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Der Unterzeichnung des Französisch-Sowjetischen Vertrags am 2. Mai 1935

geht eine Monate dauernde diplomatische Auseinandersetzung zwischen Paris und Berlin voraus, an der mittelbar auch die Garantiemächte des Locarno-Paktes ihren Anteil haben. Im April 1935 warnt der britische Außenminister Simon die französische Regierung,

daß England beunruhigt sein würde, wenn Frankreich einen Vertrag unterschriebe, der es eventuell in einen Krieg mit Deutschland hineinziehen könnte und das unter Bedingungen, die mit dem §2 des Locarno-Paktes unvereinbar sind.“ 11

Am 25. Mai 1935 übersendet die deutsche Regierung der französischen ein Memorandum, in dem sie geltend macht, daß der neue sowjetisch-französische Vertrag im Widerspruch zu Artikel 16 der Völkerbundsatzung steht, und daß er nach deutscher Auffassung den Locarno-Pakt verletzt12. Die französische Regierung erwidert, daß der neue Vertrag ja keine französisch-sowjetische Militärallianz begründe und ansonsten völlig in Übereinstimmung mit dem Völkerbundvertrag und dem Pakt von Locarno stünde. Zur eigenen Sicherheit konsultiert Frankreich auch die Garantiemächte von Locarno, England, Italien und Belgien und läßt sich bestätigen, daß diese den Locarno-Pakt auch nach Abschluß des Französisch-Sowjetischen Beistandspakts für weiter gültig halten.

Im Januar 1936 versucht die Reichsregierung noch einmal, den Französisch-Sowjetischen Vertrag auf andere Weise abzuwenden. Sie bietet Paris an, einen deutsch-französischen Nichtangriffspakt zu schließen. Frankreich lehnt den Vorschlag ab. Damit hat Berlin außenpolitisch eine Runde an Paris verloren.

Am 27. Februar 1936 wird der Sowjetisch-Französische Beistandspakt von der französischen Nationalversammlung ratifiziert.

Für Hitler ist der Sowjetisch-Französische Vertrag ein Rückschlag in dem Bemühen, Deutschland nach außen abzusichern. Sein Erfolg von 1934, der Nichtangriffspakt mit Polen, hatte Frankreichs Ring um Deutschland aufgebro-chen. Mit seinem neu geschlossenen Bündnis mit den Sowjets stopft Paris die 11 Benoist-Méchin, Band 3, Seite 282

12 ADAP, Serie C, Band IV 1, Anlage zu Dokument 107

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Lücke mit einem neuen Waffenbruder. Für Deutschlands Sicherheit hat diese Wendung zwei Aspekte. Zum ersten wird erkennbar, daß man in Paris den deutschen Garantien im Vertrag von Locarno keinen unbedingten Glauben schenkt, und daß man durchaus noch einen weiteren Krieg ins Auge faßt. Zum zweiten verstärkt sich die Allianz der potentiellen Gegner Deutschlands an Frankreichs Seite um eine weitere Million Soldaten. Für Deutschland ist dies in Erinnerung an das französisch-russische Zusammenspiel von 1914 keine gute Perspektive.

Bei nüchterner Betrachtung zeigt sich, daß Frankreich 1935 sein Bündnissystem ein weiteres Mal zu deutschen Lasten ausbaut, daß die französischen Streitkräfte der erst im Aufbau begriffenen deutschen Wehrmacht noch weit überlegen sind und daß Deutschlands Grenze zu Frankreich schutzlos offenliegt. Hitler und der Reichswehrführung ist durchaus bewußt, daß die Entblößung der Rheingrenze von deutschen Truppen nicht nur der Sicherheit Frankreichs dient, sondern den Franzosen auch ein Einfallstor ins dadurch ungeschützte deutsche Reichsgebiet geöffnet halten soll. Die Drohung Frankreichs während der oberschlesischen Kämpfe von 1921, in Deutschland einzumarschieren, und die ja tatsächlich erfolgten Einmärsche der Belgier und Franzosen vom 8. März 1921 und vom 11.

Januar 1923 sind schließlich nicht vergessen.

Des weiteren ist der neue Sowjetisch-Französische Pakt – anders als von der französischen Regierung dargestellt – doch mehr als nur ein rein politischer Vertrag.

Am 13. und 14. Februar 1936 besucht der sowjetische Marschall Tuchatschewski seinen französischen Kameraden in Paris, den Oberbefehlshaber General Ga-melin13. Und die deutsche Abwehr kann ermitteln, daß der französische Generalstab einen Plan für eine eventuelle Zusammenarbeit der französischen und der sowjetischen Streitkräfte in Arbeit hat. Dieser Plan sieht einen französischen Einmarsch durch das von deutschem Militär entblößte Rheinland vor, Truppen-bewegungen über den Mittelrhein und dann entlang der Mainlinie in Richtung Tschechoslowakei, wo eine Vereinigung mit den sowjetischen Bundesgenossen vorgesehen ist14.

Die französische Verletzung des Locarno-Vertrages durch den Abschluß des Beistandsabkommens mit der Sowjetunion ist für Hitler Anlaß, sich nun auch nicht mehr an diesen Pakt zu halten und das eine mit dem anderen zu begründen.

Hitler faßt den politischen Entschluß, das von deutschen Truppen nicht geschützte Rheinland wieder zu besetzen.

Anfang März 1936 eröffnet der Diktator Hitler den Entschluß dazu den Spitzen des Auswärtigen Amtes und der Wehrmacht. Von beiden Seiten wird ihm schärfstens abgeraten. Die deutsche Botschaft in Paris sagt vorher, daß die französische Regierung den deutschen Schritt nicht dulden und militärisch reagieren werde.

General von Blomberg als Reichskriegsminister macht geltend, daß die Wehr-13 Benoist-Méchin, Band 3, Seite 283

14 IMT. Verhandlungen, Band XVI, Seite 686

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macht, die gerade erst am Anfang ihres Wiederaufbaus steht, den französischen Streitkräften an Stärke, Bewaffnung und Reserven um ein mehrfaches

unterlegen ist. Hitler sagt gegen allen Rat voraus, daß Frankreich auf einen Einmarsch deutscher Truppen in das Rheinland trotz aller der genannten Gründe nicht militärisch reagieren werde.

Karte 5: Der Einmarsch der Wehrmacht in das Rheinland

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Am 7. März 1936 läßt Hitler 19 Wehrmachtsbataillone in die entmilitarisierte Zone einmarschieren15. Um der politischen Provokation nicht noch eine militärische Drohgebärde hinzuzufügen, überschreiten zunächst nur drei der 19

Bataillone den Rhein nach Westen und rücken in Saarbrücken, Trier und Aachen ein16. Hitler verletzt mit diesem Handeln die Verträge von Locarno und Versailles. Doch er schafft damit auch die Voraussetzung für die Verteidigungsfähigkeit des Deutschen Reichs nach Westen. Hitler begleitet diesen Schritt mit einem neuen Angebot an Frankreich. Er regt an, – wenn Frankreich dem so zustimmt – in Zukunft eine entmilitarisierte Zone auf beiden Seiten der deutsch-französischen Grenze einzurichten, die deutschen und die französischen Streitkräfte bei gemeinsamen Höchstzahlen zu begrenzen und einen Nichtangriffspakt von 25 Jahren Dauer abzuschließen.

Die Reaktionen Frankreichs und der anderen ehemaligen Siegerstaaten geben Hitler Recht. Die französische Regierung läßt zwar den Alarmzustand für die Armee erklären, die Maginotlinie besetzen und nordafrikanische Divisionen von Südfrankreich zur deutschen Grenze vorverlegen. Ansonsten versucht sie nur, die Locarno-Garantiemächte und den Völkerbund gegen Deutschland aufzubringen. Doch außer Polen, Tschechen, Rumänen und Jugoslawen sagt den Franzosen niemand Hilfe zu. Die britische Regierung lehnt es trotz der Bitte der Franzosen ab, mobil zu machen. London will den erst vor neun Monaten abge-schlossenen Flottenvertrag mit Deutschland nicht aufs Spiel setzen und keinen neuen Krieg riskieren, um eine für Frankreich vorteilhafte Bestimmung des Versailler Vertrages durchzusetzen. London bietet nur seine Vermittlungsdienste an. Die übrigen Locarno-Garantiemächte Belgien und Italien schließen sich der Haltung Englands an.

Am 14. März 1936 tritt der Rat des Völkerbunds zusammen, um über den deutschen Bruch des Versailler Vertrages zu befinden. Der Vertreter Frankreichs fordert, Deutschland der Vertragsverletzung anzuklagen und zu verurteilen. Der britische Vertreter erklärt für „seiner Majestät Regierung“: