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Von Johannes Mario Simmel sind außerdem erschienen: Bitte, laßt die Blumen leben - Auch wenn ich lache, muß ich weinen - Liebe ist nur ein Wort - Die im Dunkeln sieht man nicht - Doch mit den Clowns kamen die Tränen - Im Frühling singt zum letztenmal die Lerche - Die Antwort kennt nur der Wind - Der Stoff, aus dem die Träume sind - Es muß nicht immer Kaviar sein - Träum den unmögli­ chen Traum - Affäre Nina B. - Mich wundert, daß ich so fröhlich bin - Alle Menschen werden Brüder - Begegnung im Nebel - Bis zur bitteren Neige - Das geheime Brot -Die Erde bleibt noch lange jung - Gott schützt die Lie­ benden - Hurra, wir leben noch - Ich gestehe alles - Lieb Vaterland magst ruhig sein - Meine Mutter darf es nie erfahren - Niemand ist eine Insel - Und Jimmy ging zum Regenbogen - Wir heißen euch hoffen - Zweiundzwanzig Zentimeter Zärtlichkeit

Über den Autor:

Johannes Mario Simmel, 1924 in Wien geboren, gehört mit seinen brillant erzählten zeit- und gesellschaftskriti­ schen Romanen und Kinderbüchern zu den international erfolgreichsten Autoren der Gegenwart. Seine Bücher erscheinen in 35 Ländern, ihre Auflage nähert sich der 73-Millionen-Grenze. Der Träger des Österreichischen Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kultur 1. Klasse wurde 1991 von den Vereinten Nationen mit dem Award of Excellence der Society of Writers ausgezeichnet.

Johannes Mario Simmel Der Mann, der die Mandelbäumchen Malte

Dieses Buch erschien 1998 als Hörkassette.

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www.droemer-knaur.de

Vollständige Taschenbuchausgabe Februar 2000 Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München Copyright © 1983, 1998 bei

Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf - auch teilweise - nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden. Umschlaggestaltung: Agentur ZERO, München, unter Verwendung eines Gemäldeausschnittes »Cap Saint-Jean« von Auguste Renoir (Foto: Christie's / Artothek, Peißenberg) Satz: Ventura Publisher im Verlag

Druck und Bindung: Clausen & Bosse, Leck

Printed in Germany

ISBN 3-426-61604-1

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Der Mann, der die

Mandelbäumchen

malte

Ich war so glücklich wie noch nie. In meinem Traum. So über alle Maßen glücklich. Dann hörte ich das Klopfen. Tack. Tack, tack, tack. Wieder. Und wieder. Immer lauter. Immer härter. Dann war ich wach. Ich öffnete die Augen. Durch den Spalt neben der herabgezogenen Glanzstoffblende vor dem Fenster drang ein Streifen weißglühendes Sonnenlicht. Ich bemerkte, daß der Zug stand. Wo war mein Glück, mein über alle Maßen großes Glück? Was hatte ich geträumt, eben noch, vor Se­ kunden? Angestrengt dachte ich nach. Es fiel mir nicht mehr ein. Nichts fiel mir ein, nicht das Ge­ ringste. Vergessen mein Traum, alles vergessen. Tack! Tack, tack, tack! Tack, tack, tack! Nun war das Klopfen sehr laut, sehr hart. Ich hörte die Stimme des Schlafwagenschaffners. »Madame Collins! Wachen Sie doch endlich auf, Madame Col­ lins!«

Gähnend erhob ich mich. Über das Pyjama streifte ich den Trenchcoat, der an einem Haken hing. In Paris hatte es heftig geregnet. Ich knipste das Licht an und entriegelte die Abteiltür. Nachdem ich in meine Pantoffeln geschlüpft war, trat ich auf den Gang.

Das grelle Licht der Sonne traf mich wie ein Ham­ mer auf den Schädel. Ich kniff die Augen zu, um mich an dieses Licht zu gewöhnen. Heiß war es im Gang des Schlafwagens, stickig heiß. Der Schaffner war glatzköpfig. Er hatte die Jacke seiner braunen Uniform ausgezogen. Mit dem oberen Ende des Bleistifts klopfte er gegen die Tür des Abteils neben dem meinen.

»Madame Collins! Sie wollten in Saint-Raphaël ge­ weckt werden. Wir sind in Saint-Raphaël. Madame Collins, bitte!«

Ich sah aus einem Gangfenster und erblickte die sehr kleine, sehr saubere Station. Der Schlafwagen stand etwas außerhalb des überdachten Teils. Da war die Altstadt mit der romanischen Kirche. Da war das Museum für archäologische Unterwasserfunde, ich hatte es ein paarmal besucht. In der Kirche war ich oft gewesen. Der Kühle wegen. Ich erinnerte mich an die wahnsinnig heißen Sommertage, wäh­ rend deren ich hier zu tun gehabt hatte. Wann war das gewesen? Vor fünf Jahren? Nein, vor sechs. Da hatte Couton bei Saint-Raphaël einen Film gedreht. »Dieses verfluchte Leben«. Der große Jacques Couton. Ich erinnerte mich noch genau daran, daß ich in jener Kirche das Drehbuch umgeschrieben hatte, mit einem Kugelschreiber, die Seiten auf den Knien. Ich erinnerte mich sogar noch an die Dialo­ ge. An meinen glücklichen Traum erinnerte ich mich nicht.

Über den Häusern der Stadt sah ich die rote Erde des Esterel-Gebirges, das hier seinen Anfang nahm. Auch an die sehr rote Erde erinnerte ich mich. Und an die Stierkämpfe in Fréjus, ganz in der Nähe. Sie waren lausig gewesen. Alte Stiere, alte Toreros. Ich war mit diesem Mädchen hingegangen, mit Claire. Zwei Wochen lang hatte ich hier ge­ schrieben und mit Claire geschlafen. Sie arbeitete als Sekretärin in dem Hotel, in dem ich wohnte. Ihr Mann leistete gerade seinen Militärdienst. Die bei­ den hatten als halbe Kinder geheiratet. Vor sechs Jahren war Claire einundzwanzig Jahre alt gewe­ sen, ich fünfundvierzig. Die rote Erde des Esterel glühte jetzt schon, am Morgen. Ich dachte, daß die­ ser Tag wohl so wahnwitzig heiß werden würde wie alle jene, an denen ich mich in der Kirche mit dem versauten Script abgequält hatte.

»Morgen«, sagte ich zu dem Schaffner. Er ver­ suchte jetzt, mit einem Steckschlüssel die Verriege­ lung zu öffnen. Schweiß stand ihm in feinen Tropfen auf der Glatze. Er war ein großer Mann, Ende Fünfzig.

»Guten Morgen, Monsieur Royan.«

Der Schaffner sah mich kurz an. Neben seinen Schuhen, auf dem Gangteppich, lag eine Kladde und auf ihr der Bleistift, mit dem er geklopft hatte. Die Kladde enthielt die Namen aller Reisenden. »Was ist los?« fragte ich.

»Wacht nicht auf«, sagte er und drehte den Steck­ schlüssel vorsichtig herum. Der Schlüssel glitt im­ mer wieder ab. »Steigt in Cannes aus wie Sie, Monsieur Royan. Wollte in Saint-Raphaël geweckt werden und noch im Abteil frühstücken.« »Wie ich.«

»Ja«, sagte er. »Wie Sie. Und jetzt kriege ich die Dame nicht wach.«

»Wir haben ein bißchen viel getrunken gestern abend.«

»Ja, zwei Flaschen.«

»Das ist eine ganze Menge für zwei Leute«, sagte ich. Jetzt stand mir der Schweiß auf der Stirn, und ich fühlte ihn auch über den Rücken rinnen. Ein gottverflucht heißer Tag würde das werden hier an der Côte d'Azur. In Paris hatten wir noch gefroren. Es war erst Anfang April, aber eben schon gottver­ flucht heiß hier unten im Süden. Ich hatte leichte Sachen eingepackt, glücklicherweise. Glücklicher­ weise. Was war das bloß für ein Traum gewesen? »Der Champagner war einwandfrei«, sagte der glatzköpfige Schaffner. »Sie haben noch gesagt, daß er großartig ist.«

»Prima war er«, sagte ich. »Mrs. Collins hat es auch gesagt.«

»Ja, nicht wahr?«

»Darum haben wir auch zwei Flaschen getrunken. Mrs. Collins war so glücklich.«

Ich erinnerte mich auch noch, warum Mrs. Collins so glücklich war. Aber mein Traum? Nix. Keine Spur.

Ich sah, daß nun schon etwa ein Dutzend Reisende im Gang standen. Sie schauten uns neugierig zu. Aus dem anderen Schlafwagen kam ein junger Schaffner.

»Wird einer nicht wach, Emile?«

»Nein, Paul. Und dieses verdammte Schloß ...« In diesem Moment sprang es auf. Die Tür zum Ab­ teil von Mrs. Collins öffnete sich - einen schmalen Spalt.

»Madame!« Jetzt schrie Emile. »Madame Collins!« Er sprach den amerikanischen Namen französisch aus. »Madame Collins, so hören Sie doch! Wir sind in Saint-Raphaël!«

Keine Antwort.

Plötzlich war es sehr still auf dem Gang. Niemand sprach. Niemand bewegte sich. Eine Sirene heulte in der Ferne.

»Gehen Sie doch rein«, sagte ich. »Schauen Sie nach!«

»Kann ich nicht«, sagte Emile. »Da, der Sicher­ heitsbolzen. Sehen Sie? Ich kann das Schloß öff­ nen, aber nicht die Tür. Der Bolzen ist aus Eisen. Madame Collins!« schrie er wieder in das dunkle Abteil hinein.