Auch der spätere englische Premierminister Winston Churchill äußerst sich in seinen Memoiren zu Versailles:
„Die wirtschaftlichen Bestimmungen des Vertrages waren so bösartig und töricht, daß sie offensichtlich jede Wirkung verloren. Deutschland wurde dazu verurteilt, unsinnig hohe Reparationen zu leisten. ... Die siegreichen Alliierten versichern nach wie vor, sie würden Deutschland ausquetschen, bis die , Kerne krachen'. Das alles übte auf das Geschehen der Welt und auf die Stimmung des deutschen Volkes gewaltigen Einfluß aus.“ 84
Francesco Nitti, der italienische Ministerpräsident zur Zeit des Endes der Versailler Siegerkonferenz bemerkt:
„Noch niemals ist ein ernstlicher und dauerhafter Friede auf die Ausplünderung, die Quälerei und den Ruin eines besiegten, geschweige denn eines besiegten großen Volkes gegründet worden. Und dies und nichts anderes ist der Vertrag von Versailles.“ 85
Ansonsten bezeichnet Nitti den Vertrag, den er nicht selber mitverhandelt hat, in einem Buch von 1923 wiederholte Male als Verbrechen an den Deutschen.
In Frankreich sind es die Sozialisten, die die Schärfe des Vertrags mißbilligen.
Als der Versailler Vertrag am 18. September 1919 in der Nationalversammlung debattiert wird, sagt der Abgeordnete Jean Longuet im Namen der Fraktion der Sozialisten:
„Dieser Vertrag kann in keiner Weise die Zustimmung der Sozialistischen Partei erhalten. Er geht aus dem wohl skandalösesten Mißbrauch der Geheimdiplomatie hervor. Er verletzt offen das Selbstbestimmungsrecht der Völker, knechtet ganze Nationen und erzeugt neue Kriegsgefahren.“ 86
Es muß erstaunen, daß die Sieger den Vertrag trotz soviel Einsicht dennoch so gestalten. Der Versailler Vertrag fußt so offensichtlich auf Unwahrheit und Unrecht, daß er den Nationalsozialisten ab 1928 ein Dauer-Wahlkampfthema liefert. Das wird die Sieger später Blut und Tränen kosten.
Nachzutragen bleibt noch, daß Wilsons Reden nach dem Ersten Weltkrieg auch auf Deutsch herausgegeben werden. Interessant ist dabei, daß dort die inhalts-schweren Sätze aus der bedeutungsvollen 14-Punkte-Rede weggelassen sind:
„ Wir wünschen nicht Deutschland zu verletzen oder in irgendeiner Weise seinen berechtigten Einfluß oder seine Macht zu hemmen. Wir wollen Deutschland nicht bekämpfen, weder mit Waffen noch mit feindlichen Handelsmethoden, wenn es bereit ist, sich uns und den anderen friedliebenden 84 Churchill Weltkrieg, Seiten 13f
85 Nitti, Seite 14
86 Rassinier, Seite 206
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Nationen in Verträgen der Gerechtigkeit, des Rechts und der Fairneß anzuschließen. Wir wünschen nur, dass Deutschland einen Platz der Gleichberechtigung unter den Völkern einnimmt, statt einen Platz der Vorherrschaft.“ 87
Diese Sätze fehlen später auch in anderen deutschsprachigen Publikationen.88
Damit wird dem deutschen Leser nach dem Ersten Weltkrieg ein wenig die Größe des Betrugs verschleiert, der im Vertrag von Versailles steckt.
Die ersten Folgen von Versailles
Die Lasten, die der Versailler Vertrag den Deutschen auferlegt, sind so außerordentlich und das spätere Entgegenkommen der Sieger ist so gering, daß daran –
neben anderen Gründen – die junge Demokratie in Deutschland scheitert. Die Zwangsabgaben an Maschinen, Nahrungsmitteln, Kohle, Düngemitteln und Devisen führen zur Verelendung weiter Schichten der Bevölkerung und machen sie so unmittelbar betroffen, daß jede Partei und jeder Politiker, die Lösung oder Linderung versprechen, mit einem Hoffnungsbonus und mit Wahlerfolgen rechnen kann. Die NSDAP wird davon profitieren. Die Bevölkerung im Ruhrgebiet zum Beispiel, die auf der Kohle lebt, muß in Winterzeiten frieren. Die Kohle, kaum daß sie gefördert ist, wird sofort nach Frankreich abtransportiert.
Die Reparationen führen auch zu Zorn und Ärger bei den Siegern. Das Deutsche Reich muß nicht nur große Sachleistungen als Reparationen liefern. Es muß Gold und Devisen in einer Höhe zahlen, die das Reich nicht aufbringt. Da Deutschlands Volkswirtschaft durch die Gebietsabtretungen, durch den Verlust von 75 Prozent seiner Eisenerzvorkommen, durch die Abtrennung der Kohle-und Industriereviere in Oberschlesien und an der Saar und durch die Ablieferung von Maschinen, Lokomotiven, Kraftfahrzeugen und Handelsschiffen stark angeschlagen ist, lassen sich die für den Wiederaufbau nötigen Devisen nur im Außenhandel und durch Dumpingangebote auf dem Weltmarkt zusammenbrin-gen. Die deutschen Unternehmen müssen dazu die Betriebe in England und Frankreich unterbieten, was dort zu Verwerfungen und weiterem Zorn auf Deutschland führt. Des weiteren glaubt man im Ausland, daß die Deutschen ihre Wirtschaft mit Absicht in Unordnung halten, um ihre Zahlungsunfähigkeit zu beweisen.89
Die Höhe der Geldzahlungen wird erst 1921 festgelegt. Am 3. März fordern die Sieger auf einer Konferenz in London von Deutschland zunächst 269 Milliarden Goldmark in 42 Jahresraten, die jährlich bis 1963 zu entrichten sind. Die Forde-87 Wilsons-Dokumente, III. Band, Seite 42
88 z.B. in ODSUN-Dokumente, Seite 480
89 Taylor, Seite 62
70
rung ist in einer Frist von nur vier Tagen anzunehmen. Doch diese immense Summe Geldes ist angesichts Währungsverfalls im Inland bereits 3 Billionen Papiermark wert und nicht mehr abzutragen. Die deutsche Reichsregierung be-antwortet das Londoner Ultimatum mit einem Gegenvorschlag, den die Sieger allerdings für völlig unzureichend halten. Sie besetzen daraufhin – trotz geschlossenen „Friedens“ von Versailles – am 8. März 1921 die Städte Duisburg, Düsseldorf und Ruhrort und drohen, die Hungerblockade von 1919 wieder aufzunehmen und auch das Ruhrgebiet mit Truppen zu besetzen. So muß die Reichsregierung akzeptieren. Inzwischen hat die Reparationskommission der Sieger den Gesamtumfang der Forderungen an Geld auf 132 Milliarden Goldmark plus 26 % der deutschen Ausfuhrerlöse neu festgelegt90. Zu alle dem kommen noch die nicht unerheblichen Unterhaltskosten für 140.000 Mann Besatzungstrup-pen91. England und die USA versuchen, die Ansprüche der Franzosen zu mäßigen, doch Frankreich hofft darauf, Deutschland, wenn es nicht mehr zahlen kann, links des Rheins auf Dauer besetzen zu können und unter eigener Hoheit zu behalten92. Ab Mai 1921 wirbt die Presse in Frankreich für den Gedanken, das Ruhrgebiet mit französischen Ingenieuren und Militär zu übernehmen93.
Nachdem die enormen Staatsausgaben für den Krieg den Wert des Geldes ohnehin sehr stark belastet hatten, zerstört nun der Abfluß der Devisen ohne wirtschaftlichen Gegenwert das deutsche Geld endgültig. Ab Januar 1923 herrscht Inflation in Deutschland. Das Land kann seine Reparationen in Geld nicht mehr bezahlen, auch die Steinkohlelieferungen nach Frankreich geraten in Verzug. Da ordnet Frankreichs Ministerpräsident Poincare an, ab dem 11. Januar 1923 das Ruhrgebiet mit Truppen zu besetzen und die gesamte Bergbauförderung für Frankreich zu beschlagnahmen. Belgien nimmt mit Truppen an der Ruhrbesetzung teil.
Der Lieferverzug der Deutschen im Jahre 1922 umfaßt Holz und Kohle im Wert von 24 Millionen Goldmark. Die Lieferungen und Zahlungen, die im gleichen Jahr geleistet werden, belaufen sich jedoch auf 1.478 Milliarden Goldmark94. So ist der Grund, den die Franzosen als Vorwand für die „kalte Eroberung“ des Ruhrgebiets vorschieben, ein Fehl von nur 1,6 % der fälligen Jahresrate.
Die Reichsregierung ist empört, daß die Franzosen trotz des in Versailles geschlossenen Friedens mit Truppen in das Reichsgebiet marschieren. Sie ruft die Bevölkerung auf, „passiven Widerstand“ zu leisten. Die Gewerkschaften antworten mit Generalstreik und die Kumpel weigern sich in vielen Städten, den Franzosen ihre Zechen zu überlassen. In Essen erschießen französische Soldaten vierzehn Arbeiter, die versuchen, sich den Beschlagnahmen zu widersetzen.