● Konsultationspflicht für beide Regierungen in außenpolitischen Fragen,
● Ernennung des Staatsrats Dr. Seyß-Inquart zum Innenminister und Unterstellung des Sicherheitswesens unter diesen,
● politische Betätigungsfreiheit der österreichischen Nationalsozialistischen Partei zur legalen Betätigung im Rahmen der „Vaterländischen Front“,
● Amnestie für alle wegen nationalsozialistischer politischer Betätigung inhaftierten Österreicher,
● Wiederherstellung der Pressefreiheit,
● Zusammenarbeit der Streitkräfte Österreichs und Deutschlands,
● Vorbereitung der Angleichung der Wirtschaftssysteme beider Länder unter Leitung eines gewissen Dr. Fischböck als Finanzminister und die
● Zusicherung der Deutschen Reichsregierung, daß sich reichsdeutsche Partei-dienststellen nicht in innerösterreichische Verhältnisse einmischen.
Die „Vorschläge“ enden mit dem Ultimatum: „Der Bundeskanzler erklärt sich bereit, die vereinbarten Maßnahmen bis zum 18. Februar 1938 durchzuführen“32, also in nur einer Woche. Kanzler Schuschnigg macht dagegen geltend, daß ein Teil der Forderungen nach der Verfassung nur der österreichische Bundespräsident erfüllen könne, und es gelingt ihm, ein paar Details mit Hitler zu verhandeln und zu ändern. So wird zum Beispiel Dr. Fischböck nicht Finanzminister. Doch nachdem ihm Hitler klargemacht hat, daß er – Schuschnigg – unterschreiben müsse oder er – Hitler – auch anders handeln könne, setzt Schuschnigg seinen Namen unter das Papier.
Zurückgekehrt nach Wien, muß der österreichische Kanzler die deutschen Forderungen in die Tat umsetzen, sein Kabinett umbilden, Verurteilte amnestieren und zu alle dem den Bundespräsidenten überreden. Die Nationalsozialisten, nun vom Verbot befreit und ohne weiter von der Polizei verfolgt zu werden, mobili-31 Benoist-Méchin, Band 5, Seite 200
32 ADAP, Band I, Dokumente 294/295, Seiten 421-424
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sieren jetzt in Graz, Salzburg, Klagenfurt und Linz die Massen und zeigen offen ihre Sympathie für eine Anschlußlösung. Minister Seyß-Inquart fahrt durch die Lande, um die Führer der Nationalsozialisten in den Bundesländern zur Mäßigung zu mahnen, doch der Zug ist nicht mehr aufzuhalten. Der Druck der Straße wächst und Hitler besteht nachträglich doch noch einmal auf der Forderung, Dr.
Fischböck als Finanzminister Österreichs einzusetzen.
Dr. Schuschniggs „Volksabstimmung“
Nun tritt der Bundeskanzler Schuschnigg die Flucht nach vorne an. Er glaubt, daß die Mehrheit der Bürger Österreichs für die Selbständigkeit des Landes und gegen einen Anschluß ist. Auch hegt er offensichtlich Illusionen über den Be-liebtheitsgrad der eigenen Person. Schuschnigg setzt am Mittwoch, den 9. März, ganz überraschend eine Volksabstimmung zur Anschlußfrage für den nächsten Sonntag an, das ist vier Tage später. Die kurzgesteckte Frist und manches andere zeigen, daß der Bundeskanzler hier in Panik handelt. So hat er es unterlassen, die Gesamtheit der Minister zum Plan der Volksabstimmung zu befragen, was nach Artikel 65 der Verfassung erforderlich gewesen wäre. Da es seit 1929 auf Bundesebene und seit 1932 auf Landesebene keine Wahlen mehr gegeben hat, und weil Wahlen 1933 von Dollfuß generell verboten worden waren, gibt es in ganz Österreich keine aktuellen Wählerlisten mehr. Zudem hat der demokratie-entwöhnte Bundeskanzler angeordnet, daß Wahlaufsicht und Stimmauszählung allein von der „Vaterländischen Front“ vorzunehmen sind, also vom Regierungs-lager. Des weiteren begrenzt Kanzler Schuschnigg das Wahlalter nach unten auf 25 Jahre. Er befürchtet, daß besonders junge Wähler zu einem Anschluß an das Deutsche Reich tendieren. Und als letztes befiehlt Dr. Schuschnigg, daß in den Wahllokalen nur Stimmzettel mit dem Aufdruck „JA“ ausgegeben werden, was ein Ja zur Unabhängigkeit bedeutet. Wer für den Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich stimmt, muß sich dazu einen mit „Nein“ beschriebenen Zettel in vorgeschriebener Größe selber fertigen und zur Wahl mitbringen. In § 22 der Verordnung über diese Volksbefragung ist dazu folgendes geregelt:
„Der Stimmzettel ... ist auf einer Seite mit „Ja“ bedruckt oder beschrieben gültig, auch dann, wenn das Wort durchgestrichen oder mit einem Beisatz versehen ist. Auch teilweise zerrissene Zettel mit dem Aufdruck oder der Aufschrift „Ja “ gelten als Ja-Stimmen.
Diejenigen Personen, die mit „Nein“ zu stimmen wünschen, müssen nach obigen Anordnung einen Zettel in der gleich Größe mit dem Wort „Nein“ handschriftlich beschreiben. Zettel, die das Wort „Nein“ mit irgendeinem Zusatz enthalten, sind ungültig. Vollkommen leere Stimmzettel gelten als Ja-Stimmen. ...“33
Ansonsten verhandelt Kanzler Schuschnigg in aller Eile mit den Führern der bisher verbotenen Parteien und der aufgelösten Gewerkschaften, um sie für Wahl-33 Ländergesetzblatt für Oberösterreich vom 10. März 1938
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aufrufe gegen einen Anschluß zu gewinnen. Als Preis verlangen die so plötzlich angesprochenen Führer, daß ihre Parteien unverzüglich wieder zugelassen werden, und sie fordern, daß ihre zu Tausenden in den „Anhaltelagern“ inhaftierten Parteimitglieder endlich freigelassen werden. Doch Dr. Schuschniggs getürkte Volksabstimmung bleibt nicht ohne Widerspruch.
Innenminister Seyß-Inquart und ein weiteres Mitglied der Regierung, Minister Glaise-Horstenau, teilen ihrem Kanzler unverzüglich mit, daß das Anberaumen dieser Wahl ohne vorherige Anhörung des Kabinetts verfassungswidrig ist, und daß nicht hingenommen werden kann, daß allein die regierende Vaterländische Front die Wahlen überwacht und dann zum Schluß die Stimmen zählt. Die zwei Minister verlangen die Verschiebung der Volksabstimmung auf einen späteren Zeitpunkt, damit die Wahlen vorbereitet werden können. Bundeskanzler Schuschnigg lehnt Seyß-Inquarts und Glaise-Horstenaus Bedenken und Forderungen ab.
Tags darauf wiederholt Seyß-Inquart seinen Einspruch in einem Brief an Kanzler Schuschnigg, der zurückschreibt, daß es bei der Wahl am nächsten Sonntag bleibt. Bis dahin sind es nun nur noch drei Tage.
Am 11. März, nach einer weiteren Nacht, versuchen die Minister Seyß-Inquart und Glaise-Horstenau noch einmal, Schuschnigg umzustimmen. Sie geben zu bedenken, daß es bei dem überhastet angesetzten Wahltermin und bei den bisher verfugten Wahlbedingungen zu Gewalt im Lande kommen könnte. Schuschnigg beharrt auf seiner Wahl am Sonntag in zwei Tagen. Darauf schicken die zwei Minister in ihrem und im Namen anderer Kabinettsmitglieder noch am späten Vormittag ein Ultimatum an den Kanzler. Die sechs Bedingungen, die dieser Brief enthält, sind
1. Eine neue Volksabstimmung wird innerhalb einer Frist von vier Wochen abgehalten. Sie wird im Einklang mit Artikel 65 der Bundesverfassung stehen.
2. Mit der technischen Durchführung dieser Volksabstimmung wird der Innenminister Dr. Seyß-Inquart betraut.
3. Die Zusammensetzung der Wahlkommission soll so erfolgen, daß in jeder einzelnen ein Vertreter der Nationalsozialisten seinen Sitz hat.
4. Die Möglichkeit der Wahlpropaganda soll allen Parteien, also auch den Nationalsozialisten, zugestanden werden.
5. Für den Fall der Ablehnung der obigen Bedingungen geben die beiden Minister und die sonstigen nationalen Funktionäre ihre Demission bekannt und lehnen jede Verantwortung für das weitere Geschehen ab.
6. Diese Bedingungen müssen noch heute, bis spätestens 13 Uhr angenommen werden.“34
Als Schuschnigg dieses Schreiben liest, bleibt ihm nur noch eine Stunde zur Entscheidung. Die Frist ist unannehmbar kurz, doch der österreichische Innenmini-34 Bénoist-Mechin, Band 5, Seite 248