Выбрать главу

In den folgenden Oktoberwochen erfahren Heeresleitung und Regierung aus vielen Presse- und Agentenmeldungen, wie weit die Auffassungen der Briten, Amerikaner und Franzosen über einen Waffenstillstand und den Frieden ausein-andergehen. Briten und Franzosen wollen zunächst noch Belgien erobern, doch 70 Note der US-Regierung vom 8. Oktober 1918: PAAA Geheime Akten Krieg 1914, R 21872, Blätter 35 und 36

71 PAAA, R 21872, Blätter 164 und 165, Note vom 12. Oktober 1918

72 Noten vom 14. Oktober, 20. Oktober, 23. und 27. Oktober 1918. Siehe Vertrags-Ploetz, Seiten 32-35

73 Vertrags-Ploetz, Seite 34

60

da sperren sich die Belgier und Amerikaner. Die Franzosen sind darauf erpicht, als Sieger im Elsaß und in Lothringen einzumarschieren, um beide Landesteile nicht im Zuge einer Friedensregelung dank der alliierten Waffenhilfe zu bekommen. Das verhindern Engländer und Amerikaner. Die Franzosen wollen außerdem die Selbstentwaffnung der deutschen Truppen nutzen, um Deutschland mit ihren Truppen zu besetzen74. In den USA sind zudem am 5. Oktober noch Wahlen zum Kongreß. Die Gegner Wilsons lehnen dessen Verhandlungsführung mit den Deutschen ab und wollen die 14 Punkte bei einem Wahlsieg annullieren.

Um die Deutschen zu beruhigen und auch weiterhin zu einem Frieden zu bewegen, schiebt Wilson am 5. November 1918 folgende Erklärung nach:

„Die alliierten Regierungen ... erklären ihre Bereitschaft zum Friedensschluß mit der deutschen Regierung aufgrund der Friedensbedingungen, die in der Ansprache des Präsidenten an den Kongreß vom 8. Januar 1918

niedergelegt sind.“75

Damit hat Wilson vorgetäuscht, auch die Regierungen Englands und Frankreichs hätten seine 14 Punkte akzeptiert.

Wilson sagt also am 5. November 1918, vier Tage vor Beginn der offiziellen Waffenstillstandsverhandlungen, expressis verbis zu, daß die Alliierten auf der Basis der 14 Punkte Frieden schließen wollen. Das kommt völkerrechtlich einem Friedensvorvertrag gleich, der nun durch einen endgültigen Vertrag in Form gegossen werden müßte. Am 9. November 1918 beginnen die

Waffenstillstandsverhandlungen im Wald von Compiégne nordöstlich von Paris.

Verhandlungsführer auf Seiten der Entente ist nun der Franzose Marschall Foch und nicht mehr der Amerikaner Wilson.

Inzwischen sind auch die Österreicher, die Ungarn, die Türken und die Bulgaren einen Waffenstillstand mit den Siegern eingegangen, und in Berlin beginnt die Revolution. So ist die Verhandlungsposition der Deutschen denkbar schlecht geworden. Die Delegierten der Entente halten sich nicht an Wilsons 14 Punkte und legen neue Forderungen nach. Die deutsche Delegation kann jetzt nicht mehr damit drohen, die Kämpfe wieder aufzunehmen. So bleibt ihr nur übrig, die er-weiterten Forderungen der Gegner für einen Waffenstillstand von 36 Tage hinzunehmen. Die wichtigsten der Forderungen sind:

1. die Räumung der besetzten Gebiete binnen 15 Tagen,

2. die Räumung Deutschlands westlich des Rheins mit zusätzlichen Brückenköpfen auf dem Ostufer bei Mainz, Koblenz und Köln,

3. die einseitige Freilassung der Kriegsgefangenen,

4. die Annullierung der vorausgegangenen Friedensschlüsse mit den besiegten Staaten Rußland und Rumänien,

74 PAAA, Geheime Akten Krieg 1914, R 21882

75 PAAA, Geheime Akten Krieg 1914, R 21882, Blatt 185

61

5. die Ablieferung von großen Mengen von Eisenbahnzügen, Lastwagen und Kriegsmaterial und

6. die Internierung der deutschen Hochseeflotte im Seegebiet vor Scapa Flow nördlich Schottland.76

Mit der Annahme dieser Bedingungen am 11. November 1918 hat Deutschland seine Waffen und Druckmittel aus der Hand gegeben. So ist es bei den nun anstehenden Friedensverhandlungen nicht mehr verhandlungsfähig. Es ist den Siegern ausgeliefert und kann das 14-Punkte-Friedensangebot von Wilson nicht mehr geltend machen. Die Begrenzung des Waffenstillstands auf nur 36 Tage bedeutet außerdem, daß die Sieger zu jeder Verlängerung der Waffenruhe neue Forderungen stellen können.

Am 18. Januar 1919 beginnt die sogenannte Friedenskonferenz von Versailles bei Paris. Hier beraten allein die Außenminister der 27 Siegerstaaten. Den Vorsitz führt der französische Ministerpräsident Clemenceau. Die „gewählten Volksvertreter“ Deutschlands werden trotz des Wilson-Briefes vom 23. Oktober nicht zu den Gesprächen zugelassen. Grundlage der Versailler Beratungen sind auch nicht

– wie zunächst von deutscher Seite angenommen – die 14 Punkte Wilsons. Die Sieger unter sich verhandeln einzig und allein über ihre Kriegsziele, also über die Verteilung ihrer Beute. Deutschland muß dabei schwer bluten. Größere als die im Versailler Vertrag verlangten Opfer bleiben Deutschland dabei nur erspart, weil England einen zu großen Machtzuwachs Frankreichs zu verhindern weiß und weil US-Präsident Wilson die Gier der anderen Sieger bremst. Im April 1919 droht die Versailler Siegerkonferenz sogar daran zu scheitern.

Marschall Foch verlangt die Gründung eines von Deutschland abgetrennten Rheinstaats. Er fordert, daß die Sieger diesen Staat auf Dauer mit einer internationalen Armee besetzen, zu der die USA ein Kontingent von 100.000

Soldaten stellen sollen77. Wilson geht die Flut der Forderungen aus Paris zu weit, er verläßt die Konferenz, reist in die USA zurück und der Kongreß lehnt ab, den Versailler Vertrag zu unterschreiben.

Auch andere Forderungen sind Deutschland durch den Einspruch Englands und der USA erspart geblieben. Die Polen und die Tschechen haben mehr deutsches Land verlangt, als sie zum Schluß bekommen. Frankreich bietet Holland das Emsland an, doch die Niederländer, die am Krieg nicht teilgenommen haben, bleiben fair und lehnen ab. Sogar ein souveränes Land aus dem Siegerlager gerät fast in die Beute. Es wird verhandelt, ob Luxemburg von Frankreich oder Belgien annektiert wird78.

Am 7. Mai werden die von den 27 Siegern festgelegten Bedingungen erstmals der deutschen Delegation eröffnet. Der Franzose Clemenceau überreicht sie mit 76 Vertrags-Ploetz, Seiten 36 f

77 Nevis, Seite 435

78 Nevis, Seite 368

62

den Worten: „Die Stunde der Abrechnung ist da“. „Abrechnung“ statt „gerechter und fairer Verträge“, wie Wilson das exakt fünf Monate zuvor verkündet hatte, um das Deutsche Reich zu einem Waffenstillstand zu bewegen. Die Bitte der deutschen Delegierten, den „Vertrag“, den sie nun unterschreiben sollen, vorher zu verhandeln, wird abgelehnt. Die Deutschen erreichen mit mehreren schriftlichen Noten lediglich noch die eine oder andere Nachbesserung zu Deutschlands Gunsten. Der Sachverhalt, daß der Vertrag von Versailles diktiert und nicht verhandelt worden ist, wird sein großer Makel bleiben.

Das Diktat fällt, verglichen mit den europäischen Friedensverträgen des 19. Jahrhunderts, ungewöhnlich hart aus. Um dem Ausmaß ihrer Forderungen den Anschein von Berechtigung zu geben, versteigen sich die Sieger dazu, Deutschland und seinen Kriegsverbündeten die Alleinschuld am Ersten Weltkrieg zuzuschrei-ben. Der Vertrag verlangt von Deutschland eine große Zahl von Land- und Be-völkerungsabtretungen: Elsaß-Lothringen an Frankreich, die Provinzen Posen und fast ganz Westpreußen sowie das oberschlesische Industriegebiet an Polen, das Memelland an den Völkerbund, das Hultschiner Ländchen an die Tschechoslowakei, Nordschleswig an Dänemark, das Gebiet um die zwei Städte Eupen und Malmedy an Belgien, und Danzig mit Umland als Freistaat unter die Hoheit des Völkerbundes. Der Vertrag stellt das Saargebiet für 15 Jahr unter Frankreichs Herrschaft und überführt die dortigen Bergwerke in französisches Eigentum.