Выбрать главу

Er verbietet den Anschluß Rest-Österreichs an das Deutsche Reich. Er legt Be-satzungsgebiete auf dem deutschen Territorium links des Rheins fest, in denen in drei Zonen für 5 beziehungsweise 10 und 15 Jahre belgische und französische Truppen stationiert werden sollen. Mit dem Vertrag verliert Deutschland seine Kolonien vor allem an England und die britischen Dominions, aber auch an Frankreich, Belgien und Japan. Der Vertrag nimmt Deutschland die Hoheit über seine Binnenwasserstraßen und die Lufthoheit im eigenen Land. Die Streitkräfte werden auf 100.000 Mann im Heer und 15.000 in der Marine reduziert. Luftwaffe, U-Boote und schwere Artillerie sind für Deutschland zukünftig verboten, und eine Zone von 50 Kilometern Breite rechts des Rheins wird für deutsches Militär gesperrt. Das Deutsche Reich muß den größten Teil der Handelsflotte und der Goldreserven an die Sieger aushändigen, dazu einen Großteil der jährlichen Erz- und Kohleforderung, der Kalk-, Zement- und Benzinproduktion, Unmengen von Nutzvieh und Landwirtschaftsmaschinen, 150.000

Eisenbahnwaggons und viele tausend Lokomotiven und Lastkraftwagen. Das gesamte deutsche private Auslandsvermögen und unzählige Industriepatente werden konfisziert. Die Höhe der Geldzahlungen – so behalten es sich die Sieger im Vertrag vor – wird erst später festgelegt.

Im Deutschen Reich ist man bestürzt und tief enttäuscht. Die „Sieger“ waren schließlich vor dem Waffenstillstand nicht zu einem Sieg gekommen, auch wenn sie ihm schon nahe waren. Alle kriegführenden Staaten außer Amerika waren 63

Karte 2: Deutsche Landverluste nach dem Ersten Weltkrieg

abgekämpft und hatten diesen Frieden dringend nötig. Die Kriegsverluste bei den Gegnern waren immerhin ein Drittel höher als die eigenen. Deutsche Truppen standen noch in Frankreich und kein einziger Franzose oder Brite war bis Deutschland vorgedrungen. Nur Deutschland hatte seit dem Waffenstillstand Vorleistungen für den Friedensschluß erbracht, hatte die Truppen zurückgezogen und begonnen, sie aufzulösen. In seiner 14-Punkte-Rede hatte Wilson von „deutscher Größe“, von „Verträgen der Gerechtigkeit, des Rechts und der Fairneß“ gesprochen. So hatten die Deutschen mit offenen Verhandlungen und einem anständigen Frieden rechnen können, dies um so mehr, als der

amerikanische Präsident ihnen noch vier Tage vor dem Waffenstillstand einen Frieden auf der Basis seiner 14 Punkte zugesichert hatte.

In Deutschland ist 1919 noch zu gut bekannt, wie man im Friedensschluß von Frankfurt 1871 selbst mit den Franzosen umgegangen ist. Frankreich, das den Krieg von 1870 verursacht und verloren hat, mußte damals das überwiegend deutschsprachige Elsaß-Lothringen abtreten und binnen dreier Jahre fünf Milliarden Franken in Silbergeld bezahlen. Danach zogen die deutschen Besatzungstruppen wieder ab. Frankreich behielt seine Armee, seine Flotte, seine Kolonien und seine Goldreserven. Wie kraß der Unterschied der zwei Friedensschlüsse von 1871 und 1919 ausfällt, zeigt schon ein kleines Beispiel. In Artikel 2 des 64

Friedens von Frankfurt regeln die Deutschen die Besitzstandgarantie für die franzö-

sischen Elsässer. Mit Artikel 74 des Friedens von Versailles regeln die Franzosen die Enteignung der deutschen Elsässer. In Erinnerung an den Frieden, den die Deutschen 1871 mit den Franzosen geschlossen haben, ist man 1919 im nun besiegten Deutschland über die Maßlosigkeit der Forderungen entsetzt. Die Parteien im Reichstag lehnen das Diktat deshalb zunächst geschlossen ab. Reichsprä-

sident Ebert (SPD) sagt am Tag nach der Zustellung der Friedensbedingungen:

„Der ehrliche Friedenswille unseres schwer duldenden Volkes fand die erste Antwort in ungemein harten Waffenstillstandsbedingungen. Das deutsche Volk hat die Waffen niedergelegt und alle Verpflichtungen des Waffenstillstands, so schwer sie waren, ehrlich gehalten. Trotzdem setzten unsere Gegner sechs Monate lang den Krieg durch Aufrechterhaltung der Hungerblockadefort. Das deutsche Volk trug alle Lasten im Vertrauen auf die durch die Note vom 5. November von den Alliierten gegebene Zusage, daß der Friede ein Friede des Rechts auf der Grundlage der 14 Punkte Wilsons sein würde. Was uns statt dessen jetzt in den Friedensbedingungen geboten wird, widerspricht der gegebenen Zusage, ist für das deutsche Volk unerträglich und auch bei der Aufbietung aller Kräfte unerfüllbar.

Gewalt ohne Maß und Grenzen soll dem deutschen Volk angetan werden.

Aus solchem aufgezwungenen Frieden müßte neuer Haß zwischen den Völkern und im Verlauf der Geschichte neues Morden erwachsen. ...“ 79

Doch die Macht der Sieger zwingt zur Unterschrift. England droht, bei Verweigerung der Unterzeichnung des Vertrags die Blockade der deutschen Häfen für die Einfuhr von Nahrungsmitteln und Rohstoffen nach Deustchland und nach Österreich-Ungarn wieder aufzunehmen. Trotz des im November 1918 geschlossenen Waffenstillstands hatte England seine Seeblockade aus dem Kriege bis Mitte Mai 1919 aufrecht erhalten und damit den Waffenstillstand bis dahin permanent gebrochen. Die englische Regierung hatte auch das Ersuchen der deutschen Reichsregierung, wenigstens Weizen, Fette, Kondensmilch und Medikamente während des Waffenstillstands vom Embargo auszunehmen, abgelehnt80. Dadurch beklagen Deutschland und Restösterreich bereits bis zum März 1919 fast eine Million Hungertote. Beide Staaten können eine Wiederaufnahme der Seeblockade durch die Briten nur zwei Monate danach angesichts der Hungersnot im Lande nicht riskieren. Zudem droht Frankreich, das nun weitgehend entmilitarisierte Deutschland mit Truppen zu besetzen. In dieser ausweglosen Lage unterzeichnet die Deutsche Delegation in Versailles unter Zwang am 28. Juni 1919 den Vertrag.

Eine Mantelnote zum Vertrag stellt zunächst die Sicht der Sieger dar. Sie lautet:

„Nach Ansicht der alliierten und assoziierten Mächte war der Krieg, der am 1. August 1914 zum Ausbruch kam, das größte Verbrechen gegen die 79 Binder, Seite 120

80 Deighton, Seite 26

65

Menschheit und gegen die Freiheit der Völker, das eine sich für zivilisiert ausgebende Nation jemals mit Bewußtsein begangen hat. Während langer Jahre haben die Regierenden in Deutschland getreu der preußischen Tradition die Vorherrschaft in Europa angestrebt. ... Das Verhalten Deutschlands ist in der Geschichte der Menschheit fast beispiellos. Die furchtbare Verantwortung, die auf ihm lastet, läßt sich in der Tatsache zusammenfassen, daß wenigstens sieben Millionen Tote in Europa begraben liegen, ... Darum haben die alliierten und assoziierten Mächte nachdrücklich erklärt, daß Deutschland als grundlegende Bedingung des Vertrags ein Werk der Wiedergutmachung bis zur äußersten Grenze seiner Leistungsfähigkeit vollbringen muß. ...“81

Mit dieser Mantelnote stoßen die „alliierten und assoziierten Mächte“ die Deutschen aus der Gemeinschaft der zivilisierten Völker aus. Das wird Folgen haben.

Der Versailler Vertrag enthält neben aller Unbarmherzigkeit vier besondere Artikel, die sich für die Siegerstaaten als Bumerang erweisen werden. Zuerst ist da die Präambel. Sie beginnt mit dem Satz:

„Die Vereinigten Staaten von Amerika, das Britische Reich ... (es folgen die Aufzählung der weiteren Siegermächte) einerseits und Deutschland andererseits ... sind über folgende Bestimmungen übereingekommen: ...“ Dieses „übereingekommen“ beruht auf dem puren Zwang der Stärkeren. Das unterlegene Deutschland ist hier nicht „übereingekommen“, auch wenn es das nun unterschreiben muß. Das falsche Wort zu Anfang des Vertrages soll verbergen, daß es sich hierbei um die völlig einseitige Willenserklärung der Sieger handelt.