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4. Aufhetzende Radiopropaganda einzustellen.

Bitte unterrichten Sie Außenminister Beck, daß die britische Regierung bestrebt ist, Hitler jeden Vorwand zu nehmen, zu übertriebenen Maß-

nahmen zu greifen.“ 340

Das Telegramm ist angesichts der so oft von Kennard bestrittenen polnischen Übergriffe gegen Angehörige der deutschen Minderheit in Polen ein bemerkenswertes Dokument.

Nachdem dieser Punkt abgehandelt ist, interpretiert Dahlems vor Chamberlain und Halifax noch einmal die Einzelheiten der Hitler-Antwortnote mit allen Er-läuterungen, die ihm Göring mit auf den Weg gegeben hat. Er vergißt nicht zu er-wähnen, daß der deutsche Kanzler angekündigt hat, ein „großzügiges Angebot“ für Polen vorzulegen. Hier entschlüpft Chamberlain eine Bemerkung, die nur schwer nachvollziehbar ist, auch wenn sein Mißtrauen gegen Hitler seit der Tschechei sehr wohl begründet ist. Der englische Premier sagt zu Dahlems, er hege den Verdacht, daß die Hitler-Antwort mit den sechs Punkten und der neue Vorschlag für die Polen „eine Finte sei, um Zeit zu gewinnen.341 Bisher ist es 338 Amtssitz des engl. Premierministers

339 Dahlems, Seite 101

340 British War Bluebook, Document 85

341 Dahlems, Seite 102

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Vorwurf von Chamberlain und Halifax gewesen, daß Hitler die Polen unter Zeitdruck setzt. Nun soll er selbst versuchen, Zeit zu schinden. Das paßt nicht zueinander. Man kann hier nur vermuten, daß Chamberlain seine eigentliche Be-fürchtung an diesem 30. August versehentlich entschlüpft, daß Hitler so lange warten könnte, bis Polen einen Krieg auslöst. Dann stünde England völkerrechtlich außen vor und hätte keine Legitimation, in einen Krieg mit Deutschland einzutreten. Daß ein Gedanke dieser Art bei Chamberlain nicht aus der Luft gegriffen wäre, zeigt der letzte Schritt der Polen. Sie haben gegen Englands Rat mobilgemacht.

Um 12.40 Uhr informiert Göring telefonisch aus der Reichskanzlei Dahlerus, der noch immer mit den Briten konferiert. Göring kündigt an, daß Hitler höchstwahrscheinlich ein Plebiszit für die Bevölkerung im Korridor vorschlägt, so daß die selbst entscheiden kann, ob ihr Gebiet nun polnisch oder deutsch sein soll.

Des weiteren teilt Göring mit, daß ein Auswanderungsrecht für die Minderheiten vereinbart werden soll, die nach der Ziehung neuer Grenzen auch weiter außerhalb des eigenen Volks verbleibt.342 Göring und Dahlerus bemühen sich vergeblich, die Briten als „Vermittler“ anzustoßen, die Polen mit Hilfe dieser Vorschläge zum Verhandeln zu bewegen. Chamberlain entläßt Dahlerus ohne weitere Botschaft an Hitler, von Ribbentrop oder Göring, und der schwedische Vermittler fliegt nach Berlin zurück.

Dort ist mittags der neue Vorschlag für die polnische Regierung fertig. Hitler hat die früheren deutschen Wünsche aus der Zeit seiner demokratischen Vorgängerregierungen weit zurückgefahren. Ost-Oberschlesien und die Provinz Posen sind endgültig abgeschrieben. Auch in Bezug auf Westpreußen und den Korridor hat er die Forderungen, die er noch vor vier Tagen gegenüber Henderson geäußert hat, wieder reduziert. Hitler will offensichtlich die Briten mit einem sehr moderaten Vorschlag überzeugen, so daß die guten Gewissens die Polen drängen können. Dennoch, der neue Vorschlag verlangt mehr für Deutschland als der von Polen ausgeschlagene März-Vorschlag Hitlers. Die Auflistung der deutschen Wünsche und Angebote umfaßt 16 Punkte.343 Dazu gehören:

● Danzig kehrt heim ins Reich.

● Im nördlichen Korridor soll die Bevölkerung in einer Abstimmung selbst entscheiden, ob das Gebiet polnisch oder deutsch wird.

● Die Hafenstadt Gdingen bleibt dabei auf jeden Fall polnisch.

● Je nach Abstimmungsergebnis im Korridor erhält entweder Deutschland exterritoriale Verkehrswege nach Ostpreußen oder Polen exterritoriale Verkehrswege nach Gdingen.

342 Documents Brit. Foreign Policy, Third Series, Volume VII, Document 519

343 ADAP, Serie D, Band VII, Dokument 458

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Karte 35: Die deutschen Vorschläge vom 30. August 1939

(wie Karte 33)

● Die in Danzig für Polen gewünschten Sonderrechte werden ausgehandelt und Deutschland gleiche Rechte in Gdingen zugestanden.

● Die Beschwerden der deutschen Minderheit in Polen und die der polnischen Minderheit in Deutschland werden einer internationalen Kommission unterbreitet und von dieser untersucht. Beide Nationen zahlen Entschädigungen an betroffene Geschädigte nach Maßgabe der Kommission.

● Im Falle einer Vereinbarung nach diesen Vorschlägen demobilisieren Polen und Deutschland sofort ihre Streitkräfte.

Der Vertragsvorschlag ist so ausgelegt, daß er sowohl die unglückliche, in Versailles verfügte Abtrennung Ostpreußens vom Deutschen Reich beendet, als auch den freien Zugang Polens zur Ostsee sicherstellt. Außerdem wahrt er das Selbstbestimmungsrecht der betroffenen polnischen, kaschubischen und deutschen 491

Bevölkerungsanteile in einer zeitgemäßen Weise. Aber so neuzeitlich und demokratisch die vorgeschlagene Regelung auch ist, für den Vielvölkerstaat Polen mit seinen nicht integrierten Minderheiten birgt er eine ungeheure Sprengkraft. Die ukrainische, die weißrussische und die tschechische Minderheit könnten dem deutschen Beispiel später folgen und das von ihnen ungeliebte Polen ebenfalls mit regionalen Volksabstimmungen verlassen wollen.

Der 30. August, der Mittwoch vor dem Kriegsausbruch, vergeht, ohne daß ein polnischer Unterhändler in Berlin erscheint, um den neuen Verhandlungsvorschlag Hitlers in Empfang zu nehmen. Im Auswärtigen Amt und bei den Soldaten der inzwischen voll aufmarschierten Wehrmacht steigen Spannung und Nervosität. Man ist sich selbst in Hitlers nächster Umgebung nicht klar darüber, ob der „Führer“ Krieg will oder Erfolg auf dem Verhandlungsweg. So hängt an diesem Tage alles an dem nächsten Schritt der Polen. Hitler gibt sich gegenüber Polen skeptisch. Für ihn steht jetzt nicht nur Danzig auf dem Spiel, sondern vor allem sein ersehnter Pakt mit England. Und er weiß, daß er in dieser Hinsicht in der Hand der Polen steckt. Göring sieht alles etwas optimistischer. Er glaubt an eine faire Vermittlungstätigkeit der Briten. Schließlich hat er Dahlems die Botschaft mit nach London auf den Weg gegeben, daß der „Führer“ ein großzügiges Angebot an Polen vorbereitet.344

Anstelle eines polnischen Unterhändlers trifft um 17.30 Uhr die Nachricht aus der deutschen Botschaft in Warschau ein, daß seit heute morgen in ganz Polen die Generalmobilmachung öffentlich bekanntgegeben wird.345 Als auch am Nachmittag noch niemand aus Warschau angekündigt wird, und Hitlers Hoffnung schwindet, bestellt er General von Brauchitsch, den Oberbefehlshaber des Heeres, und General Keitel, den Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, in die Reichskanzlei und verschiebt den bisher auf den 31. August festgelegten Beginn des Angriffs gegen Polen noch einmal um 24 Stunden.346 Neuer X-Tag ist nun der 1. September, Angriffszeit ist 4.45 Uhr. Hitler räumt sich damit selber eine weitere Chance ein, ohne Blutvergießen zum Erfolg zu kommen. Für ihn ist ein Krieg, zwei Tage bevor er ihn eröffnet, offensichtlich noch immer nur der schlechtere von zwei Lösungswegen.

In Warschau ist die polnische Regierung derweil nach wie vor der Überzeugung, daß Hitler blufft und selber in der Klemme steckt.347 Man hält die letzte Drohung Hitlers, am 26. August in Polen einzumarschieren, nachträglich für ein mißglücktes Einschüchterungsmanöver, dem nun ein zweites folgen wird. Außenminister Beck glaubt, man müsse das nur mit guten Nerven aussitzen. Gerüchte über einen bevorstehenden Aufstand der Wehrmachtsgenerale und die Gewißheit der 344 Dahlerus, Seite 102

345 AA 1939 Nr. 1, Dokument 13

346 v. Below, Seite 191

347 Rassinier, Seite 292

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englischen und französischen Waffenhilfe unterstützen Beck in seinem Glauben.