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Hitler kommentiert das Abkommen gegenüber dem Führer der österreichischen Nationalsozialisten Josef Leopold mit den Worten:

„Dieses neue Abkommen nehme ich sehr ernst. Die österreichischen Nationalsozialisten müssen eine mustergültige Disziplin bewahren und den Anschluß als eine innerösterreichische Angelegenheit betrachten, und versuchen, auf diesem Wege in Österreich Fortschritte zu machen.“28

Hitler hält den späteren Anschluß Österreichs für eine zwangsläufige Folge des in der Vergangenheit so oft bekundeten Willens der Mehrheit der österreichischen Bevölkerung. Die von Deutschland anerkannte Souveränität des Bundesstaates Österreich steht dem nach Hitlers Ansicht nicht entgegen. Hitler ist sich sicher, daß der Anschluß Österreichs eines Tages die freie und souveräne Entscheidung einer österreichischen Regierung sein wird. Doch er soll sich täuschen. Bedauerlicher Weise kann das Abkommen vom 11. Juli die deutsch-

österreichischen Differenzen nicht überbrücken.

Bundeskanzler Schuschnigg will ein in Habsburger Tradition stehendes souverä-

nes Österreich erhalten, einen zweiten „besseren“ deutschen Staat. Als die österreichische Regierung keinen Ansatz zeigt, ihr Versprechen aus dem Juli 1936 einzulösen und Kräfte aus der Nationalen Opposition an der politischen Verantwor-28 v. Papen, Seite 424

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tung zu beteiligen, wird das Verhältnis zwischen Berlin und Wien wieder gespannt.

In der Folgezeit lösen sich in Österreich pro- und antideutsche Demonstrationen des Bevölkerungswillens ab. Im April 1937 setzt Schuschnigg auf deutsches Drängen einen Vermittler zwischen der Regierung und den Kräften der sogenannten Nationalen Opposition ein, um diese, wie versprochen, zur Mitwirkung an der politischen Verantwortung heranzuziehen. Der Vermittler ist der junge und parteilose Rechtsanwalt Dr. Seyß-Inquart, der sowohl das Vertrauen seines Bundeskanzlers Schuschnigg hat als auch bald das von Adolf Hitler29. Seyß-Inquart macht keinen Hehl aus seinem Wunsch nach einem Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich.

Trotz des Deutsch-Österreichischen Abkommens vom Juli 1936 und der Vermittlungstätigkeit Seyß-Inquarts läßt der Druck der Diktatur im Donau-Staat nicht nach. Die Dokumentation eines Wiener Rechtsanwalts vom Juni 1937 legt Zeugnis davon ab, wie Gerichte, Parteibehörden, Gendarmerie und Polizei 1936

und 37 mit den Personen umgehen, die sich im Sinn der ersten österreichischen Verfassung von 1918 nach wie vor zur Einheit mit dem Deutschen Reich beken-nen30. Die Dokumentation „Justitia fundamentum regnorum“ , die Bundeskanzler Schuschnigg zugeleitet wird, umfaßt 264 Beispielfälle von Rechtsbrüchen und Verfolgung an Angehörigen der „Nationalen Opposition“. Diese Sünden-liste ist beachtlich. Sie umfaßt

● Haftstrafen ohne Gerichtsverfahren,

● Einweisung in Konzentrationslager ohne Gerichtsverfahren und Urteil,

● Untersuchungshaft ohne richterliche Anordnung,

● Beugehaft für Verwandte von Beschuldigten,

● Haft- und Geldstrafen ohne Schuldbeweis,

● Haftstrafen ohne Vorliegen eines Straftatbestandes,

● Doppelbestrafung in zwei getrennten Verfahren wegen ein und derselben Straftat,

● zusätzliche wirtschaftliche Nebenstrafen wie Vermögenseinziehung,

● Führerscheinentzug oder das Erheben von Verpflegungs- und Unter-

bringungskosten bei Konzentrationslager-Haft,

● Umkehrung der Beweislast in Strafverfahren,

● Geständniserpressung,

● körperliche Mißhandlung von Inhaftierten,

● Unterlassung von medizinischer Behandlung erkrankter oder verletzter politischer Gefangener, zum Teil mit Todesfolge,

● Aberkennung der österreichischen Staatsbürgerschaft nach ungenehmigten Reisen nach Deutschland,

29 Seyß-Inquart tritt erst 1938 der Nationalsozialistischen Partei Österreichs bei.

30 Führer-Dokumentation

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● Einziehung von Handwerks- und Gewerbegenehmigungen sowie Zulas-

sungen für akademische Berufe bei Personen mit „mangelnder staatsbürgerlichen Verläßlichkeit“ und

● Entlassung von Angehörigen des öffentlichen Dienstes wegen des „Verdachts der nationalen Gesinnung“ ohne Pensionen und Arbeitslosenhilfe.

Die Gründe dieser Strafen liegen immer ähnlich. Es sind die Zugehörigkeiten zu verbotenen Parteien, meist zu den österreichischen Nationalsozialisten, oder zu einem der vielen deutsch gesonnenen Gesangs- und Sportvereine oder auch nur der Wunsch des Angeklagten nach einer deutsch-österreichischen Vereinigung und manchmal auch nur ein Verdacht in dieser Richtung.

1935 bis 1937 zeigen Frankreich, England, Jugoslawien und die Tschechoslowakei immer weniger Sympathie für das „autoritäre“ Österreich. Auch Italien wendet sich von Österreich ab und Deutschland zu. Zudem läßt ein Wirtschaftsaufschwung wie der in Deutschland auf sich warten. Im gleichen Zeitraum schließen sich die Saarländer mit 90,8 % Pro-Deutschland-Stimmen an das Deutsche Reich an, und die früher offene Rheinlandgrenze steht wieder unter dem Schutze deutscher Truppen. In Österreich sind dergleichen Erfolge nicht zu sehen und ein neuer Weg zu Habsburgs Glanz und Größe steht für das kleine Land nicht offen.

Hinzu kommt, daß sich die Diktatur in Österreich kaum von der in Deutschland unterscheidet, so daß letztere kein Grund ist, einen Anschluß abzulehnen. So wird der Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich für die Bürger Österreichs wieder zur attraktiven Perspektive. Besonders viele Menschen aus der Arbeitnehmerschaft – auch wenn sie den Nationalsozialisten nicht nahestehen – sehen im Anschluß eine wirtschaftliche Hoffnung. Bundeskanzler Schuschnigg, der die außenpolitische Isolierung seines Landes spürt und den Drang weiter Bevölkerungskreise zu einem Anschluß kennt, bittet den Gesandten von Papen um Vermittlung eines Staatsbesuchs bei Hitler. Am 12. Februar 1938 kommt der Besuch zustande. Schuschnigg ist bei dieser Reise sicherlich zu gewissen Konzessionen Österreichs an deutsche Wünsche bereit gewesen. Doch die Forderungen, die ihm Hitler an diesem 12. Februar in Berchtesgaden präsentiert, hat er nicht erwartet.

Hitlers Wunschvorstellung ist sicherlich gewesen, daß ein frei gewählter Nationalrat und eine österreichische Regierung kraft des Selbstbestimmungsrechts der Völker von sich aus den Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich

verkünden, den Anschluß den die Verfassungsväter Österreichs und der Nationalrat schon vor zwei Jahrzehnten fest beschlossen hatten. Doch Hitler ist inzwischen klar, daß mit der Diktatur des christ-sozialen Schuschnigg, ohne Parlament und ohne Wahlen kein legaler Weg für einen Anschluß offensteht.

Das Gespräch der zwei Diktatoren Schuschnigg und Hitler ist nach Schuschniggs Schilderung – und nur diese ist uns überliefert – ein einziger Streit gewesen. Hitler hält Schuschnigg vieles vor, das Vorgehen der Polizei in Österreich gegen die Nationalsozialistische Partei, Grenzbefestigungen gegen Deutschland und ande-104

res mehr. Als Schuschnigg Österreichs Eigenständigkeit verteidigt und darauf besteht, daß er es ist, der Österreich hier vertritt, bezweifelt Hitler seine Legitimität und sagt:

„Ich könnte mit dem gleichen und mit noch viel mehr Recht mich als Österreicher bezeichnen als Sie, Herr Schuschnigg. Versuchen Sie es doch einmal und machen Sie eine freie Volksabstimmung in Österreich, in der Sie und ich gegeneinander kandidieren, dann werden Sie sehen!“ 31

Hitler hat dabei im Sinn, daß Schuschnigg vor drei Jahren nicht – wie er selbst -

durch Wahlen in sein Amt gekommen ist, sondern als Ersatzmann für den toten Dollfuß.

Hitler legt Schuschnigg eine „Liste mit deutschen Vorschlägen für eine endgültige Regelung der österreichischen Frage“ vor. Die wesentlichen Forderungen lauten: