. Juli 1911 in Agadir im Hafen an. Die englische Regierung bewertet das sogleich als gewaltsame Demonstration deutscher Macht in Übersee und unterstellt der Reichsregierung, sie wolle einen deutschen Kriegshafen in Agadir anlegen lassen. Die britische Regierung fordert die deutsche zur Stellungnahme auf, doch ehe diese eingeht, bezieht sie selber Stellung.

28 MGFA, Marine, Seite 268

29 Hildebrandt, Seiten 213 f

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Ein Teil der Royal Navy wird mobil gemacht, der Kohlevorrat für die Schiffe der Marine wird ergänzt, und Schatzkanzler Lloyd George erklärt am 21. Juli im Namen der englischen Regierung, „daß sein Land im Falle einer deutschen Herausforderung an der Seite Frankreichs in den Krieg ziehen werde“.

Frankreich hat das Pulverfaß geliefert, England schwenkt die Lunte und Deutschland steht als Sünder da.

Die Regierungen in London und Paris hatten sich offensichtlich 1904 bereits oh-ne Wissen der Regierung in Berlin darauf verständigt, daß Marokko französisches Interessengebiet sei und daß England dafür freie Hand in Ägypten und Sudan bekomme. Da stören deutscher Handel und deutsche Bergbaurechte in Marokko. Doch ein Streit zwischen den Franzosen und den Deutschen um ein paar deutsche Rechte in Marokko und das Erscheinen eines kleinen Kolonial-dienstschiffes sind an sich kein Grund, mit Krieg zu drohen. Es geht England erneut darum, Frankreich als Gegenkraft zu Deutschland stark zu machen und es geht um die ernst gemeinte Warnung, der deutschen Konkurrenz bei weiterer Rührigkeit mit Krieg ein Ende zu bereiten.