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● Deutschland über Polen herfällt,

● Rußland sich die Hälfte Polens raubt,

● Polen dabei nur das Opfer ist,

● Frankreich und England dem bedrängen Polen helfen

● und die Vereinigten Staaten von Amerika zu guter letzt die Helfer unterstützen und retten.

Doch schon das Bild darunter zeigt den Streit um Danzig, um die Korridorpassage und um das Schicksal der drangsalierten Minderheiten im neuen Staate Polen. Es läßt erkennen, wie Amerikaner, Briten und Franzosen dieses Problem in Versailles erzeugen und die daraus entstehende Kriegsgefahr billigend in Kauf nehmen. Es zeigt die Polen, die als die Erben des Problems ihren nationalen Stolz darauf verwenden zu verhindern, daß der Streit im Einvernehmen und in Frieden mit dem Deutschen Reich beseitigt werden kann. Und es zeigt ein Deutschland, das dieses Einvernehmen sucht und nicht erreicht und zum Schluß den Krieg eröffnet. Aus den unteren Schichten schimmern die vielen und langen Lebensläufe alle jener Völker durch, die 1939 und danach im Zweiten Weltkrieg aufeinanderprallen.

So wie Asher ben Nathan sagt: „Entscheidend ist, was den ersten Schüssen vorausgegangen ist“, so ist auch hier entscheidend, welches Volk und welcher Politiker vor Kriegsausbruch und bis hinein in die noch immer nachhallende Geschichte zu den Ursachen des Zweiten Weltkriegs beigetragen hat. Jedes Volk und jeder Politiker, der hier etwas verursacht hat, trägt seinen Teil der Schuld am Zweiten Weltkrieg.

Eine Schlüsselrolle im Ersten und im Zweiten Weltkrieg auf der Gegenseite Deutschlands nehmen Großbritannien und Frankreich ein.

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Englands Beitrag zum Kriegsausbruch

Englands Sicherheit und Reichtum beruht über drei Jahrhunderte lang darauf, daß es seinen Nahrungsmittel-, Rohstoff- und Finanzbedarf aus fernen Kolonien und dem Handel zwischen ihnen sicherstellt, und daß es bei Bedarf die Menschen und die Truppen aus den Kolonien zu seinem eigenen Nutzen einsetzt.

Um die Sicherheit und diesen Reichtum präventiv zu schützen, treten englische Regierungen seit jeher jeder fremden Macht schon dann entgegen, wenn ihnen der Verdacht kommt, daß sich die fremde Macht für England auf dem Meer und in Europa zur Konkurrenz und zur Gefahr entwickelt.

Nachdem Frankreich 1898 durch Großbritannien als Rivale ausgeschaltet worden ist1, und Rußland 1905 durch Japan aus dem Feld geschlagen2, rückt nun das kaiserliche Deutschland mit seinem Wirtschaftswunder, mit dem Flottenbauprogramm und seinen ersten Kolonien in eine Position auf, die man in England für gefährlich hält. Obwohl Deutschland nichts von England fordert – weder Land noch Menschen – trägt ihm der eigene Aufstieg die Gegnerschaft der Briten ein.

Vom Boykottvermerk des „Made in Germany“ von 1887 über die Mobilmachung der englischen Flotte wegen eines einzigen kleinen deutschen Kriegsschiffs, das 1911 in Agadir auf Reede geht und „Flagge zeigt“, bis hin zum Schulterschluß mit Frankreich gegen Deutschland, ist Englands präventive Abwehrhaltung konsequent. Doch 1914 verleitet diese präventive Haltung England, die Gelegenheit zum Krieg mit Deutschland zu ergreifen. Die deutsche Bitte an Großbritannien und Frankreich, bei einem Krieg im Osten zwischen Serben, Russen, Habsbur-gern und Deutschen im Westen Frieden zu bewahren, schlägt England ebenso wie Frankreich aus. Selbst das Angebot der Schonung Belgiens kann England nicht dazu bewegen, sich aus dem Krieg herauszuhalten.

Der Erste Weltkrieg, der dem folgt, bringt England zunächst reiche Ernte. Es erwirbt die Herrschaft über Deutschlands Kolonien und die deutschen Erdölkonzessionen im Irak. Die deutsche Flotte wird zerschlagen. Das Deutsche Reich muß 92 Jahre lang Reparationen an die Siegerstaaten zahlen und Deutschlands Stärke ist für eine lange Zeit gebrochen.

Die englische Begleitmusik ist für die Deutschen genauso bitter wie die Niederlage im Ersten Weltkrieg selbst. Großbritannien vertritt im Rat der Siegerstaaten wie alle seine Alliierten die Behauptung, Österreich und Deutschland hätten den vergangenen Krieg allein verursacht. Es wirft den Deutschen vor, unfähig zu sein, Kolonien zu verwalten. Es gibt vor, den Krieg für Demokratie, Menschenrechte und das Selbstbestimmungsrecht der Völker geführt zu haben, und es setzt zusammen mit den anderen Siegern durch, daß Deutschland und Österreich ihre 1 Im Juli 1898 droht England Frankreich mit Krieg und zwingt es, eine Militär- und Forschungsexpedi-tion aus Faschoda im Sudan abzuziehen.

2 1905 verliert Rußland mit der Seeschlacht von Tsushima einen Krieg gegen Japan.

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Monarchien abschaffen. Dies Paket von Anschuldigungen und Ansprüchen ver-festigt das Klischee bei vielen Deutschen, die Briten seien perfide und verlogen.

Schließlich, während 1919 britische Politiker den Deutschen Unfähigkeit zur Kolonialherrschaft vorwerfen, schießen britische Soldaten in Amritsar indische Demonstranten nieder. Diese besondere „Fähigkeit“ der Engländer zur Kolonialherrschaft kostet 450 Indern an einem Tag ihr Leben3. Englands Anspruch, das Selbstbestimmungsrecht der Völker zu vertreten, findet in Irland, Kenia, Ägypten, Indien, Burma und andernorts auf dieser Erde seine offenbare Widerlegung.

Und Englands Erklärung, für die Demokratie zu kämpfen und seine Forderung, den deutschen Kaiser und die Fürsten abzusetzen, wirkt für ein Land, das das

„gleiche“ Wahlrecht knapp 50 Jahre nach dem Deutschen Reich einführt und das sich selbst von Fürsten, Herzögen und Königen regieren läßt, absurd. So werden

„die Engländer“ nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland nicht als fair, gerecht und friedensliebend angesehen, so wie sie selber gern gesehen werden möchten.

Gleich mit dem „Friedensschluß“ von 1919 leistet England seinen ersten verhängnisvollen Beitrag dazu, daß dem Frieden bald der nächste Krieg folgt. Die britische Regierung im Verein mit den anderen alliierten Siegermächten konstruiert eine neue Variante ihrer balance of power für Europa, die auf einem auf Dauer angelegten Konflikt zwischen Deutschland, der Tschechoslowakei und Polen aufbaut. Die in Versailles vorgenommene Eingliederung des Siedlungsraumes von fast fünf Millionen Deutschen in die neugeschaffenen Staaten der Polen und der Tschechen und Slowaken und die Danzig-Pomerellen-Konstruktion sind dazu angelegt, die Deutschen, die Tschechen und die Polen „miteinander zu beschäftigen“ und sie im Streit zu halten. Besonders Danzig als Kind von drei geschie-denen Elternteilen, Deutschland, Polen und dem Völkerbund mußte irgendwann zu Konflikten und Veränderungen führen. Neue Kriege sind damit seit Versailles abzusehen. Man hat das in England auch erkannt. Die britischen Regierungen seit 1920 haben diese Kriegsgefahr als Begleiterscheinung ihrer balance of power billigend in Kauf genommen, wenn nicht sogar bewußt erhalten.

Es folgt die Nachkriegszeit, in der Englands Außenpolitik von Landgewinnung auf Bestandserhaltung einschwenkt. Die Sicherung von Eroberungsgewinnen ist nur möglich, wenn die Status-quo-Erhaltung von nun an völkerrechtlich Anerkennung findet und Eroberungen, wie die britischen der letzten zwanzig Jahre im Sudan, in Oranje und Transvaal4, in Zukunft international geächtet werden.

Folglich tritt England fortan für den Frieden in der Welt ein, auch wenn es in den 20er Jahren selbst noch da und dort in China, Rußland und Ägypten weiter militärisch eingreift.

Mit seiner Politik des Status-quo versäumt es England allerdings, die in Versailles und Saint-Germain geschaffenen Störfaktoren selber aus der Welt zu schaf-3 Kulturfahrplan, Seite 1036

4 Oranje und Transvaal sind heute Landesteile der Republik Südafrika.

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fen. So lassen die Briten die Memel-Frage schleifen, das Danzig-Korridor-Problem bestehen und die Rüstungsfragen ungelöst. Sie ignorieren die Minderheiten-Nöte in Polen, in Frankreich und in der Tschechoslowakei. Sie nehmen Österreichs Anschlußwillen nicht zur Kenntnis, und sie tolerieren Frankreichs Anspruch, daß Deutschlands Grenze dorthin auf Dauer ungeschützt bleibt. Als Deutschland unter Hitler ab 1936 anfangt, die aufgezählten Fragen eine nach der anderen selbst zu lösen, gerät Europa jedes Mal fast an den Rand des Krieges, und England verliert Stück um Stück an Selbstachtung und Gesicht. Schon 1933