Выбрать главу

Ich schwieg.

»Monsieur Royan, ich habe Sie etwas gefragt. Glauben Sie, ich hätte Ihnen das alles berichtet, wenn Sie nicht Schriftsteller wären? Ich habe mich, gleich als Sie kamen, nach Ihrem Beruf erkundigt, erinnern Sie sich?«

»Ich erinnere mich.«

»Daraufhin erst habe ich zu erzählen begonnen. Sie werden die Geschichte aufschreiben und diesen Schuft Alassian damit erledigen, ja? Sagen Sie ja, Monsieur!« Sie war jetzt sehr erregt.

Ich fragte: »Warum schreiben Sie Ihre Geschichte nicht selber, und ich bringe sie bei einer Zeitschrift unter? Sie können doch schreiben. Diese wunder­ baren Liebesbriefe ...«

Sie schüttelte ungeduldig den Kopf. »Nein, nein, nein!«

»Was heißt nein?«

»Ich kann Liebesbriefe schreiben, Monsieur, wun­ derbare. Aber sonst nichts. So, wie mein armer Pi­ erre nur lieben konnte und nicht malen. Nein, niemals wäre es mir möglich, diese Geschichte auf­ zuschreiben. Sie müssen das tun, Sie!« »Wenn ich die Geschichte aufschreibe«, sagte ich, »dann muß ich die Namen und die Schauplätze der Handlung ändern.«

»Warum müssen Sie das?« rief sie empört. »Weil ich keine Anzeige von Monsieur Alassian be­ kommen will, Madame. Und um andere Men­ schen zu schützen.«

»Alassian wird vor Gericht verlieren. Ich habe die Wahrheit gesagt. Ich habe Zeugen ... zwei entlas­ sene Angestellte des Juweliers. Sie sind bereit, un­ ter Eid auszusagen. Aber nur, wenn jemand anderer die Sache ins Rollen bringt. Dieser andere sind Sie, Monsieur. Monsieur! Ich bitte Sie, verspre­ chen Sie mir, die Geschichte aufzuschreiben! Sonst haben Sie mich getäuscht. Sonst haben Sie sich hier eingeschlichen - ich weiß nicht, warum. Sind Sie überhaupt wirklich Schriftsteller? Was haben Sie geschrieben, Monsieur Royan?«

Das begann unangenehm zu werden.

Ich sagte: »Ich werde die Geschichte aufschreiben, Madame Mondragon.«

»Mit den wahren Namen und Orten?«

»Mit den wahren Namen und Orten«, sagte ich und nahm mir vor, natürlich alles so zu verändern, daß ich nicht zu Schaden kommen würde, wenn ich -man konnte nie wissen - tatsächlich einmal über diese Affäre schreiben sollte.

Sie sprang auf, und ehe ich es verhindern konnte, hatte sie meine Hand ergriffen und geküßt. »Madame Mondragon!« Auch ich stand schnell auf. »Das dürfen Sie nicht tun!«

»Ich bin Ihnen so dankbar, Monsieur Royan, so un­ endlich dankbar! Wahrhaftig, es gibt einen Gott. Und Gott ist gerecht. Nun wird dieser alte Schuft Alassian doch noch seine Strafe erhalten ... Wann fangen Sie an zu schreiben, Monsieur? Wann fan­ gen Sie an?«

Ich hatte das Gefühl, daß es gut für mich sei, schnellstens von hier fortzukommen.

»Bald, Madame Mondragon«, sagte ich. »Ich muß noch eine wichtige Arbeit erledigen, aber dann ...« »Aber dann! Ach, wunderbar, wunderbar ... Sie ha­ ben jetzt Mrs. Collins' Version und meine. Wird die Geschichte in die Zeitschrift kommen?« »Sicherlich.«

»Wo? Monsieur, wo? Es muß eine große Zeitschrift sein. An welche denken Sie?«

»An ›Paris Match‹«, sagte ich.

»›Paris Match‹ ist wunderbar. Die liest ganz Frank­ reich.« Sie lachte. »›Paris Match‹ liegt im Geschäft von Reuben Alassian aus. Der wird sich freuen, meinen Sie nicht, Monsieur Royan?«

»Ja«, sagte ich.

»Vielleicht verreckt er daran«, sagte sie. »Das wäre mein schönster Tag.«

Ich hatte genug. Ich ging zur Tür. Sie folgte mir und sagte: »Die Karte von Mrs. Collins können Sie be­ halten.«

Wir stiegen die Stufen der breiten Treppe in der weißen riesigen Halle zum Ausgang hinab. »Es sind noch genügend Karten für die Briefe da«, sagte sie. »Ich muß Pierre sehr dankbar sein, daß er so vorgesorgt hat. Denn wissen Sie, es ist ganz komisch: Ich komme mit diesen Schablonen nicht zurecht. Ich könnte so ein Bäumchen nicht malen. Jedes Kind kann es - ich nicht.«

Wir hatten das Tor erreicht. Sie öffnete es. Die Straße war menschenleer. Ich hörte einen Hund bellen.

Sie sagte: »Sie haben versprochen, die Geschichte aufzuschreiben, Monsieur Royan. Sie haben es versprochen, denken Sie daran!«

»Ja«, sagte ich. »Ich denke daran. Und ich denke an Sie, Madame Mondragon.«

»Was heißt das?«

»Was Sie tun und getan haben, ist Unrecht. Man wird Sie bestrafen dafür. Soll ich nicht doch lieber alles verschlüsseln?« Es war ein letzter Versuch. »Auf keinen Fall. Wir müssen mit unseren richtigen Namen genannt werden - vor allem dieser Verbre­ cher Reuben Alassian.«

»Aber Sie, Madame ...«

»Ich?«

»Wenn man Sie nun wirklich bestraft ...« »Wir werden alle so schnell alt. Was glauben Sie, wie viele von den Damen schon gestorben sind. Andere werden folgen ... hoffentlich sehr bald auch ich.«

»So dürfen Sie nicht sprechen«, sagte ich. »Pierre ist tot. Das ist kein Leben ohne Pierre. Be­ strafen? Mich? Ach, wie gleichgültig mir das ist, Monsieur, wie ungeheuer gleichgültig! Ich werde sterben wie die anderen, bestraft, nicht bestraft. Ich will nur noch erleben, daß Reuben Alassian vernich­ tet ist, vernichtet, ja. Dann soll bitte der Tod auch zu mir kommen ...« Ihre Stimme war immer leiser geworden. Und plötzlich - es war phantastisch -schien Maria Mondragons häßliches, tragisches Gesicht in dem schwachen Licht, das aus ein paar erleuchteten Fenstern auf uns in der Dunkelheit fiel, aufzublühen und begehrenswert zu werden wie das Gesicht des schönen jungen Mädchens, das sie einmal gewesen war. Warm und weich klang ihre Stimme, als sie sagte: »Und wenn es noch so viele Frauen gewesen sind ... hundert ... zweihundert ... Er hat im Leben eine einzige geliebt - mich. Ich, ich war seine Annabel Lee.«